Polizeiliche Videoüberwachung jetzt auch im Frankfurter „Apfelweinviertel“ Sachsenhausen?
Das Frankfurter Polizeipräsidium reizt seine neuen gesetzlichen Möglichkeiten zur Videoüberwachung, die der Hessische Landtag mit der Mehrheit von CDU und SPD im hessischen Polizeirecht (§ 14 HSOG) im Dezember 2024 beschlossen, in voller Breite und hohem Tempo aus.
Neben der neu installierten Videoüberwachung der Westendsynagoge und dem Ausbau bzw. der technischen Aufrüstung der Polizeikameras im Bahnhofsviertel (KI-gestützte Gesichtserkennung) sollen – so wünscht es sich Polizeipräsident stefan Müller – auch das Apfelweinviertel im Stadtteil Sachsenhausen mit Polizeikameras überwacht werden.
Das berichtet die Frankfurter Neue Presse am 01.03.2025: „Nach Bahnhofsviertel, Haupt- und Konstablerwache will die Polizei auch das beliebte Kneipenviertel in Alt-Sachsenhausen sicherer machen und per Videokamera überwachen. Diese Forderung an die Stadt erhebt Polizeipräsident Stefan Müller. ‚Wir haben dort einen Brennpunkt“. Besonders betroffen seien im Ausgehquartier die Wochenend-Nächte von Freitag auf Samstag und Samstag auf Sonntag. ‚Mein Wunsch wäre es, dort auch perspektivisch Videokameras einzusetzen‘, sagt Müller. Es gehe nur um diese beiden Nächte. Damit könne ‚das Schutzniveau nochmal erhöht werden, wie im Bahnhofsviertel‘, wirbt der Polizeichef.“
Der Protest gegen diese neue Forderung nach Überwachung ist noch gering. Aber es gibt ihn.
Die Frankfurter Rundschau vom 10.03.2025 zitiert Reinhard Klapproth (Mitglied des zuständigen Ortsbeirats 5, Fraktion Die Grünen) mit der Aussage: „Seine Partei stehe der Videoüberwachung eher ablehnend gegenüber… Videoüberwachung führe allgemein eher zu Verdrängung von Kriminalität, diese verlagere sich lediglich. Für das Kneipenviertel sieht er keine Notwendigkeit… Die Situation in Sachsenhausen sei jedoch vielschichtig. Ähnlich wie etwa am Friedberger Platz, wo sich im Sommer Leute träfen, gebe es Lärm und Dreck: ‚Da muss man eben eine Streife vorbeischicken. Man sollte nicht überall Überwachung mit Videokameras installieren, ohne zuvor wirklich genau geprüft zu haben, ob sie ein geeignetes Mittel sind‘.“
Ergänzend informiert die Frankfurter Rundschau: „Auch Oliver Tamagnini von der Anliegerinitiative Alt-Sachsenhausen sieht in den Kameras keine Lösung. Ähnlich wie bei der Einrichtung der Waffenverbotszonen würden nur Symptome bekämpft. ‚Der Hauptgrund für die dramatische Situation ist die jahrelange behördliche Duldung massiver Rechtsverstöße: die permanente Überschreitung von Immissionsgrenzwerten, mit regelmäßigen Messungen von über 93 dB auf der Straße und bis zu 60 dB in Wohnungen bei geschlossenen Fenstern, exzessive Öffnungszeiten ohne wirksame Kontrollen und eine immer höhere Dichte an Verkaufskiosken mit Billigalkohol und Lachgas‘, so Tamagnini… Nur die strikte Einhaltung der Lärmschutzvorschriften, eine angemessene Sperrstunde, Maßnahmen gegen den Konsum aus Glasflaschen im öffentlichen Raum sowie ein entschiedenes Vorgehen gegen ihren Verkauf und die Missachtung des öffentlichen Raums könnten den Abstieg des Viertels und den Anstieg der Kriminalität verhindern. Hinterher erst zu reagieren und dann Videoüberwachung einzuführen, sei beim Vorgehen die falsche Reihenfolge.“
Ist der von der Polizei verbreitete Optimismus über den Nutzen von Videoüberwachung berechtigt?
Dies darf bezweifelt werden, wie der Blick im vd. Studien zum Thema Videoüberwachung zeigt:
- „… auf Gewaltkriminalität hat die Videoüberwachung keinen Einfluss… Die Überwachung eines Raumes steigert demnach das Entdeckungsrisiko (Erhöhung der Kostenseite) für einen Straftäter. Dies setzt jedoch voraus, dass ein potentieller Straftäter rational agiert. In der Praxis wird man jedoch sehr schnell feststellen, dass eine Vielzahl der Verbrechen eben nicht Ergebnis rationaler Wahlhandlungen sind, sondern affektuell geprägt sind und/ oder von unbedarften, berauschten Tätern begangen werden. Rational agierende Täter werden die Videoüberwachung vermutlich als eine Erhöhung ihres Entdeckungsrisikos wahrnehmen. Jedoch erscheint die Annahme hierduch Kriminalität zu verhindern wenig plausibel. Vielmehr wird es zu einer Verlagerung der Kriminalität kommen…“ (Veröffentlichung von Prof. Dr. Christian Wickert aus 2020, Dozent für die Fächer Soziologie und Kriminologie an der Hochschule für Polizei und öffentliche Verwaltung Nordrhein-Westfalen)
- „… Argumente für die Videoüberwachung werden aber auch darin gesehen, dass ihr eine abschreckende Wirkung für potentielle Straftäter zugeschrieben wird und dass sie gegebenenfalls die Möglichkeit eines vorbeugenden Einsatzes von Sicherheitskräften bei frühen Gefährdungsanzeichen bietet. Der wissenschaftliche Nachweis eines allgemein kriminalitätsreduzierenden Effekts der Videoüberwachung konnte bisher allerdings nicht überzeugend geführt werden. Für städtische und zentrumsnahe öffentliche Plätze fallen die Effekte sehr unterschiedlich aus, lediglich für die Eindämmung der Kriminalität in Parkhäusern und auf Parkplätzen sowie des Raubes und Diebstahls im öffentlichen Personennahverkehr erweist sich die Videoüberwachung nach bisherigen Befunden als wirksam…“ (Studie des Kriminologischen Forschungsinstitus Niedersachsen aus 2018, dort S. 54)
- „In Stadtzentren und Wohngebieten sowie im öffentlichen Nahverkehr hatte die Videoüberwachung nur geringen oder keinen signifikanten Effekt auf die Kriminalität. Es ergab sich auch kein Erfolg hinsichtlich der Verringerung von Gewaltdelikten.“ (Studie der Stiftung Deutsches Forum für Kriminalprävention aus 2005, dort S. 2)
Zum vergleichbaren Ergebnissen kommt auch eine Studie des Innenministeriums in Luxemburg aus 2021.