Polizei in Münster (Westfalen) lehnt Videoüberwachung im Bahnhofsviertel ab
Unter der Überschrift „Bahnhofsviertel – Polizei ist gegen Videoüberwachung„ berichten die Westfälischen Nachrichten vom 27.12.2016 über eine Auseinandersetzung zwischen einem Lokalpolitiker der CDU und der Polizeiführung in Münster, ob Videoüberwachung im Bahnhofsviertel der TATORT-Stadt notwendig oder sinnvoll sei: „Die Polizei will das Bahnhofsviertel nicht mit Videokameras überwachen. Einer entsprechenden Forderung von CDU-Ratsherr Richard Halberstadt hat Polizeipräsident Hajo Kuhlisch jetzt eine Absage erteilt. ‚Eine Videoüberwachung (…) gehört nicht zu den in Münster angezeigten Maßnahmen‘, betont Kuhlisch… Zum einen gebe es im Bahnhofsviertel keinen konkreten Kriminalitätsschwerpunkt, an dem wiederholt Straftaten begangen wurden und der die Begehung solcher Taten begünstige. Zum anderen sei es sinnvoller, Beamte vor Ort einzusetzen, als sie ‚rund um die Uhr Bildschirme beobachten zu lassen‚“.
Münster ist nicht die erste Stadt, in der Lokalpolitiker (vorwiegend aus CDU/CSU, aber auch aus anderen Parteien) sich ohne Sach- und Rechtskenntnis der Forderung nach Ausbau der Videoüberwachung verschreiben. Vergleichbare Forderungen, die auf Ablehnung bei der lokalen Polizeiführung stießen, gab es im letzten Quartal u. a. in München und in Nürnberg.
Dass jetzt auch der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebunds mit geradezu abenteuerlichen Forderungen zum Ausbau der Videoüberwachung auftritt passt in die derzeit mehr als hysterische Diskussion um gefühlte Sicherheit. In der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung wird über ein Interview informiert, dass der Fuktionär der Funke-Mediengruppe unmittelbar vor Weihnachten gegeben hat: „Die gesetzlichen Regelungen des Bundes und der Länder ließen eine Ausweitung der Videoüberwachung nur eingeschränkt zu, kritisierte der Hauptgeschäftsführer des Kommunalverbands. ‚Derzeit wird in Deutschland vieles, was möglich wäre, mit Hinweis auf den Datenschutz verhindert.‘ Landsberg forderte: ‚Die strengen Datenschutzregelungen müssen dringend abgebaut werden. Dem Schutz der Allgemeinheit ist Vorrang vor dem Schutz der informationellen Selbstbestimmungsfreiheit einzuräumen.’… Darüber hinaus forderte der Vertreter des Städte- und Gemeindebunds, die Speicherfristen für Videoaufzeichnungen auszuweiten, um belastbares Material zur Verfolgung der Täter verwerten zu können… ‚Die Löschfristen sollten mindestens 2 Monate betragen.'“
Dem guten Manne sei dringend empfohlen, mal einen Blick in das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 15.12.1983 empfohlen. Es war und ist ein Meilenstein der Demokratie und des Datenschutzes. Abgeleitet aus den Artikeln 1 und 2 des Grundgesetzes wurde vom Bundesverfassungsgericht das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung als Ausfluss des allgemeinen Persönlichkeitsrechts und der Menschenwürde etabliert. Die entscheidende Botschaft aus dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts lautet:
„Mit dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung wären eine Gesellschaftsordnung und eine diese ermöglichende Rechtsordnung nicht vereinbar, in der Bürger nicht mehr wissen können, wer was wann und bei welcher Gelegenheit über sie weiß. Wer unsicher ist, ob abweichende Verhaltensweisen jederzeit notiert und als Information dauerhaft gespeichert, verwendet oder weitergegeben werden, wird versuchen, nicht durch solche Verhaltensweisen aufzufallen. […] Dies würde nicht nur die individuellen Entfaltungschancen des Einzelnen beeinträchtigen, sondern auch das Gemeinwohl, weil Selbstbestimmung eine elementare Funktionsbedingung eines auf Handlungsfähigkeit und Mitwirkungsfähigkeit seiner Bürger begründeten freiheitlichen demokratischen Gemeinwesens ist. Hieraus folgt: Freie Entfaltung der Persönlichkeit setzt unter den modernen Bedingungen der Datenverarbeitung den Schutz des Einzelnen gegen unbegrenzte Erhebung, Speicherung, Verwendung und Weitergabe seiner persönlichen Daten voraus. Dieser Schutz ist daher von dem Grundrecht des Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG umfasst.“