15 Jahre Agenda 2010 mit Angst-Armut-Niedriglohn – auch ein datenschutzrechtliches Thema ?
Ja! – insbesondere Hartz IV, wie das Arbeitslosengeld II häufig genannt wird, ist auch ein Thema für Datenschützer*innen.
Am 01.01.2005 ist das Sozialgesetzbuch II (SGB II) in Kraft getreten. Mit der Zusammenlegung von Sozialhilfe und Arbeitslosenhilfe verbunden war eine Absenkung der finanziellen Unterstützung von Erwerbslosen und die Schaffung der Jobcenter. Es wurden Behörden aufgebaut, die Daten über Millionen von Menschen in Deutschland sammeln, speichern und verarbeiten. Und nicht selten gerät dabei das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung unter die Räder, das sich auf Art. 1 („Die Würde des Menschen ist unantastbar“) und Art. 2 Grundgesetz („Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit..“) stützt.
Drei aktuelle Beispiele aus der Region Rhein-Main illustrieren diese Problematik:
1. Die aktivApp der kommunalen Jobcenter Offenbach-Land (Pro Arbeit), Offenbach-Stadt (MainArbeit) und Maintaunuskreis
Pro Arbeit, das kommunale Jobcenter des Landkreises Offenbach, teilt am 13.12.2019 auf seiner Homepage mit: „Was kann ein Hartz-IV-Empfänger tun, um erwerbsfähig zu bleiben? Wie kann er erkennen, ob er gefährdet ist, seine Erwerbsfähigkeit zu verlieren? Diese Fragen werden die Kommunalen Jobcenter der Kreise Offenbach und Main-Taunus sowie der Stadt Offenbach künftig noch stärker im Blick haben. Gemeinsam starten sie ab Januar 2020 das Pilotprojekt ‚Kooperation für Prävention, Fitness und Gesundheit im Jobcenter‘ (KOPF22)… Ein zentraler Bestandteil des Projektes ist die Entwicklung einer ‚aktivAPP‘. Mit ihr erfassen Langzeitarbeitslose persönliche Daten zu ihren individuellen Lebensbedingungen, woraus die App einen Wert berechnet; den sogenannten ‚reha score‘. Dieser Score gibt an, ob und wie stark die Erwerbsfähigkeit eines Menschen bereits gefährdet ist. Aus den Ergebnissen werden maßgeschneiderte Förderstrategien abgeleitet, um die Arbeitsfähigkeit des Einzelnen zu erhalten und zu stärken…“ In einer Projektdarstellung werden weitere Einzelheiten der beschriebenen Maßnahme bekannt gegeben. Auf der Grundlage dieser Information stellen sich eine Vielzahl von Fragen datenschutzrechtlicher Natur. Sie wurden von dem für das Projekt verantwortlich zeichnenden kommunalen Jobcenter des Landkreises Offenbach nur rudimentär beantwortet.
2. Das Jobcenter Frankfurt und die Forderung nach Vorlage ungeschwärzter Kontoauszüge
Um nachweisen zu können, dass Antragsteller*innen auf Leistungen nach SGB II ihren Lebensunterhalt aus eigenen Kräften und Mittel nicht oder nicht vollständig bestreiten können, müssen sie sich gegenüber dem jeweiligen Jobcenter mit ihren persönlichen – auch finanziellen – Lebensbedingungen umfassend „aufblättern“. Zu den Unterlagen, die sie bei Anträgen auf Leistungen vorlegen müssen, zählen neben Nachweisen, wo und mit welchen anderen Menschen sie zusammenleben, auch die Vorlage von Arbeits- und Mietverträgen sowie Kontoauszüge. Diese Unterlagen (insbesondere die Kontoauszüge) enthalten neben Daten, die die Jobcenter zur Berechnung und Bewilligung von Leistungen benötigen, auch eine Vielzahl von Angaben, die Auskunft über die persönlichen Lebensverhältnisse geben, für die Leistungsberechnung aber irrelevant sind. Dazu zählen insbesondere die in Art. 9 DSGVO genannten „besonderen Kategorien personenbezogener Daten“ (das sind z. B. „Daten, aus denen die rassische und ethnische Herkunft, politische Meinungen, religiöse oder weltanschauliche Überzeugungen oder die Gewerkschaftszugehörigkeit hervorgehen, sowie… Gesundheitsdaten oder Daten zum Sexualleben oder der sexuellen Orientierung“). Aber auch Daten die Auskunft geben darüber, wo und was an Alltagsgegenständen und Lebensmitteln eingekauft wird, sind für die Berechnung und Bewilligung von Leistungen nicht notwendig. Wenn Jobcenter – so z. B. das Jobcenter Frankfurt im Jahr 2019 – die Vorlage ungeschwärzter Kontoauszüge verlangen, handeln sie rechtswidrig. Aber auch das – nach Protesten von Betroffenen – geänderte Merkblatt des Jobcenters Frankfurt
ist nicht DSGVO-konform. Die Formulierung „Bei Ausgabebuchungen muss der Buchungsfall für das Jobcenter… plausibel bleiben“ ist ungenügend und irreführend. In einer Stellungnahme des Bundesdatenschutzbeauftragten ist im Abschnitt „Wie muss ich Kontoauszüge vorlegen und was passiert damit?“ eindeutig formuliert: „Bei Ausgabebuchungen dürfen das Buchungs- und Wertstellungsdatum oder der Betrag ebenfalls nicht geschwärzt werden.“ Das Jobcenter muss aber nicht wissen, ob Einkäufe bei Aldi, Edeka, Lidl, Rewe oder in einem Fachgeschäft getätigt und mit Karte bezahlt wurden. Und auch hier gilt: Nur Zahlungen mit Bargeld sichern die Anonymität – sowohl gegenüber den ZahIungsempänger*innen als auch gegenüber den Behörden.
3. Das Jobcenter Offenbach Stadt (MainArbeit) und seine Praxis, Personalausweise und Pässe zu kopieren
Das kommunale Jobcenter MainArbeit Offenbach ist seit Jahren bekannt und berüchtigt dafür, dass es rechtswidrig Kopien von Personalausweisen und Pässen anfertigt und zu den Akten nimmt. Nachdem diese Praxis offiziell beendet wurde, legt die MainArbeit den Antragsteller*innen auf SGB-II-Leistungen rechtlich zweifelhafte Einwilligungserklärungen vor. Was die Behörde dabei unterschlägt: Die DSGVO enthält in Erwägungsgrund 43 („Zwanglose Einwilligung“) einen Maßstab, den das kommunale Jobcenter MainArbeit Offenbach in seiner Praxis grob missachtet. Dieser Maßstab lautet unmissverständlich: „Um sicherzustellen, dass die Einwilligung freiwillig erfolgt ist, sollte diese in besonderen Fällen, wenn zwischen der betroffenen Person und dem Verantwortlichen ein klares Ungleichgewicht besteht, insbesondere wenn es sich bei dem Verantwortlichen um eine Behörde handelt, und es deshalb in Anbetracht aller Umstände in dem speziellen Fall unwahrscheinlich ist, dass die Einwilligung freiwillig gegeben wurde, keine gültige Rechtsgrundlage liefern.“
Die Veranstaltung findet nicht statt, da die Saalbau GmbH alle ihre Versammlungsräume derzeit geschlossen hat
„15 Jahre Agenda 2010 Angst-Armut-Niedriglohn“- Veranstaltung am 1. April in Frankfurt
Das Bündnis AufRecht bestehen! Rhein-Main lädt zu diesem Thema ein zu einer Informations- und Diskussionsveranstaltung am 01.04.2020 um 19.00 Uhr im Bürgerhaus Bornheim (Clubraum 1), Arnsburger Str. 24, 60385 Frankfurt. Vertreter*innen der Bürgerrechtsgruppe dieDatenschützer Rhein Main werden in dieser Veranstaltung zu datenschutzrechtlichen Fragestellungen im Verhältnis zwischen Jobcentern und antragstellenden Bürger*innen informieren.
Die Einladung zur Veranstaltung finden Sie hier.