Volksbegehren „Verkehrswende in Hessen“ – Unterstützenswerte Forderungen, aber auch eine mehr als nur fragwürdige!

WS/ September 14, 2021/ alle Beiträge, Hessische Landespolitik, Polizei und Geheimdienste (BRD), Videoüberwachung, Videoüberwachung in der Region/ 2Kommentare

Ein Bündnis aus Verkehrs- und Umweltverbänden hat den Entwurf eines Verkehrswendegesetzes für Hessen erarbeitet und am 01.09.2021 den ersten Schritt zur Durchführung eines Volksbegehrens eingeleitet. Für die Zulassung des Volksbegehrens müssen rund 45.000 Unterschriften wahlberechtigter Bürger*innen mit Wohnsitz in Hessen gesammelt werden. Mit dem Gesetzentwurf wollen die Verkehrs- und Umweltverbände erreichen, dass die Verkehrsarten des Umweltverbundes

  • zu Fuß gehen,
  • Radfahren sowie
  • Bus und Bahn

so attraktiv werden, dass dadurch mindestens 65 % des Personenverkehrs in Hessen bewältigt werden, wie aus einer Pressemitteilung des Bündnisses hervorgeht.

Viele der im Gesetzentwurf geforderten Maßnahmen erscheinen geeignet, diese Ziele zu erreichen.

Warum aber wurde in den Gesetzentwurf die Forderung aufgenommen, die Kameraüberwachung durch die Polizei auf den Straßen auszuweiten?

In Artikel 4 des Gesetzentwurfs (Änderung des Hessischen Gesetzes über die öffentliche Sicherheit und Ordnung) wird gefordert, dass § 14 HSOG ein neuer Absatz 7 hinzu gefügt werden soll mit der Regelung, dass die „Gefahrenabwehrbehörden und die Polizei…im öffentlichen Verkehrsraum zur Verhütung der Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit von Kraftfahrzeugen… Bildaufzeichnungen offen anfertigen und damit auf einer festgelegten Wegstrecke die Durchschnittsgeschwindigkeit eines Kraftfahrzeugs ermitteln“ dürfen.

Diese sogenannte „Abschnittskontrolleoder (neudeutsch) “Section Control” ist als weiterer Schritt in die Totalüberwachung zu bewerten, die aber nichts Wesentliches dazu beiträgt, die sonstigen Ziele des Gesetzentwurfs zu fördern und die Sicherheit von Fußgänger*innen und Fahrradfahrer*innen zu erhöhen.

Niedersachsen war 2014 Vorreiter bei der Einführung dieser Überwachungsmaßnahme. Die Bürgerrechtsgruppe freiheitsfoo aus Hannover hat sich frühzeitig damit auseinander gesetzt und nützliche Informationen dazu veröffentlicht.

2 Kommentare

  1. Der ADAC stellt zu „Section Control“ eine Info zur Verfügung:
    1. https://www.adac.de/verkehr/recht/bussgeld-punkte/section-control/
    2. https://assets.adac.de/image/upload/v1623731915/ADAC-eV/KOR/Text/PDF/Standpunkt_whoxkd.pdf
    und erklärt zum Standpunkt des ADAC:
    Bei Geschwindigkeitskontrollen ist der Übergang von der Kontrolle zur Überwachung fließend und aus der Sicht des Betrachters auch unterschiedlich zu bewerten. An den meisten Strecken besteht kein Bedarf für die Abschnittskontrolle, da für eine effektive Geschwindigkeitsüberwachung bereits bewährte Messverfahren zur Verfügung stehen. In der Abwägung des geeigneten Messverfahrens sind neben der Unfallsituation auch Investitions- und Betriebskosten zu berücksichtigen.

    Ich persönlich schließe mich der Meinung des ADAC an:
    Die abschnittsbezogene Geschwindigkeitsüber-wachung kann ihre positive Wirkung auf das Un-fallgeschehen insbesondere an schwierigen, un-fallauffälligen Streckenabschnitten (z. B. Tunnel, Brücken, Arbeitsstellen längerer Dauer) entfalten. An den meisten Strecken besteht kein Bedarf für die Abschnittskontrolle, da für eine effektive Geschwindigkeitsüberwachung bereits bewährte Messverfahren zur Verfügung stehen.

    Im Entwurf eines Verkehrswendegesetzes für Hessen ist die Forderung überflüssig.

  2. Antwort des Verkehrswende Bündnisses vom 10.11.2021 (per Mail an ddrm gesendet)

    Sehr geehrte Damen und Herren,

    vielen Dank für Ihre Anfrage zum Verkehrswendegesetz Hessen und zur Section-Control.

    Wir teilen Ihre Auffassung, dass anonymes Fortbewegen und Reisen im öffentlichen Raum ein Grundrecht ist, welches geschützt werden muss. Wie so viele Grundrechte muss dieses aber gegen andere Grundrechte, wie bspw. das Recht auf körperliche Unversehrtheit abgewogen werden. Überhöhte Geschwindigkeit ist weiterhin die Hauptursache für tödliche und schwere Verletzungen im Straßenverkehr. Ein Drittel der Verkehrstoten werden durch unangepasste Geschwindigkeit verursacht.

    Bei der Geschwindigkeitsüberwachung handelt es sich daher nicht um Abzocke und sie ist auch nicht gedacht um „Geld in die Kassen zu spülen“, wie in Ihrem Text [1] zur Section-Control ausgeführt. Vielmehr ist es eine leider notwendige Maßnahme um die Unfallzahlen und die Unfallschwere zu reduzieren. Diese Vision Zero, also das Ziel keine schwer verletzen Menschen und keine Unfalltoten im Straßenverkehr beklagen müssen ist elementares Ziel des Verkehrswendegesetzes. Aus diesem Grund wurde der Verkehrssicherheit im Gesetz ein eigener Abschnitt gewidmet (Artikel 1 Abschnitt 2) der durch die Section-Control ergänzt wird.

    Es gibt bei der Geschwindigkeitsüberwachung immer wieder Abschnitte bei denen eine punktuelle Überwachung nicht ausreicht oder, bspw. bei Kurvenstrecken, nicht ohne weiteres möglich ist. Hier stellt die Section-Control mit den von uns im Gesetz benannten Einschränkungen, die mildest mögliche Maßnahme dar.
    Die Wirksamkeit von Section-Control ist nachgewiesen und hat bereits auf verschiedenen Strecken die Zahl der Unfälle deutlich reduziert [2,3].

    Die Section-Control bzw. die Gestaltung des Gesetzestextes zu dieser war auch bei uns nicht ganz unumstritten. Daher wurden explizite datenschutzrechtliche Punkte, die bisher an der Section-Control kritisiert wurden, aufgenommen. Darunter ein Aufzeichnungsverbot von Gesichtsdaten, ein Verwertungsverbot für andere Zwecke, eine Löschverpflichtung bei Einhaltung der Geschwindigkeit wie auch eine klar kommunizierte offene Kontrolle. Da Halter*innen und Fahrzeugführer*innen bei KFZ mitnichten identisch sind, ist, solange keine Geschwindigkeitsüberschreitung vorliegt, durch das Verbot der Gesichtserfassung keine direkte personenbezogene Überwachung möglich.

    Ich hoffe wir konnten mit diesen Erläuterungen Ihre Fragen beantworten.

    Gerne dürfen Sie unsere Antwort in ungekürzter und unveränderter Form veröffentlichen. Dies hätten wir uns im Übrigen auch in Ihrem vor Ihrer Anfrage veröffentlichten Beitrag [4] zu unserem Gesetzestext gewünscht, da hier wesentliche datenschutzrelevante Passagen unterschlagen wurden.

    Mit freundlichen Grüßen

    Stephan Voeth

    [1] https://ddrm.de/section-control-ein-weiterer-schritt-in-die-totalueberwachung/

    [2] https://www.adac.de/verkehr/recht/bussgeld-punkte/section-control/

    [3] https://www.vbg.de/DE/3_Praevention_und_Arbeitshilfen/2_Themen/10_Verkehrs_Transportsicherheit/10_Aktuelles/3_Section%20Control/1_Section_Control_node.html

    [4] https://ddrm.de/volksbegehren-verkehrswende-in-hessen-unterstuetzenswerte-forderungen-aber-auch-eine-mehr-als-nur-fragwuerdige/

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