Europäischer Gerichtshof: Vorratsdatenspeicherung in Deutschland ist rechtswidrig

Datenschutzrheinmain/ September 20, 2022/ alle Beiträge, Beschäftigten- / Sozial- / Verbraucherdaten-Datenschutz, Vorratsdatenspeicherung/ 3Kommentare

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat am 20.09.2022 entschieden, dass die in Deutschland normierte Speicherpflicht in § 176 Telekommunikationsgesetz (TKG) rechtswidrig ist.

In einer Pressemitteilung vom 20.09.2022 teilt der EuGH mit: Der Gerichtshof bestätigt, dass das Unionsrecht einer allgemeinen und unterschiedslosen Vorratsspeicherung von Verkehrs- und Standortdaten entgegensteht, es sei denn, es liegt eine ernste Bedrohung für die nationale Sicherheit vor. Zur Bekämpfung schwerer Kriminalität können die Mitgliedstaaten jedoch unter strikter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit insbesondere eine gezielte Vorratsspeicherung und/oder umgehende Sicherung solcher Daten sowie eine allgemeine und unterschiedslose Speicherung von IP-Adressen vorsehen.“

Das Urteil des EuGH (Aktenzeichen: C‑793/19 und C‑794/19) ist hier im Wortlaut veröffentlicht.

Patrick Breyer, langjähriges aktives Mitglied des Arbeitskreis gegen Vorratsdatenspeicherung (AK Vorrat), hat in einer ersten Stellungnahme zum EuGH-Urteil die Bundesregierung aufgefordert, den Koalitionsvertrag umzusetzen und jede Form der anlasslosen Vorratsdatenspeicherung zu beenden“ und erklärt:

„Die massenhafte und flächendeckende Aufzeichnung der Kommunikation, Bewegungen und Internetnutzung völlig unbescholtener Menschen ist eine totalitäre Maßnahme, die mit den Werten einer freien Demokratie nicht vereinbar ist. Der EU-Gerichtshof hat auf massiven Druck überwachungswütiger Regierungen eine IP-Vorratsdatenspeicherung im Internet nicht beanstandet. Sie würde aber jeden Internetnutzer unter Generalverdacht stellen und die Internetnutzung der gesamten Bevölkerung, die unsere intimsten Vorlieben und Schwächen abbildet, nachvollziehbar machen. IP-Adressen sind wie unsere digitalen Fingerabdrücke. Eine so totale Erfassung würde Kriminalitätsvorbeugung durch anonyme Beratung und Seelsorge, Opferhilfe durch anonyme Selbsthilfeforen und auch die freie Presse gefährden, die auf anonyme Informanten angewiesen ist.“

Breyer weist die Forderung von Bundesinnenministerin Faeser (SPD) nach einer Vorratsspeicherung von IP-Adressen zur Verfolgung von Missbrauchsdarstellungen und Kinderpornografie im Netz zurück.

Mit seiner Entscheidung hat der EuGH eine vorgelegte Rechtsfrage beantwortet. Damit ist das Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht fortzusetzen, dass unter Beachtung des heutigen Urteils eine eigene Entscheidung treffen wird.

Die Teile des Gesetzes, die gegen die Grundrechtecharta verstoßen, dürfen in Deutschland nicht angewendet werden.

3 Kommentare

  1. Es ist klar dass dieses Urteil nur ein temporäres Aufhalten darstellt. Es wird letztendlich so oder so dazu kommen, dass ALLE datenschutzrechtlichen Beschränkungen aufgehoben werden und es ist bereits merklich und absehbar, dass die Menschen eventuell sogar danach fordern werden. Man bedenke hierbei dass Überwachung noch vor 20 Jahren als unmenschlich und unvereinbar mit westlichen Sozialstrukturen galt, und heute nicht nur als Normalität gilt, sondern von den Menschen aktiv gefordert wird. Die Überwachungskamera gilt im Rahmen des „Smart Homes“ als Standardinventar, ähnlich wie Herd, Toilette und Türklingel. Die Leute sehen es als „Bürgerpflicht“ an, die Straße vor ihrem Haus zu filmen und wünschen sich stetig mehr Überwachung. Ähnlich wird es mit allen Daten aussehen. Es ist nur eine Frage der Zeit und der sozialen Konditionierung.

  2. Der Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung hat ein Wissensquiz: IP-Vorratsdatenspeicherung mit 16 Fragen veröffentlicht – http://www.vorratsdatenspeicherung.de/abstimmen/index.php.

    Ein Angebot an alle, die ihre Kenntnisse zum Thema Vorratsdatenspeicherung überprüfen möchten.

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