Eine Seuche breitet sich aus – jetzt auch in Hanau: Videoüberwachung öffentlicher Straßen und Plätze

Datenschutzrheinmain/ November 21, 2016/ alle Beiträge, Videoüberwachung, Videoüberwachung in der Region/ 0Kommentare

In Darmstadt haben Grüne- und CDU-Stadtverordnete vor wenigen Tagen beschlossen, einen zentralen Platz in der Innenstadt mit Videoüberwachungskameras ins Visier zu nehmen. In Frankfurt  haben die Fraktionen von CDU, SPD und Grünen im Frühsommer in ihrer Koalitionsvereinbarung festgelegt, dass neben den vorhandenen Polizeikameras am Hauptbahnhof und der Konstablerwache Videokameras an 2 weiteren Standorten in der Frankfurter Innenstadt errichtet werden sollen. Und jetzt auch Hanau, dort die Koalitionsfraktionen von SPD, Grünen, FDP und Bürger für Hanau (BfH); zu diesem Thema unterstützt von der CDU-Opposition. In einer Pressemitteilung vom 21.11.2016 wird erklärt: „Eine spürbare Erhöhung des Sicherheitsempfindens und eine damit einhergehende Steigerung der Aufenthaltsqualität in der Innenstadt verspricht sich die Stadt Hanau von einer jetzt auf den Weg gebrachten Planung zur Videoüberwachung an drei ausgewählten zentralen Plätzen.“ Und weiter: „Eine diffuse, manchmal gar nicht begründbare Furcht, Opfer eines Übergriffs zu werden, beeinträchtige nicht nur das subjektive Wohlbefinden, sondern führe schnell auch zu Vermeidungsstrategien, was dem Bemühen der Stadt um eine Innenstadtbelebung zuwiderlaufe.“

Schon merkwürdig, wie hier argumentiert wird: Eine spürbare Erhöhung des Sicherheitsempfindens, also einer subjektiven (durch Fakten nicht belegten) Wahrnehmung soll erreicht werden. Gleichzeitig wird aber konstatiert, dass es in der Hanauer Bürgerschaft eine diffuse, manchmal gar nicht begründbare Furcht, Opfer eines Übergriffs zu werden gäbe.

Ja, was denn nun?

  • Kann das Begründung dafür sein, den hunderten von Menschen, die sich täglich auf dem Freiheitsplatz und dem Marktplatz bewegen und die nicht verdächtigt werden, vorsätzlich oder fahrlässig die öffentliche Sicherheit oder Leib, Leben und Wohlbefinden anderer Menschen zu gefährden, Polizeikameras zuzumuten?
  • Gibt es belastbare und für die interessierte Öffentlichkeit überprüfbare Daten, dass es am Freiheitsplatz und am Marktplatz in Hanau ein erhöhtes Aufkommen von Drogen- und Kleinkriminalität, Diebstählen und Raubüberfällen gibt?
  • Gibt es belastbare und für die interessierte Öffentlichkeit überprüfbare Daten, dass andere Mittel der Gewaltprävention und der Aufklärung von Straftaten an den genannten Stellen nicht zur Verfügung stehen oder nicht geeignet sind, das gewünschte Ziel zu erreichen?
  • Gibt es belastbare und für die interessierte Öffentlichkeit überprüfbare Daten, dass die Videoüberwachung der genannten Plätze dieses Risiko reduzieren kann?

Diese Fragen sollten der Hanauer Oberbürgerbürgermeister Claus Kaminsky (SPD) und die Magistratsmitglieder und Stadtverordneten von SPD, Grünen, FDP und BfH beantworten. Erst dann ist eine ergebnisoffene Diskussion über öffentliche Sicherheit, Belebung zentraler Plätze in der Hanauer Innenstadt, subjektives Sicherheitsempfinden und überprüfbare Fakten möglich.

Es würde auch nicht schaden, wenn sich Politiker – egal welcher Couleur – vor dem derzeit auf breiter Front laufenden Wettbewerb „Auch wir wollen mehr Videokameras in unserer Stadt“ bei Wissenschaftlern und Datenschützern über Chancen und Risiken von Videoüberwachung informieren würden. Dazu gibt es aus den letzten Tagen zwei aktuelle und lesenswerte Stellungnahmen:

  • Das Darmstädter Echo lässt in seiner Ausgabe vom 19.11.2016 in einem Interview unter der Überschrift „Mehr Kameras, mehr Sicherheit?“ den Kriminologen Prof. Dr. Thomas Feltes (Ruhr-Universität Bochum) zu Wort kommen. Mit bemerkenswerten Aussagen. Auf die Frage „Schreckt eine Überwachungsanlage potenzielle Täter ab?“ antwortet Prof. Feltes: „Das ist Blödsinn. Eine präventive Wirkung von Videoüberwachung ist lediglich beim Kfz-Diebstahl bewiesen. Wenn sie einen Parkplatz mit Video überwachen, haben sie dort weniger Diebstähle. Bei allen anderen Straftaten, vor allem im Bereich der Kleinkriminalität, haben weltweite Studien gezeigt, dass sie überhaupt keinen abschreckenden oder präventiven Effekt hat.“ Und zur Frage „Können durch Videoüberwachung andere Straftaten wenigstens im Nachhinein aufgeklärt werden?“ stellt er fest: „… Bei einer schweren Straftat, etwa einem geplanten Raubüberfall, wird der Täter kaum unmaskiert in die Kamera schauen. Britische und deutsche Studien haben gezeigt, dass Videoüberwachungs-Maßnahmen die Aufdeckungsrate von Straftaten nicht steigern. Ein Zusammenhang zwischen der Zahl der installierten Kameras und der Aufklärungsquote ist nicht feststellbar.“
  • Prof. Feltes kommt damit zum gleichen Ergebnis wie die Datenschutzbeauftragten der 16 Bundesländer, die kürzlich Stellung genommen haben zum geplanten Videoüberwachungs“verbesserungs“gesetz von Bundesinnenminister Lothar de Maizière (CDU). Sie erklärten u. a.: „Auch die mögliche Erhöhung eines faktisch ungerechtfertigten subjektiven Sicherheitsgefühls könnte Grundrechtseingriffe nicht rechtfertigen.“

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