Kundgebung „70 Jahre Grundgesetz / 1 Jahr Europäische Datenschutz-Grundverordnung“ am 25. Mai in Frankfurt
Für die Bürgerrechtsgruppe dieDatenschützer Rhein Main gab es drei Anlässe für eine Kundgebung auf der Frankfurter Einkaufsmeile Zeil:
- Den 70. Jahrestag des Inkrafttretens des Grundgesetzes am 23.05.1949,
- den 1. Jahrestag des Inkrafttreten der Europäischen Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) am 25.05.2018 sowie
- den 5. Jahrestag einer Sammelbeschwerde gegen 369 Standorte von Videoüberwachungsanlagen in Frankfurt, die am 26.05.2014 an den hessischen Datenschutzbeauftragten gerichtet wurde.
Die Zeil zwischen Hauptwache und Konstablerwache macht sinnlich erfahrbar, wie dicht das Netz der Videoüberwachung ist. Die weit überwiegende Zahl der Kameras wird von Banken, Hauseigentümern, Laden- und Restaurantbetreibern eingesetzt. Aber auch die Frankfurter Polizei überwacht den öffentlichen Straßenraum und möchte hier die Zahl ihrer Kameras weiter erhöhen. Dies war der Grund, um mit einem Informationsstand, einem Flugblatt zum Thema Videoüberwachung und einem Flyer, in dem sich die Gruppe mit ihren Arbeitsschwerpunkten vorstellt, auf die Zeil zu gehen und dort in Reden mehrerer Mitglieder der Bürgerrechtsgruppe dieDatenschützer Rhein Main unterschiedliche datenschutzrechtliche Themen vorzustellen.
Roland Schäfer verwies auf die entsetzlichen Gräueltaten des Nationalsozialismus, die die Väter (und Mütter) des Grundgesetzes vor 70 Jahren veranlassten, in Art. 1 Abs. 1 Grundgesetz unveränderlich festzulegen: „Die Würde des Menschen ist unantastbar“ ist. Aus dieser Bestimmung und aus Art. 2 Abs. 1 Grundgesetz „Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit…“ leitet sich auch das Datenschutzrecht ab, das alle in Deutschland lebenden Menschen vor zu viel Überwachung schützen soll. Schäfer appellierte an die Zuhörer*innen: „Es ist an uns, diese Rechte ohne zu zögern im Alltag jederzeit einzufordern.“
Walter Schmidt ging ein auf das dichte Netz der Videoüberwachung auf der Zeil, mit dem der öffentliche Straßenraum, aber auch nahezu alle Verkaufsräume beobachtet werden. Er erklärte: „Private Grundstückeigentümer haben nicht das Recht, den öffentlichen Straßenraum zu überwachen. Die Menschen, die sich auf der Zeil bewegen, haben ein Anrecht darauf, dies unbeobachtet zu tun.“ Videoüberwachung stelle einen Eingriff dar in das Grundrecht auf Informationelle Selbstbestimmung. Die Bürgerrechtsgruppe dieDatenschützer Rhein Main habe deshalb beim Hessischen Datenschutzbeauftragten vor fünf Jahren Beschwerde gegen eine Vielzahl von Kamerabetreiber*innen eingelegt. In diesen 5 Jahren wurden erst 142 der 369 gemeldeten Standorte von Überwachungskameras durch Mitarbeiter*innen des Hessischen Datenschutzbeauftragten überprüft. Dass die Überprüfung so lange dauert,dafür trägt die Hessische Landesregierung und die sie tragenden Parteien die Verantwortung, weil sie keine ausreichenden personellen und finanziellen Ressourcen für Datenschutzaufsicht zur Verfügung stellen. Schmidt wertete die Beschwerde trotzdem als Erfolg: In mehr als 20 % der bisher überprüften Kameraanlagen wurde festgestellt, dass die Installation der Kameras rechtwidrig war und sie abgebaut werden mussten. In weiteren knapp 20 % mussten die Kamerabetreiber*innen ihre Anlagen so ausrichten, dass öffentlicher Raum nicht mehr im Blickfeld ihrer Kameras ist.
Helga Röller kritisierte die Pläne, die Videoüberwachung durch die Polizei in der Frankfurter Innenstadt massiv auszubauen. Seit vielen Jahren betreibt die Polizei Videoüberwachung an der Konstablerwache. Man wolle damit den Drogenhandel eindämmen und das Sicherheitsgefühl der Bürger*innen erhöhen, wird erklärt. „Wer in der Gegend um die ‚Konsti‘ die Augen aufhält wird feststellen: Drogenhandel findet weiter statt. Er hat sich lediglich in Nischen und Seitenstraßen verzogen. Und noch nie wurde eine Kamera dabei beobachtet, dass sie sich aktiv Kriminellen und Gewalttätern in den Weg stellt und Straftaten verhindert.“ Röller kritisierte die Frankfurter Polizeiführung und Frankfurter Politiker – insbesondere aus den Reihen der CDU – die trotzdem unbeirrt einen Ausbau der Videoüberwachung fordern und scheibchenweise durchsetzen. Besondere Kritik äußerte Röller an dem Beschluss, demnächst auch die Hauptwache mit Polizeikameras ausgestattet werden: „Die Hauptwache ist einer der Plätze in Frankfurt, an denen sich regelmäßig Menschen zu politischen Kundgebungen und Demonstrationen zusammenfinden. Deren Recht auf Meinungs- und Versammlungsfreiheit würde durch Polizeikameras eingeschränkt. Die Bürgerrechtsgruppe dieDatenschützer Rhein Main lehnt daher gemeinsam mit anderen Bürgerrechtler*innen die Videoüberwachung der Hauptwache entschieden ab.“
Uli Breuer beschäftigte sich mit anderen Aspekten staatlicher Überwachung, dem abhören, orten, ausspionieren und bespitzeln. Begründet werde dies mit „Mehr Überwachung = weniger Terrorismus“, eine angeblich einfache Gleichung. Doch sie gehe nicht auf: „Was mit den Daten geschieht, ist häufig unklar. Sicher ist nur eins: Bürgerinnen und Bürger werden mit jedem neuen Überwachungsgesetz gläserner, Schritt für Schritt höhlen staatliche Eingriffe die Privatsphäre aus. Zunehmend greifen Ermittlungsbehörden ebenso wie Geheimdienste auf die Möglichkeiten privater Unternehmen zurück, um an die sensiblen Daten der Bürgerinnen und Bürger zu gelangen.“ Breuer verwies beispielhaft auf die Vorratsdatenspeicherung. Damit greife der Staat auf Daten zu, die private Firmen zunächst für andere Zwecke sammeln. Private Telekommunikationsunternehmen sind seit Dezember 2015 erneut verpflichtet worden, alle Telekommunikations-Verbindungsdaten sowie Standortdaten von Handys ohne Anlass oder konkreten Verdacht zu speichern und sie herauszugeben, falls Behörden sie anfordern. Auch Kontoabfragen oder die Erfassung von Fluggastdaten sind den Behörden möglich gemacht worden. Dagegen sollten sich Betroffene rechtlich und politisch zur Wer setzen, so Breuer in einem Appell an die Zuhörer*innen.
Annette Müller thematisierte die Datensammelwut privater Unternehmen und stellte fest: „Die Digitalisierung hat die Überwachung nicht nur massiv ausgeweitet, sondern auch einfacher gemacht. Apps, deren Anbieter und Entwickler wir nicht kennen, haben Zugriff auf unsere Telefonkontakte, Fotos und Standortdaten. Bis in die Kinderzimmer dringt diese Datensammlung vor. Diese Daten werden genutzt, um zu wissen, wo wir uns aufhalten, welche sozialen Kontakte wir pflegen und wie unser Leben aussieht. Und selbst wenn man glaubt, man habe nichts zu verbergen, wissen wir heute noch nicht, wofür unsere Daten in Zukunft genutzt werden können. Das ist ein gezielter Angriff auf die Grundrechte.“ Sie kritisierte zudem, dass CDU und Grüne in Hessen mit dem „Staatstrojaner“ beschlossen haben, Sicherheitslücken in Computersystemen geheim zu halten. „Technische Geräte werden bewusst unsicher gehalten, um angreifbar zu sein. Dies wiederum betrifft uns alle: Damit werden alle Menschen und Unternehmen, die IT einsetzen, einem hohen Risiko ausgesetzt. Denn die Sicherheitslücken können nicht nur von Staatstrojanern, sondern auch von Kriminellen und ausländischen Geheimdiensten weltweit genutzt werden.“