Hessen: Landesregierung plant Bodycam-Einsatz und mehr Rechte für den Verfassungsschutz im Strafvollzug
Am 10.06.2020 hat die Hessische Landesregierung einen Gesetzentwurf „… zur Änderung hessischer Vollzugsgesetze“ (Landtagsdrucksache 20/2967) vorgelegt.
Am 17.09.2020 findet dazu eine Anhörung im rechtspolitischen Ausschuss und im Unterausschuss Justizvollzug des hessischen Landtags statt, zu der auch Mitglieder der Bürgerrechtsgruppe dieDatenschützer Rhein Main als Sachverständige eingeladen sind. In einer schriftlichen Stellungnahme hat die Bürgerrechtsgruppe dieDatenschützer Rhein Main datenschutzrechtliche Themen aufgegriffen, die die Belange und Interessen
- der Beschäftigten im Justizvollzug,
- der in den entsprechenden Einrichtungen einsitzenden Menschen und
- der sie besuchenden oder anderweitig zeitweilig in den entsprechenden Einrichtungen anwesenden Menschen
berührten und nachteilig verändern, sollte der Gesetzentwurf vom Landtag beschlossen werden:
- Ausweitung der Einwirkungsmöglichkeiten des Hessischen Landesamtes für Verfassungsschutz (und der Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der anderen Bundesländer) auf den Justizvollzug in Hessen
- Erstmaliger Einsatz von sog. Bodycams im Rahmen eines Pilotprojekts im Justizvollzug in Hessen
Zu 1.:
Das Landesamt für Verfassungsschutz (LfV) Hessen hat in der Vergangenheit wiederholt durch seine – auch für Rechtsprechung und parlamentarische Kontrolle – nicht durchschaubare Aktivitäten (genannt seien hier beispielhaft: Die NSU-Mordserie; zuletzt die Ermordung des Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke) unter Beweis gestellt, dass es auf Bedrohungen des Rechtsstaats und der Schutzgüter der in Hessen lebenden Menschen nicht wirksam agieren will oder kann.
Mit dem Gesetzentwurf ist aber – trotz vielfältiger parlamentarischer und öffentlicher bzw. medialer Kritik an der Tätigkeit des Landesamtes für Verfassungsschutz (LfV) Hessen (Stichworte: Die NSU-Mordserie und die Ermordung des Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke) – beabsichtigt, dieser Behörde deutlich erweiterte Eingriffsmöglichkeiten in die Abläufe des Justizvollzugs und in die Grundrechte der Inhaftierten, aber auch ihrer Kontaktpersonen, einzuräumen. Dazu ist beabsichtigt,
- eine Ausweitung der Zuverlässigkeitsüberprüfung auf jede Form der Kontaktaufnahme (§ 58a Abs. 2 HstVollzG sowie §§ 58a Abs. 2 HessJStVollzG, 54a Abs. 2 HUVollzG, 58a Abs. 2 HSVVollzG);
- die jährlichen Aktualisierung der Zuverlässigkeitsüberprüfung (§ 58a Abs. 6 HstVollzG sowie §§ 58a Abs. 6 HessJStVollzG, 54a Abs. 6 HUVollzG, 58a Abs. 6 HSVVollzG) – bisher beträgt die Frist im Regelfall fünf Jahre:
- die Erhebung und den Austausch sicherheitsrelevanter Informationen bei Personen, die einer Freiheitsunterziehung unterliegen (§§ 58a Abs. 3 und 62 Abs. 4 HstVollzG sowie §§ 58a Abs. 3 und 62 Abs. 4 HessJStVollzG, 54a Abs. 3 und 58 Abs. 4 HUVollzG, 58a Abs. 3 und 62 Abs. 4 HSVVollzG) sowie
- die Einbeziehung des LfV Hessen und der Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der anderen Bundesländer bei der Überprüfung von Gefangenen, den sogenannten „Fallkonferenzen“ (§ 58b HstVollzG sowie §§ 58b HessJStVollzG, 54b HUVollzG, 58b HSVVollzG).
Von der Bürgerrechtsgruppe dieDatenschützer Rhein Main werden die seNeuregelungen bzw. Verschärfungen der Justizvollzugsgesetze, die eine erneute deutliche Ausweitung der Kompetenzen des LfV Hessen bedeuten, entschieden abgelehnt.
Zu 2.:
Der Einsatz von Bodycams durch Vollzugsbeamte soll „im Rahmen eines Pilotprojekts“ (Gesetzentwurf zu §§ 45 Abs. 2 und 65 Abs. 2 HstVollzG sowie §§ 30 Abs. 2 und 61 Abs. 2 HUVollzG) im hessischen Strafvollzug eingeführt werden. Parallelen zum bundesweit erstmaligen Einsatz von Bodycams in der Polizei in Hessen sind erkennbar.
Die Bürgerrechtsgruppe dieDatenschützer Rhein Main lehnt einen Einsatz von Bodycams, gleich in welcher Art von Strafvollzug, entschieden ab und verweist zur Begründung u. a. Auf folgende Sachverhalte. Zur Begründung wird u. a. auf folgende Sachverhalte verwiesen:
- Auch Strafgefangene sind Grundrechtsträger. Dies hat zur Folge, dass ein Übermaß an Eingriffen in deren Grundrechte rechts- und verfassungswidrig ist.
- Mit dem Einsatz von Bodycams wird der letzte private Bereich des Insassen – die Gefangenenzelle – überwacht, ohne dass ein nachvollziehbares Vollzugsziel dabei erreicht werden kann. Dies ist ein tiefer Eingriff in die Reste von Privatsphäre von Strafgefangenen und Untersuchungshäftlingen.
- Der Einsatz von Bodycams führt auch zur Überwachung der Bediensteten des Vollzugsdienstes. Eine Verbesserung der Arbeit dieser Bediensteten hierdurch ist nicht ersichtlich und wird in der Begründung des Gesetzes nicht einmal behauptet. Der Bund der Strafvollzugsbediensteten Deutschlands (Landesverband Hessen) hat sich in einer Stellungnahme vom 15.04.2020 aus nachvollziehbaren, auch datenschutzrechtlichen Gründen gegen den Einsatz der BodyCams ausgesprochen. Die in dieser Stellungnahme abgegebene datenschutzrechtliche Bewertung wird von der Bürgerrechtsgruppe dieDatenschützer Rhein Main geteilt.
Im Bezug auf die Rolle des Landesamts für Verfassungsschutz (LfV) Hessen ist zudem daran zu erinnern, dass bereits nach der Novellierung des Hessischen Polizeigesetzes (HSOG) und des Hessischen Verfassungsschutzgesetz im Jahr 2018 die Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF), unterstützt durch die Bürgerrechtsgruppe dieDatenschützer Rhein Main und weiteren zivilgesellschaftlichen Organisationen, beim Bundesverfassungsgericht Verfassungsbeschwerde gegen Neuregelungen im Hessischen Polizeigesetz und im Hessischen Verfassungsschutzgesetz eingelegt hat. Diese Beschwerde richtet sich gegen die Ausweitung der Überwachungsbefugnisse für das LfV Hessen und die hessische Polizei. Die Kläger*innen, sechs Personen aus Hessen, begründen in ihrer Verfassungsbeschwerde jeweils konkret Eingriffe des LfV Hessen in ihre Grundrechte. Zwei der Kläger*innen sind
- die Frankfurter Rechtsanwältin Seda Başay-Yıldız und
- Klaus Landefeld, Mitglied im Aufsichtsrat der DE-CIX Management GmbH, die in Frankfurt den größten deutschen Internetknoten betreibt.
Die von dem Juristen und Kriminologen Prof. Dr. Tobias Singelnstein verfasste Klageschrift ist auf der Homepage der Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) veröffentlicht.