500 Menschen demonstrieren in Frankfurt/Main gegen Vorratsdatenspeicherung und für das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung
Unter dem Motto Freiheit stirbt mit Sicherheit haben am 30. Mai 2015 in Frankfurt 500 Menschen an einer Demonstration teilgenommen. Aktueller Anlass waren insbesondere die Pläne der Bundesregierung für die Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung und die jüngst bekannt gewordenen Spionageaktivitäten von BND und NSA gegen deutsche und europäische BürgerInnen, Firmen und Institutionen. Veranstalter war ein Bündnis unterschiedlicher Gruppen und Parteien.
Die Veranstaltung ist Teil der bundesweiten Kampagne Freiheit statt Angst. Im Verlauf des Sommerhalbjahrs 2015 werden in allen Regionen Deutschlands und in Brüssel Bürgerrechtsgruppen, Datenschützer und Parteien durch mehr als 30 Demonstrationen deutlich machen: Übergriffe staatlicher Institutionen und privater Unternehmen auf das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung werden nicht widerstandslos hingenommen.
VertreterInnen der am Frankfurter Bündnis beteiligten Parteien machten während der Auftaktkundgebung am Wiesenhüttenplatz deutlich, dass sie den Widerstand gegen die geplante Vorratsdatenspeicherung und die illegalen Aktivitäten deutscher und ausländischer Geheimdienste unterstützen.
- Sylvia Canel, Bundesvorsitzende der Neuen Liberalen, wandte sich mit einer engagierten Rede gegen die Vorratsdatenspeicherung. Sie stellte fest: „Wir alle hier sind freie Bürger, die sich in unserem Rechtsstaat versammeln und demonstrieren dürfen und freie Bürger wollen wir auch bleiben! Aber gleichzeitig sind wir für unseren Staat sogenannte low-level-Terroristen, also potenziell zu überwachende Personen, die zwar noch keine Straftat begangen haben aber in der nächsten Minute noch begehen könnten.“
- Kristos Thingilouthis, Politischer Geschäftsführer der Piratenpartei Deutschland, schilderte anschaulich seine Erkenntnisse über die Praktiken des BND und die Verschleierungstaktik der angehörten MitarbeiterInnen des Geheimdienstes, die er als Zuhörer im NSA-Untersuchungsausschuss gewinnen konnte.
- Dr. Ulrich Wilken, Mitglied des Hessischen Landtags, rechtspolitischer Sprecher der Fraktion Die Linke setzte sich u. a. kritisch mit den Plänen der hessischen Landesregierung mit den Plänen zur Verschärfung des Demonstrationsstrafrechts auseinander.
Am früheren Standort der Europäischen Zentralbank am Willy-Brandt-Platz stand bei einer Zwischenkund-gebung das Thema Datenschutz und informationelle Selbstbestimmung in der Finanzwirtschaft im Mittelpunkt:
- Christian.Bethke, Sprecher des Frankfurter Kollegium e.V., stellte eingangs fest: „Ein Mensch kann nur in Freiheit leben, wenn er die eigene Privatsphäre frei gestalten kann, ohne Überwachung, Beeinflussung oder äußere Kontrolle, gleich ob durch die Gesellschaft, den Staat oder irgendwelchen Unternehmen.“
- Hajo Köhn, Sprecher der Gruppe Neue Geldordnung, ging auf die aktuelle Debatte um die von interessierter Seite propagierte Abschaffung des Bargelds ein. Er stellte fest: „Uns wird die Wahl zwischen verschiedenen Geldformen (Münze, Schein, Konto) genommen. Wenn nur noch mit Bankgiralgeld bezahlt wird, sind wir einer Totalüberwachung ausgesetzt. Deshalb müssen wir das Recht auf Bargeld verteidigen.“
- Prof. Dr. Dr. Helge Peukert, Professor für Finanzwissenschaft und Finanzsoziologie an der Universität Erfurt, sprach zum gleichen Thema, schilderte zugleich aber sehr plastisch Erfahrungen mit illegalen Zugriffen auf seine Daten und die von ihn genutzten technischen Geräte. Seine Schlussfolgerung: Die BürgerInnen müssen die Hoheit über Ihre Daten verteidigen, gegen staaatliche Übergriffe wie z. B. die Vorratsdatenspeicherung, aber auch gegen Privatunternehmen, die Datensammlungen im Stil von Goldgräbern betreiben.
Die Schlusskundgebung am Opernplatz bestimmten die Themen Europäische Datenschutzgrundverordnung, die geplanten Zugriffe auf die besonders sensiblen Daten der PatientInnen im Gesundheitswesen, die geplante Vorratsdatenspeicherung und die Videoüberwachung des öffentlichen Raums.
- Prof. Dr. Peter Wedde, Professor für Arbeits- und Datenschutzrecht an der Fachhochschule Frankfurt, stellte zur Erarbeitung der Europäischen Datenschutz-Grundverordnung fest: „Die Lobbyisten großer Unternehmen haben in Brüssel gute Arbeit geleistet. In der Inzwischen vorliegenden Fassung der Datenschutz-Grundverordnung sind viele der Vorschriften, die den Unternehmen weg getan hätten, gestrichen oder abgeschwächt worden.“ Am Thema Beschäftigtendatenschutz machte er an vielen Beispielen die negativen Auswirkungen dieser Lobbyarbeit für die ArbeitnehmerInnen in Betrieben und Verwaltungen deulich.
- Wieland Dietrich, Hautarzt in Essen, Vorsitzender der Freien Ärzteschaft e. V. teilte: „Vor einem Jahr habe ich Bundesgesundheitsminister Gröhe gefragt, wie es denn um die Freiwilligkeit der Teilnahme der Bürgers am e-Card-Projekt stehe, unter Berücksichtigung des informationellen Selbstbestimmungsrechts und des Prinzips der Datensparsamkeit. Seine Antwort war ein Offenbarungseid: Basta-Minister Gröhe hat die Freiwilligkeit der Preisgabe persönlicher Medizindaten in dieses Projekt in keiner Weise vertreten!“ Von dieser Haltung sei auch das geplante e-Health-Gesetz geprägt. Es müssen auf den Widerstand der Versicherten und der ÄrztInnen treffen. Seine Prognose: „Spätestens, wenn Ärzte an das zentrale Datenspeicherprojekt zwangsweise angeschlossen sind, wird sich eine neue Rechtsgrundlage für Verfassungsklagen ergeben.“
- Uli Breuer, Sprecher der Bürgerrechtsgruppe dieDatenschützer Rhein Main, verwies auf die erfolgreich geführte Auseinandersetzung mit der Betreibergesellschaft der Alten Oper über die von dieser illegal installierte Videoüberwachung des Opernplatzes, eines häufig für politische Kundgebungen genutzten öffentlichen Platzes. Zur Charakterisierung der Motive der Befürworter der Vorratsdatenspeicherung zitierte er Lieder der hessischen Gruppe Flatsch: „Was mer hat des hat ma. Hat mers net, denn fehlt‘s aanem“. „Dieses Motto“, so Breuer, „stand wohl Pate für den Gesetzentwurf zur Vorratsdaten-speicherung. Und das nur zwei Wochen nach seiner ersten Vorstellung. Mit diesem überstürzten Vorgehen versucht die Bundesregierung ganz offenkundig eine Debatte über die Einführung der anlasslosen, flächendeckenden Speicherung von Telekommunikationsdaten in Deutschland im Keim zu ersticken.“
Die Veranstalter der Demonstration und Kundgebung in Frankfurt:
- Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung,
- Deutscher Journalisten Verband (DJV) Landesverband Hessen,
- dieDatenschützer Rhein Main,
- Die Linke Landtagsfraktion Hessen,
- Digitalcourage e.V.,
- Frankfurter Kollegium e.V.,
- Neue Geldordnung,
- Neue Liberale,
- Piratenpartei Hessen.
Weitere Unterstützer:
- Bündnis Demokratie statt Überwachung,
- Business Crime Control e.V.,
- Gewerkschaft ver.di – Landesfachbereichsvorstand (08) Medien Hessen,
- Netzwerk Hessischer Erwerbsloseninitiativen.
Die Freiheit statt Angst – Tour 2015, die bundesweite Kampagne gegen den Überwachungswahn, geht weiter am 06. Juni 2015 in Griesheim bei Darmstadt sowie am 13. Juni 2015 in Düsseldorf und Dresden.
Weitere Informationen unter Freiheit statt Angst – Tour 2015.
Berichte in anderen Medien:
- Frankfurter Rundschau vom 01.06.2015
- Frankfurter Neue Presse vom 01.06.2015
- Frankfurter Gemeine Zeitung vom 01.06.2015
- Frankfurter Stadtkurier vom 02.06.2015
Richtig guter Leitartikel von Stefan Hebel in der Frankfurter Ruindschau zum bürgerrechtlichen NIRWANA der SPD-Spitze!
Auszüge:
„Inhaltlich handelt es sich um die historisch einmalige Totalerfassung der meisten Formen von Kommunikation. Sie trifft jede Bürgerin, jeden Bürger. Jede und jeder kann sich in einem Verfahren wiederfinden, weil er oder sie zur falschen Zeit am falschen Ort eine SMS geschrieben hat…
Zunächst zum Inhalt: Für jedes Telefongespräch, jede SMS oder MMS, jeden Besuch im Internet sollen Handydaten samt Telefonnummer, Dauer, IP-Adresse und Standort gespeichert werden. Der Standort für vier Wochen, der Rest für zehn. Nur Emails bleiben ausgenommen. Wohl in der geradezu irrwitzigen Hoffnung, man komme damit der wichtigsten Vorgabe des Bundesverfassungsgerichts nach: dass die Speicherung „eine Ausnahme bleibt“.
Für ein vergleichbares Spitzelprojekt hätte der bundesdeutsche Staat in analogen Zeiten wohl die gesamte Belegschaft der DDR-Staatssicherheit abwerben müssen (die Qualifikation hätte gepasst). Lassen wir die Briefe einmal weg (die sind ja mit Emails vergleichbar), dann hätte Vorratsdatenspeicherung damals bedeutet: Nicht nur jedes Telefonat hätte nach Teilnehmern und Dauer registriert werden müssen. Hinter jedem, der ein Telegramm oder eine Postkarte abschickt, hätte jemand stehen und Absender- sowie Empfängerdaten aufzeichnen müssen. Und jeder, der sich eine Zeitschrift gekauft, ein Buch geliehen hätte, wäre zu identifizieren gewesen, denn was wir heute googeln, hat man damals auf Papier recherchiert…“
Hier im voller Länge:
http://www.fr-online.de/leitartikel/vorratsdaten-die-spd-duckt-sich-weg,29607566,30831024.html