Oberverwaltungsgericht Lüneburg: Demonstrationsbeobachtung per Videokamera ohne konkreten Anlass verletzt die Versammlungsfreiheit

Datenschutzrheinmain/ Oktober 14, 2015/ alle Beiträge, Videoüberwachung/ 0Kommentare

Vü-aufkleber02-thumbDas Oberverwaltungsgericht Lüneburg hat mit Urteil vom 24.09.2015  (Aktenzeichen 11 LC 215/14) 14.07.2014 über eine Klage eines Teilnehmers einer Demonstration am 21.01.2012 in Bückeburg (westlich von Hannover) entschieden. Die Polizei setzte bei dieser Demonstration unter anderem ein Fahrzeug des Beweis- und Dokumentationstrupps ein. Dieses Fahrzeug verfügte über eine sog. Mastkamera, die durch eine Öffnung im Dach des Fahrzeugs bis auf rund 4 Meter ausgefahren werden kann. Während der Versammlung war der Mast mit der Kamera auf ca. die Hälfte der maximalen Höhe ausgefahren; nach Angaben der Polizei soll die Kamera aber nicht im Einsatz gewesen sein. Die Versammlung verlief friedlich.

Der Kläger fühlte sich auf Grund der Einsatzmodalitäten des Überwachungsfahrzeugs in seiner Versammlungsfreiheit verletzt. Dieser Wertung schloss sich nach dem Verwaltungsgericht Hannover  (Aktenzeichen: 10 A 226/13) auch das Oberverwaltungsgericht Lüneburg an. Es bewertet das polizeiliche Vorgehen als Eingriff in das grundgesetzlich geschützte Recht der Versammlungsfreiheit.

Hier ein Auszug aus der Urteilsbegründung:

„Durch das Vorhalten einer teilausgefahrenen, nicht in Betrieb genommenen Mastkamera während der Zwischenkundgebung wurde in die durch Art. 8 GG  geschützte Versammlungsfreiheit des Klägers eingegriffen… Die durch Art. 8 Abs. 1 GG geschützte innere Versammlungsfreiheit ist beeinträchtigt, wenn sich die Versammlungsteilnehmer durch staatliche Maßnahmen veranlasst sehen, ihre Meinungsfreiheit in der Versammlung nicht oder nicht in vollem Umfang auszuüben. Die Grundrechtsträger sollen nicht befürchten müssen, als Teilnehmer einer Versammlung wegen oder anlässlich ihrer Grundrechtsausübung staatlicher Überwachung unterworfen und gegebenenfalls Adressat nachteiliger Maßnahmen staatlicher Organe zu werden… Das Bewusstsein, dass die Teilnahme an einer Versammlung in bestimmter Weise festgehalten wird, kann Einschüchterungswirkungen haben, die zugleich auf die Grundlagen der demokratischen Auseinandersetzung zurückwirken… Wegen der Reichweite des Grundrechts auf Versammlungsfreiheit ist in der verfassungs- und verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung geklärt, dass die Anfertigung von Übersichtsaufzeichnungen, also die Speicherung von Bild- und Tonaufnahmen, angesichts des heutigen Stands der Technik für die Aufgezeichneten immer einen Grundrechtseingriff darstellt, da auch in Übersichtsaufzeichnungen die Einzelpersonen in der Regel individualisierbar mit erfasst sind…
Bei der hier gegebenen Fallkonstellation ist das Vorhalten einer teilausgefahrenen Mastkamera auf dem Dach eines Einsatzfahrzeuges der Polizei als Grundrechtseingriff zu werten… Der Kläger hatte nach seinem Vortrag den Eindruck, die Versammlungsteilnehmer würden während der Zwischenkundgebung von der Polizei mittels der teilausgefahrenen Mastkamera gefilmt. Dieser Eindruck wird durch objektive Gesichtspunkte untermauert. Nach dem Vorbringen der Beklagten war das Polizeifahrzeug mit der teilausgefahrenen Mastkamera an der Versammlungsroute so abgestellt, dass für die vorbeiziehenden Versammlungsteilnehmer kurzzeitig beim Passieren des Fahrzeuges der Eindruck des Gefilmtwerdens mit einem Weitwinkelobjektiv entstehen konnte. Die teilausgefahrene Kamera war zwar zum Heck des Fahrzeuges ausgerichtet. Das Heck stand aber nicht in einem 90 Grad Winkel zur Versammlungsroute, sondern in einem Winkel von ca. 30 Grad. Unerheblich ist, dass der Eindruck des Beobachtetwerdens nur für einen kurzen Zeitraum entstehen konnte. Das Grundrecht der Versammlungsfreiheit schützt auch vor kurzzeitigen Eingriffen…“

Die dem Beitrag vorangestellte Grafik wurde von der Homepage des Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung kopiert und in leicht veränderter Fassung veröffentlicht.

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