Polizei in Hessen: „Werbung“ für Videoüberwachung frei zugänglicher öffentlicher Straßen und Plätze auf veralteter Rechtsgrundlage

CCTV-NeinDanke/ Februar 16, 2022/ alle Beiträge, Hessische Landespolitik, Hessischer Datenschutz, Polizei und Geheimdienste (BRD), Videoüberwachung, Videoüberwachung in der Region/ 1Kommentare

Der hessische Innenminister Peter Beuth (CDU) erklärte Ende 2021, dass im Jahr 2021 in Hessen zusätzliche Videoüberwachungsanlagen (von der Polizei verschämt als „Videoschutz im öffentlichen Raum“ bezeichnet) in Darmstadt und in Frankfurt in Betrieb genommen und in Bad Vilbel und Offenbach die vorhandene Technik erneuert wurde. Außerdem seien Videoüberwachungsanlagen – so Herr Beuth – in Gießen, Fulda, Limburg und Frankfurt im Bereich der jeweiligen (Haupt-)Bahnhöfe in der Umsetzung. Im Jahr 2020 – so wieder Herr Beuth – seien 263 Kameras in 19 hessischen Städte zur Überwachung von öffentlichen Straßen und Plätzen im Einsatz gewesen. 2021 sei die Zahl der polizeilichen Überwachungskameras um 35 (=13,3 %) gegenüber 2020 erhöht worden.

Ein Mitglied der Bürgerrechtsgruppe dieDatenschützer Rhein Main recherchierte aus diesem Anlass, welche Informationen die hessische Polizei interessierten Kommunalverwaltungen zur Verfügung stellt, wenn sie prüfen wollen, ob, wie und zu welchen rechtlichen, tatsächlichen und finanziellen Bedingungen sie polizeiliche Videoüberwachungsanlagen in ihrer jeweiligen Stadt / Gemeinde finanzieren bzw. bereitstellen wollen.

Die hessische Polizei hat mit Datum 19.03.2021 auf Ihrer Homepage eine 74-seitige Broschüre (Handlungsempfehlung Videoüberwachung in Hessen) veröffentlicht, die noch immer auf dem Stand Juli 2017

und damit auch für juristische Laien erkennbar nicht mehr „up to date“. Denn Ende Mai 2018 wurde nicht nur die Europäische Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) das Maß (fast) aller Dinge in Sachen Datenschutz und damit auch in Sachen Videoüberwachung. Zum diesem Zeitpunkt trat auch das Hessische Datenschutz- und Informationsfreiheitsgesetz (HDSIG) in Kraft. Auch das Hessische Gesetz über die öffentliche Sicherheit und Ordnung (HSOG) wurde in diesen Zusammenhang novelliert. In Ihrer Broschüre nimmt die hessische Polizei aber noch immer auf das davor geltende Hessische Datenschutzgesetz (HDSG) sowie auf eine nicht mehr aktuelle Fassung des HSOG Bezug. Drei Beispiele:

 Im „Anhang 1 ‚Rechtliche Bewertung für Videoüberwachungsanlagen im öffentlichen Raum‘ zur Handlungsempfehlung für die Errichtung und den Betrieb von Videoüberwachungsanlagen im öffentlichen Raum“ wird in den Abschnitten „3.1 Videoüberwachung öffentlicher Straßen und Plätze (§ 14 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 HSOG)“ und „3.2 Videoüberwachung zur Objektsicherung besonders gefährdeter öffentlicher Einrichtungen (§ 14 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 HSOG)“ Bezug genommen auf Rechtsnormen, die sich so in der aktuell gültigen Fassung des HSOG nicht wiederfinden

Im „Anhang 5 ‚Verfahrensverzeichnis‘ (Muster) zur Handlungsempfehlung für die Errichtung und den Betrieb von Videoüberwachungsanlagen im öffentlichen Raum“ wird Bezug genommen auf ein „Verfahrensverzeichnis nach § 28 HSOG“, das sich in dieser Form und in der genannten Rechtsgrundlage nicht mehr auffinden lässt. § 28 HSOG in der aktuellen Fassung regelt „Protokollierung bei verdeckten und eingriffsintensiven Maßnahmen, Verwendungsbeschränkung“, aber keine Verfahrensverzeichnisse.

In „Anhang 6 ‚Mustervertrag zur Datenverarbeitung im Auftrag, Nutzungsüberlassungsvereinbarung und Kooperationsvereinbarung zwischen Stadt, Polizei Hessen und Bundespolizei, z. B. zur Videoüberwachung eines S-Bahnhofs und dessen Umfeld‘ zur Handlungsempfehlung für die Errichtung und den Betrieb von Videoüberwachungsanlagen im öffentlichen Raum“ werden „Wichtige Hinweise“ gegeben. Der erste: „Eine Auftragsdatenverarbeitung nach § 4 HDSG liegt nicht vor, wenn…“. Auch dies der Hinweis auf eine Rechtsnorm, die aktuell nicht mehr gültig ist.

Mit E-Mail vom 26.01.2022 fragte die Bürgerrechtsgruppe dieDatenschützer Rhein Main beim Landeskriminalamt (LKA), dem Herausgeber der Broschüre, an:

Am 16.02,2022 ging die Antwort des LKA ein. Im Kern lautet sie: „Die ‚Handlungsempfehlung für die Errichtung und den Betrieb von Videoüberwachungsanlagen im öffentlichen Raum in Hessen‘ befindet sich seit dem vergangenen Jahr durch eine behördenübergreife Arbeitsgruppe, unter Einbeziehung des Hessischen Datenschutzbeauftragten, in einer umfassenden Überarbeitung. Aufgrund der weitreichenden und komplexen Thematik und dem Änderungsbedarf einer Vielzahl von Textpassagen, insbesondere im Bereich Recht und Datenschutz, bedarf die Überarbeitung jedoch einer gewissen Zeit, da zahlreiche Abstimmungsprozesse und -gespräche durchgeführt werden müssen… Der Prozess ist in einem fortgeschrittenen Stadium, mit einer Veröffentlichung der neuen Handlungsempfehlung ist im ersten Quartal des Jahres 2022 zu rechnen…“

Was dem erstaunten Leser dazu einfällt: Rom wurde auch nicht an einem Tag erbaut! – oder: Gut Ding (?!?) will Weile haben.

 

1 Kommentar

  1. Offensichtlich ist die Stadt sich so sicher dass jeder sich über die Überwachung freut, da spielt es keine Rolle mehr, ob das Ganze auch Rechtskonform gestaltet ist.

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