Verdeckte Videoüberwachung im Betrieb: Bundesarbeitsgericht bestätigt Kündigung nach „Zufallsfund“ eines arbeitsrechtlichen Fehlverhaltens

Datenschutzrheinmain/ Januar 10, 2017/ alle Beiträge, Beschäftigtendatenschutz, Videoüberwachung/ 0Kommentare

Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat in einer Entscheidung vom 22.09.2016 (Aktenzeichen: 2 AZR 848/15) Ergebnisse einer verdeckten Videoüberwachung als Beweismittel zugelassen und damit der fristlosen Kündigung einer stv. Filialleiterin und Kassiererin zugestimmt.

Der Tatbestand:

Ein Einzelhandelsunternehmen stellte in einer Filiale einen Inventurverlust in den Warengruppen Tabak/Zigaretten und Nonfood fest, der das Ergebnis des Vorjahrs um den Faktor 10 überschritt. Weitere Kontroll- und Revisionsmaßnahmen sowie die Überprüfung der Mitarbeiter durch Taschenkontrollen führten nicht zur Aufklärung. Das Unternehmen beantragte daraufhin beim Betriebsrat die Durchführung einer verdeckten Videoüberwachung im Kassenbereich für einen Zeitraum vom zwei Wochen. Der Betriebsrat stimmte der beabsichtigten Videoüberwachung zu. Unabhängig davon wurde die Filiale auch insgesamt offen videoüberwacht. Einer Videosequenz der verdeckten Überwachung des Kassenbereichs eine Manipulation der Pfandflaschenabrechnung vornahm. Das Unternehmen wollte kündigen, der Betriebsrat stimmte der Kündigung zu. Der folgenden Kündigungsschutzklage hatte das Arbeitsgericht tattgegeben, das Landesarbeitsgericht hatte sie abgewiesen.

Die Entscheidung:

Das Bundesarbeitsgericht beschäftigte sich in seiner Entscheidung auch mit der Frage, ob die Ergebnisse der verdeckten Videoüberwachung, die zudem einen anderen Zweck hatten, als Beweismittel zulässig seien. Im Ergebnis stellte es fest: Wird in einem Betrieb wegen des Verdachts von Zigarettendiebstahls durch MitarbeiterInnen eine verdeckte Videoüberwachung durchgeführt, können auch andere auf diese Weise entdeckte Straftaten als Beweismittel verwertet werden. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht werde damit noch nicht sofort unzulässig verletzt. Der Leitsatz der Entscheidung: Die Verwertung eines ‚Zufallsfundes‘ aus einer gem. § 32 Abs. 1 Satz 2 BDSG gerechtfertigten verdeckten Videoüberwachung kann nach § 32 Abs. 1 Satz 1 BDSG zulässig sein.“

Aus den Entscheidungsgründen:

  • „Ein Sachvortrags- oder Beweisverwertungsverbot wegen einer Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts einer Partei kann sich im arbeitsgerichtlichen Verfahren allein aus der Notwendigkeit einer verfassungskonformen Auslegung des Prozessrechts ergeben…
  • Die Bestimmungen des Bundesdatenschutzgesetzes (BDSG) über die Anforderungen an eine zulässige Datenverarbeitung begrenzen nicht die Zulässigkeit von Parteivorbringen und seine Verwertung im Verfahren vor den Gerichten für Arbeitssachen. Dessen Normen konkretisieren und aktualisieren zwar den Schutz des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung und am eigenen Bild (§ 1 Abs. 1 BDSG). Sie regeln, in welchem Umfang im Anwendungsbereich des Gesetzes Eingriffe durch öffentliche oder nichtöffentliche Stellen iSd. § 1 Abs. 2 BDSG in diese Rechtspositionen zulässig sind… Sie ordnen für sich genommen jedoch nicht an, dass unter ihrer Missachtung gewonnene Erkenntnisse oder Beweismittel bei der Feststellung des Tatbestands im arbeitsgerichtlichen Verfahren vom Gericht nicht berücksichtigt werden dürften… Das bestätigt auch ein Umkehrschluss aus § 1 Abs. 4 BDSG. Nach dieser Bestimmung gehen die Vorschriften des Gesetzes (lediglich) denen des Verwaltungsverfahrensgesetzes „bei der Ermittlung des Sachverhalts“ vor…
  • Das Gericht tritt den Verfahrensbeteiligten in Ausübung staatlicher Hoheitsgewalt gegenüber. Es ist daher nach Art. 1 Abs. 3 GG bei der Urteilsfindung an die insoweit maßgeblichen Grundrechte gebunden und zu einer rechtsstaatlichen Verfahrensgestaltung verpflichtet… Dabei können sich auch aus materiellen Grundrechten wie Art. 2 Abs. 1 GG Anforderungen an das gerichtliche Verfahren ergeben, wenn es um die Offenbarung und Verwertung von persönlichen Daten geht, die grundrechtlich vor der Kenntnis durch Dritte geschützt sind. Das Gericht hat deshalb zu prüfen, ob die Verwertung von heimlich beschafften persönlichen Daten und Erkenntnissen, die sich aus diesen Daten ergeben, mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Betroffenen vereinbar ist… Dieses Recht schützt nicht allein die Privat- und Intimsphäre, sondern in seiner speziellen Ausprägung als Recht am eigenen Bild auch die Befugnis eines Menschen, selbst darüber zu entscheiden, ob Filmaufnahmen von ihm gemacht und möglicherweise gegen ihn verwendet werden dürfen…
  • Greift die prozessuale Verwertung eines Beweismittels in das allgemeine Persönlichkeitsrecht einer Prozesspartei ein, überwiegt das Interesse an seiner Verwertung und der Funktionstüchtigkeit der Rechtspflege das Interesse am Schutz dieses Grundrechts nur dann, wenn weitere, über das schlichte Beweisinteresse hinausgehende Aspekte hinzutreten. Das Interesse, sich ein Beweismittel zu sichern, reicht für sich allein nicht aus… Vielmehr muss sich gerade diese Art der Informationsbeschaffung und Beweiserhebung als gerechtfertigt erweisen…
  • Zwar griff die verdeckte Videoüberwachung des Kassenbereichs in das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Klägerin ein. Der Eingriff war aber aufgrund überwiegender Interessen der Beklagten gerechtfertigt…
  • Die Beklagte hat durch die Veranlassung der Videoaufzeichnungen… nicht unrechtmäßig in deren allgemeines Persönlichkeitsrecht eingegriffen…
  • Eingriffe in das Recht der Arbeitnehmer am eigenen Bild durch verdeckte Videoüberwachung sind dann zulässig, wenn der konkrete Verdacht einer strafbaren Handlung oder einer anderen schweren Verfehlung zu Lasten des Arbeitgebers besteht, weniger einschneidende Mittel zur Aufklärung des Verdachts ergebnislos ausgeschöpft sind, die verdeckte Videoüberwachung damit das praktisch einzig verbleibende Mittel darstellt und sie insgesamt nicht unverhältnismäßig ist…  Der Verdacht muss sich in Bezug auf eine konkrete strafbare Handlung oder andere schwere Verfehlung zu Lasten des Arbeitgebers gegen einen zumindest räumlich und funktional abgrenzbaren Kreis von Arbeitnehmern richten. Er darf sich einerseits nicht auf die allgemeine Mutmaßung beschränken, es könnten Straftaten begangen werden. Er muss sich andererseits nicht notwendig nur gegen einen einzelnen, bestimmten Arbeitnehmer richten. Auch im Hinblick auf die Möglichkeit einer weiteren Einschränkung des Kreises der Verdächtigen müssen weniger einschneidende Mittel als eine verdeckte Videoüberwachung zuvor ausgeschöpft worden sein…“

Da das BAG diese Bedingungen im vorliegenden Fall als gegeben ansah, hat es die Kündigung bestätigt.

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