Nein zu den geplanten Verschärfungen im Sicherheits- und Migrationsrecht
Die Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) hat die von der Bundesregierung und den sie tragenden Ampel-Parteien SPD, Grüne und FDP ausgearbeiteten Entwürfe für neue rechtliche Regelungen im Sicherheits- und Migrationsrecht einer Bewertung unterzogen und lehnt diese ab.
Eingangs stellt die GFF fest: „Es ist legitim und nachvollziehbar, nach dem schrecklichen Anschlag von Solingen zu überlegen, ob der Schutz vor solchen Angriffen durch Gesetzesänderungen verbessert werden kann. Es ist jedoch die Aufgabe des Parlaments, gerade in solchen Zeiten besonnen und zielgerichtet zu handeln und terroristischen Anschlägen den Rechtsstaat entgegensetzen: Entschlossene Durchsetzung des geltenden Rechts unter Berücksichtigung der Grund- und Menschenrechte und rechtliche Ergänzungen nur mit Augenmaß und wenn sie wirklich mehr Sicherheit versprechen. Genau diese Besonnenheit und das rechtsstaatliche Augenmaß lässt die Regierung vermissen… Jede einzelne Neuerung greift massiv in Grundrechte ein… Die Verschärfungen lassen eine gewissenhafte Abwägung von Grundrechten vermissen und berücksichtigen an vielen Stellen nicht die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sowie höherrangiges Recht.“
Die GFF äußert sich zu den geplanten Verschärfungen im Asylrecht (Bundestags-Drucksache 20/12805)
und im Sicherheitsrecht (Bundestags-Drucksache 20/12806) In mehreren Abschnitten, u. a. zur
- Kürzung von Sozialleistungen für Asylbewerber*innen;
- Erleichterung von Ausweisungen;
- Aufweichung von Abschiebungsverboten;
- Verschärfungen im Waffengesetz;
- nachträglicher biometrischer Abgleich mit dem Internet zur Gefahrenabwehr und Strafverfolgung und
- nachträglicher biometrischer Abgleich mit dem Internet durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF)
wird die Kritik detailliert ausgeführt. Da die beiden letzten Punkte das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung und datenschutzrechtliche Probleme benennen, werden sie nachfolgend im Wortlaut wiedergegeben:
“Nachträglicher biometrischer Abgleich mit dem Internet zur Gefahrenabwehr und Strafverfolgung
Das BKA und die Bundespolizei sollen eine neue Standardbefugnis erhalten, um biometrische Daten zu Gesichtern und Stimmen mit dem Internet abzugleichen. Die Maßnahme hat ein sehr hohes Eingriffsgewicht mit Blick auf ihre Heimlichkeit, die hohe Streubreite (betroffen sind alle Personen, von denen Gesichtsbilder oder Audiodateien im Internet zugänglich sind), erhebliche Fehlerquoten (insbes. Anfälligkeit für Diskriminierung) und die Aufdeckung auch von besonders sensiblen Daten (z.B. bei Aufnahmen von Demos, Parteiveranstaltungen etc.).
- Es bleibt im Gesetzentwurf unklar, wie der Abgleich technisch erfolgen soll, obwohl die technische Umsetzung sehr relevant ist für die grundrechtliche Bewertung. Der Aufbau einer eigenen biometrischen Referenzdatenbank auf Vorrat durch die Polizeibehörden läge nahe, wäre aber unzulässig. Schon das Verfassungsrecht stünde der anlasslosen Erfassung aller Personen entgegen, von denen Gesichtsbilder oder Audiodateien im Internet zugänglich sind; Art. 5 Abs. 1 lit. e der KI-Verordnung der EU verbietet außerdem die Verwendung von KI-Systemen, die Datenbanken zur Gesichtserkennung durch sog. Scrapen erstellen.
- Die Nutzung der Datenbanken von Privatanbietern wäre ebenfalls unzulässig. Anbieter wie PimEyes verstoßen sowohl gegen die KI-Verordnung (s.o.) als auch gegen Datenschutzrecht. Der Staat darf keine rechtswidrigen Angebote Dritter nutzen. Ebenso wenig darf er seine eigenen Beschränkungen (s.o.) dadurch umgehen, dass er auf etwaige legale Angebote Privater zurückgreift. Beides scheint nach dem gegenwärtigen Entwurf jedoch möglich.
- Zusätzlich zu diesen grundsätzlichen Bedenken gegenüber der Maßnahme gilt Folgendes: Das hohe Eingriffsgewicht der Maßnahme (s.o.) rechtfertigt ihren Einsatz überhaupt nur zum Schutz herausragender Rechtsgüter, was sich insbesondere dadurch widerspiegeln sollte, dass Bezugnahmen auf Straftaten nach § 100a Abs. 2 StPO – worunter z.B. bestimmte Verstöße gegen das Konsumcannabisgesetz oder Formen der Veruntreuung von Arbeitsentgelten fallen – zu ersetzen sind durch Bezugnahmen auf § 100b Abs. 2 StPO. Die Regelung zur Einbeziehung von nicht verantwortlichen Personen nach § 20 BPolG erlaubt im Ergebnis den Zugriff auf jede beliebige Person. Es muss dringend klargestellt werden, dass die Voraussetzungen des § 20 BPolG vorliegen müssen (vgl. etwa die Formulierung in § 45 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BKAG). o Die Echtzeit-Fernidentifikation ist gem. Art. 5 Abs. 1 lit. h KI-Verordnung nur in engen Grenzen erlaubt, was der Entwurf allerdings nur teilweise berücksichtigt: Echtzeit-Abgleich ist nicht für Stimmen ausgeschlossen, nur für Bild und Video.
Nachträglicher biometrischer Abgleich mit dem Internet durch das BAMF
Der biometrische Abgleich durch das BAMF für Zwecke der Identitätsfeststellung verletzt außerdem von vornherein die Anforderungen an die Verhältnismäßigkeit. Der Zweck ist von deutlich geringerem Gewicht als etwa bei der Terrorabwehr. Hinzukommt, dass die Fehlerquote für nichtweiße Personen besonders hoch ist. Außerdem sind die Folgen eines potentiell fehlerhaften Abgleichs für die Betroffenen enorm. Wie bereits bei dem Thema Handydatenauswertung wird unzulässig ein Sonderrecht zulasten von Schutzsuchenden geschaffen.“