Wird die Gesichtserkennungssoftware „Videmo“ von der Polizei in Frankfurt eingesetzt bzw. erprobt…
…fragt die Fraktion DIE FRAKTION in der Frankfurter Stadtverordnetenversammlung. In der Anfrage vom 17.09.2021 wird eingangs darauf verwiesen, dass seit 2016 in Hamburg die Software Videmo der Firma Videmo Intelligente Videoanalyse GmbH bei Versammlungen zum Einsatz.. Dieser Feststellung folgt der Hinweis: „Nach Auskunft des Herstellers fand und findet auch in Hessen, speziell in Frankfurt, der Einsatz dieser Software statt. Auch sei ein weiterer Einsatz zumindest geplant.“ Mit insgesamt 13 Fragen wird dazu um Auskunft gebeten.
In einem Bericht des Magistrats vom 15.11.2021 wird dazu lapidar und nichtssagend erklärt: „Aufgrund der Zuständigkeit der Landespolizei wurde diese über das Polizeipräsidium Frankfurt um Stellungnahme gebeten: ‚Durch das Polizeipräsidium Frankfurt am Main wird keine Gesichtserkennungssoftware genutzt.‘“
Ein Thema, das die Oppositionsparteien im Hessischen Landtag (SPD, FDP, LINKE) aufgreifen sollten, um weitere Sachverhaltsaufklärung zu betreiben. Denn nach dem (nicht nur vergaberechtlichen) Skandal um Palantir und hessenDATA und nach den Vorgängen rund um die Verstrickung hessischer Polizist*innen in NSU 2.0 scheint bei der hessischen Polizei und bei Hessens Innenminister Peter Beuth (CDU) vieles möglich zu sein.
Was ist Videmo und wie die Software in Hamburg eingesetzt?
Die Firma Videmo Intelligente Videoanalyse GmbH informiert dazu auf ihrer Homepage:
Quelle: Homepage der Firma Videmo Intelligente Videoanalyse GmbH
Für ihre Gesichtserkennungssoftware wirbt die Firma Videmo u. a. mit den Aussagen:
- „Durch permanente Weiterentwicklung unserer Technologien bieten wir Ihnen state-of-the-art Verfahren zur Detektion und Wiedererkennung von Gesichtern in Bildern und Videos, wie auch weitergehende Analysemöglichkeiten wie bspw. Alters- und Geschlechtsschätzung.“
- „Durch die Möglichkeit der kontinuierlichen Analyse von Bilddaten ergeben sich Anwendungsgebiete in den unterschiedlichsten Branchen. Ein Vorteil unserer Verfahren ist die Möglichkeit der Gesichtserkennung in Video anstatt nur in Einzelbildern. Außerdem sind unsere Systeme lern- und anpassungsfähig.“
Nach dem G-20-Gipfel im Juli 2017 in Hamburg, der von Massendemonstrationen, aber auch von Gewaltexzessen begleitet wurde (sowohl kleinerer Gruppen von Demonstrant*innen als auch von Polizist*innen), wurde bekannt, dass die Gesichtserkennungssoftware von Videmo von der Polizei in Hamburg zur Aufklärung von vorgeblichen als auch tatsächlichen Straftaten von Protestierenden eingesetzt wurde.
Wie umfangreich Bild- und Videodateien durch die Hamburger Polizei erhoben, gespeichert und ausgewertet wurden, macht der Hamburger Datenschutzbeauftragte in seinem Tätigkeitsbericht 2019 (dort Seiten 96 – 99) deutlich:
- „Anlässlich der Ermittlungen zu den G20-Ausschreitungen wurde durch die Polizei eine automatisierte Gesichtserkennungssoftware eingesetzt, für deren Nutzung eine Datenbank mit einem wachsenden Umfang von anfänglich 17 Terabyte angelegt wurde. In diese Datenbank sind von Bürgerinnen und Bürgern bei der Polizei hochgeladene private Aufnahmen, polizeieigenes Videoüberwachungsmaterial sowie Material aus öffentlichen Verkehrsmitteln und aus den Medien – insgesamt ca. 32.000 Video- und Bilddateien (Stand August 2018) – eingeflossen.
- Die in den Bild- und Videodateien enthaltenen Gesichtsmerkmale wurden per Gesichtserkennungssoftware eindeutigen Identifikatoren in Form individueller Gesichts-IDs zugeordnet und maschinenlesbar vorgehalten. Über diesen Datenbestand werden seither Gesichter einzelner Tatverdächtiger immer wieder automatisiert abgeglichen.
- Durch dieses Verfahren wird erheblich in die Rechte und Freiheiten einer Vielzahl Betroffener eingegriffen. Die biometrische Erfassung erfolgt zunächst unterschieds- und anlasslos. Sie betrifft massenhaft Personen, die nicht tatverdächtig sind und dies zu keinem Zeitpunkt waren. Die Berechnung von mathematischen Gesichtsmodellen zu Strafverfolgungszwecken geschieht ohne Kenntnis der Betroffenen und ermöglicht der Polizei, Profile über Standort, Verhalten und soziale Kontakte von Personen über einen örtlich und zeitlich nicht näher festgelegten Zeitraum zu erstellen, zu verknüpfen und auszuwerten. Ins Blaue hinein vorgenommene Abgleiche mit Referenzdatenbeständen sind möglich. Unbekannte Personen, etwa auf Demonstrationen, werden durch Referenzdatenbestände, etwa auf sozialen Netzwerken, jederzeit identifizierbar.
- Betroffene können sich nicht mit einem Rechtsbehelf wehren, da sie hiervon keine Kenntnis haben. Verwechslungen von Personen, sog. False Positives, sind möglich. Kontrollen durch unabhängige Stellen laufen ohne Melde- und Informationspflichten ins Leere, da für derartige Datenbanken keine besonderen gesetzlichen Vorgaben existieren. Ein Richtervorbehalt zur Anordnung und Begrenzung solcher Maßnahmen besteht nicht.
- Der HmbBfDI hat die Polizei dazu angehört und danach das Vorgehen gegenüber dem Innensenator beanstandet. Als die Praxis daraufhin nicht geändert wurde, hat der HmbBfDI mit Bescheid vom 18.12.2018 die Löschung der Template-Datenbank angeordnet…“
Da der Hamburger Innensenator dagegen Klage erhoben hat, ist ein Verfahren vor dem Hamburger Verwaltungsgericht anhängig, das noch nicht abgeschlossen ist. Letztmals am 20.07.2020 hat der Hamburger Datenschutzbeauftragte auf seiner Homepage umfangreich zum Sachstand informiert.