Verwaltungsgericht Hannover: Demonstrationsbeobachtung per Videokamera ohne konkreten Anlass verletzt die Versammlungsfreiheit

Datenschutzrheinmain/ Oktober 21, 2014/ alle Beiträge, staatliche Überwachung / Vorratsdatenspeicherung, Videoüberwachung/ 0Kommentare

Aufkleber VÜ AKVorrat - Ausschnitt

Das Verwaltungsgericht Hannover hat mit Urteil vom 14.07.2014 über eine Klage eines Teilnehmers einer Demonstration am 21.01.2012 in Bückeburg (westlich von Hannover) entschieden. Die Polizei setzte bei der Demonstration unter anderem ein Fahrzeug des Beweis- und Dokumentationstrupps ein. Dieses Fahrzeug verfügte über eine sog. Mastkamera, die durch eine Öffnung im Dach des Fahrzeugs bis auf rund 4 Meter ausgefahren werden kann. Während der Versammlung war der Mast mit der Kamera auf ca. die Hälfte der maximalen Höhe ausgefahren; nach Angaben der Polizei soll die Kamera aber nicht im Einsatz gewesen sein. Die Versammlung verlief friedlich.

Der Kläger fühlte sich auf Grund der Einsatzmodalitäten des Überwachungsfahrzeugs in seiner Versammlungsfreiheit verletzt. Dieser Wertung schloss sich das Verwaltungsgericht Hannover an (Aktenzeichen: 10 A 226/13).

Hier ein Auszug aus der Urteilsbegründung: Das Vorhalten einer… Mastkamera zur vorbeugenden Gefahrenabwehr… verletzt den Kläger in seiner Versammlungsfreiheit. Nach den Vorschriften des Niedersächsischen Versammlungsgesetzes (NVersG) sind Bild- und Tonübertragungen und -aufzeichnungen nur unter strengen Voraussetzungen zulässig. Nach § 12 Abs. 1 Satz 1 NVersG kann die Polizei Bild- und Tonaufzeichnungen von einer bestimmten Person auf dem Weg zu oder in einer Versammlung unter freiem Himmel offen anfertigen, um eine von dieser Person verursachte erhebliche Gefahr für die öffentliche Sicherheit abzuweisen. Darüber hinaus kann die Polizei nach § 12 Abs. 2 Satz 1 NVersG eine unübersichtliche Versammlung und ihr Umfeld mittels Bild- und Tonübertragungen offen beobachten, wenn dies zur Abwehr einer von der Versammlung ausgehenden Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung erforderlich ist, und nach Satz 2 zur Abwehr erheblicher Gefahren für die öffentliche Sicherheit offen Bild- und Tonaufzeichnungen von nicht bestimmten teilnehmenden Personen (Übersichtsaufzeichnungen) anfertigen. Unstreitig waren die Voraussetzungen für ein Einschreiten nach § 12 Abs. 1 und Abs. 2 NVersG nicht erfüllt. Weder war ersichtlich, dass von einzelnen Versammlungsteilnehmern eine erhebliche Gefahr für die öffentliche Sicherheit ausgegangen ist, noch handelte es sich um eine unübersichtliche Versammlung, von der Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgingen. Dennoch hält es die Kammer zunächst für legitim, dass die Beklagte ein mit einer Mastkamera ausgestattetes Fahrzeug des Beweis- und Dokumentationstrupps vor Ort vorgehalten hat, um ggfs. zur Abwehr einer von der Versammlung ausgehenden Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung offen Bild- und Tonübertragungen vorzunehmen bzw. zur Abwehr erheblicher Gefahren für die öffentliche Sicherheit offen Bild- und Tonaufzeichnungen anfertigen zu können… Allerdings war es aus Sicht der Kammer nicht erforderlich, dass die Beamten der Beklagten die Mastkamera bereits teilausgefahren vorgehalten haben und dadurch bei den Teilnehmern der Versammlung den Eindruck erweckt haben, dass die Versammlung gefilmt oder beobachtet werde.“

Das Verwaltungsgericht Hannover stützt sich bei seiner Entscheidung auf ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts, das in seiner Entscheidung zur anlasslosen Bildaufzeichnung nach dem Bayrischen Versammlungsgesetz vom 17.02.2009 (Aktenzeichen 1 BvR 2492/08) u. a. folgendes ausgeführt hat:

Eine… weite Befugnis zur Erstellung von Übersichtsaufzeichnungen führt zu gewichtigen Nachteilen. Sie begründet für Teilnehmer an einer Versammlung das Bewusstsein, dass ihre Teilnahme und die Form ihrer Beiträge unabhängig von einem zu verantwortenden Anlass festgehalten werden können und die so gewonnenen Daten über die konkrete Versammlung hinaus verfügbar bleiben. Dabei handelt es sich überdies um sensible Daten. In Frage stehen Aufzeichnungen, die die gesamte – möglicherweise emotionsbehaftete – Interaktion der Teilnehmer optisch fixieren und geeignet sind, Aufschluss über politische Auffassungen sowie weltanschauliche Haltungen zu geben. Das Bewusstsein, dass die Teilnahme an einer Versammlung in dieser Weise festgehalten wird, kann Einschüchterungswirkungen haben, die zugleich auf die Grundlagen der demokratischen Auseinandersetzung zurückwirken. Denn wer damit rechnet, dass die Teilnahme an einer Versammlung behördlich registriert wird und dass ihm dadurch persönliche Risiken entstehen können, wird möglicherweise auf die Ausübung seines Grundrechts verzichten.“

Das Urteil des Verwaltungsgerichts Hannover im Wortlaut: http://openjur.de/u/703332.html. Das zitierte Urteil des BVerfG vom 17.02.2009 im Wortlaut : http://openjur.de/u/59180.html:

Die dem Beitrag vorangestellte Grafik wurde von der Homepage http://wiki.vorratsdatenspeicherung.de/Bild:V%C3%BC-aufkleber02-thumb.PNG kopiert und in leicht veränderter Fassung veröffentlicht.

Hinterlasse einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

*
*