Oberverwaltungsgericht NRW bestätigt erneut: Anlasslose Videoüberwachung von Demonstrationen / Kundgebungen durch die Polizei ist rechtswidrig

Datenschutzrheinmain/ Mai 6, 2020/ alle Beiträge, Polizei und Geheimdienste (BRD), Videoüberwachung/ 1 comments

Der Düsseldorfer Rechtsanwalt Jasper Prigge veröffentlichte am 03.05.2020 auf seiner Homepage eine Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts (OVG) NRW vom 11.03.2020 (Aktenzeichen: 15 A 1139/19), in der festgestellt wurde:

  • ist die Anfertigung von Übersichtsaufzeichnungen von einer Versammlung mit Foto- und/oder Videotechnik nach dem heutigen Stand der Technik für die Aufgezeichneten immer ein Grundrechtseingriff, weil die Einzelpersonen auch in Übersichtsaufzeichnungen in der Regel individualisierbar mit erfasst sind. Sie können, ohne dass technisch weitere Bearbeitungsschritte erforderlich sind, durch schlichte Fokussierung erkennbar gemacht werden, so dass einzelne Personen identifizierbar sind…“
  • Die polizeiliche Erstellung von Übersichtsaufzeichnungen führt daher zu gewichtigen Nachteilen. Sie begründet für Teilnehmer an einer Versammlung das Bewusstsein, dass ihre Teilnahme und die Form ihrer Beiträge unabhängig von einem zu verantwortenden Anlass festgehalten werden können und die so gewonnenen Daten über die konkrete Versammlung hinaus verfügbar bleiben. Dabei handelt es sich überdies um sensible Daten. In Frage stehen Aufzeichnungen, welche die gesamte – möglicherweise emotionsbehaftete Interaktion der Teilnehmer optisch fixieren und geeignet sind, Aufschluss über politische Auffassungen sowie weltanschauliche Haltungen zu geben. Das Bewusstsein, dass die Teilnahme an einer Versammlung in dieser Weise festgehalten wird, kann Einschüchterungswirkungen haben, die zugleich auf die Grundlagen der demokratischen Auseinandersetzung zurückwirken. Wer damit rechnet, dass die Teilnahme an einer Versammlung behördlich registriert wird und dass ihm dadurch persönliche Risiken entstehen können, wird möglicherweise auf die Ausübung seines Grundrechts verzichten. Dies würde nicht nur die individuellen Entfaltungschancen des Einzelnen beeinträchtigen, sondern auch das Gemeinwohl, weil die kollektive öffentliche Meinungskundgabe eine elementare Funktionsbedingung eines auf Handlungs- und Mitwirkungsfähigkeit seiner Bürger gegründeten demokratischen und freiheitlichen Gemeinwesens ist.“

Dieser Beschluss ist unanfechtbar. Das OVG NRW bestätigte damit eine sinngemäß gleichlautende Entscheidung des Verwaltungsgerichts Gelsenkirchen gegen das Land Nordrhein-Westfalen, vertreten durch das Polizeipräsidium Dortmund.


Zum Ergebnis eines anderen verwaltungsgerichtlichen Verfahrens wg. Videoüberwachung einer Kundgebung / Demonstration in Köln erklärte das OVG NRW in einer Pressemitteilung vom 13.03.2019:

Das Polizeipräsidium Köln muss mehrere Kameras, die zur Beobachtung des öffentlichen Straßenraums am Wiener Platz dauerhaft installiert sind, während einer Versammlung am 14. März 2020 abdecken. Dazu hat das Verwaltungsgericht Köln die Polizei im Wege einer einstweiligen Anordnung verpflichtet. Die dagegen gerichtete Beschwerde vor dem Oberverwaltungsgericht hat keinen Erfolg. Zur Begründung seines heute getroffenen Beschlusses hat der 15. Senat im Wesentlichen ausgeführt: Die Kamerapräsenz stelle einen Eingriff in das Versammlungsgrundrecht aus Art. 8 Abs. 1 GG dar. Sie sei grundsätzlich geeignet, einschüchternd oder abschreckend auf die Versammlungsteilnehmer zu wirken. Dafür sei unerheblich, dass die Polizei die Kameras für die Dauer der Versammlung abschalten wolle. Denn dies sei für die Versammlungsteilnehmer nicht bzw. nicht hinreichend verlässlich erkennbar. Schließlich sei nicht ersichtlich, dass das Abdecken der Kameras für die Polizei einen unzumutbaren Aufwand mit sich bringe oder deren Aufgabenerfüllung im Übrigen wesentlich beeinträchtige.

Der Beschluss ist unanfechtbar. Aktenzeichen: 15 B 332/20 (I. Instanz: VG Köln – 20 L 453/20 -)”

 

1 Comment

  1. Und wie immer werden diese und künftige Verstöße gegen Grundrechte keine Auswirkungen für die Täter haben…

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