Landessozialgericht Berlin-Brandenburg: Jobcenter muss Kopie des Personalausweises in der elektronischen Akte unverzüglich löschen
Mit Urteil vom 30.04.2019 (Aktenzeichen: L 26 AS 2621/17) hat das Landessozialgericht Berlin-Brandenburg entschieden, dass die Klägerin einen Anspruch auf Löschung der gespeicherten Kopien des Personalausweises aus der elektronischen Akte des Jobcenters hat.
Die Vorgeschichte:
- Die Klägerin bezog über mehrere Jahre Leistungen SGB II („Hartz IV“). Der Aufforderung des Jobcenters auf Vorlage verschiedener Dokumente anlässlich ihrer erstmaligen Antragstellung auf Arbeitslosengeld II kam die Klägerin nach und legte u.a. Personalausweise für sich und ihren Ehemann sowie Krankenversicherungskarten für sich und ihre Tochter vor. Das Jobcenter fertigte je eine Kopie der Vorder- und der Rückseite des Personalausweises der Klägerin und nahm diese zu den Akten. Diese Akten wurden beim Jobcenter zunächst als Papierakten, später nur noch elektronisch geführt. Zu einem späteren Zeitpunkt – nach Ende des Leisungsbezugs – beantragten die Klägerin und ihr Ehemann die Verwaltungsakte datenschutzkonform zu löschen. Mit einem weiterem Schreiben konkretisierte die Klägerin ihren Antrag insoweit, als sie die Entfernung sämtlicher Lichtbilder und Kopien von Krankenversicherungskarten, Personalausweisen und Kontoauszügen aus der Leistungsakte begehrte. Das Jobcenter teilte daraufhin mit, dass alle Lichtbilder, Kopien der Personalausweise und der Krankenversicherungskarten sowie die Kontoauszüge aus der Papierakte der Leistungsberechnung entnommen und im Schredder vernichtet worden seien. Die Papierakte sei im Archiv abgelegt und werde nach der gesetzlichen Verjährungsfrist ebenfalls vernichtet, die Unterlagen aber noch in der elektronischen Akte gespeichert seien. Diese Speicherung sei zur Erfüllung der Aufgaben erforderlich.
- Die Klägerin und ihr Ehemann beantragten daraufhin ausdrücklich auch die Löschung der Bestandteile aus der elektronischen Akte, die aus der Papierakte des Jobcenters entfernt worden waren. Mit Bescheid lehnte das Jobcenter die Löschungsanträge ab. Nach Anhörung der Klägerin teilte das Jobcenter im Widerspruchsbescheid mit, dass das Foto auf den gespeicherten Kopien des Personalausweises aus der elektronischen Akte entfernt werde. Im Übrigen wies es den Widerspruch zurück. Zur Begründung führte das Jobcenter u.a. aus, die Speicherung des Personalausweises und der Krankenversicherungskarte sei für die Durchführung der Aufgaben nach dem SGB II erforderlich. Der Personalausweis diene der Feststellung der jeweiligen Identität. Durch die Speicherung solle der Leistungsmissbrauch durch eine mehrfach durchgeführte Antragstellung verhindert werden. Es müsse auch nach dem Ende des Leistungsbezugs eine Speicherung erfolgen, damit durch die Prüfinstanzen nachträglich noch überprüft werden könne, ob die antragstellende Person tatsächlich existent sei. Durch den Bezug von Arbeitslosengeld II werde ein Pflichtversicherungsverhältnis in der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung begründet. Es erfolge eine Anmeldung bei der ausgewählten Krankenkasse. Da dies auch im Nachhinein überprüfbar sein müsse, sei auch die Speicherung der Daten der Krankenkassenversicherungskarte erforderlich.
- Die Klägerin und ihr Ehemann erhoben Klage beim Sozialgericht Schleswig erhoben. Das Jobcenter machte beim Sozialgericht geltend, das Speichern des Personalausweises in der elektronischen Akte sei erforderlich. Der Personalausweis diene als Identifikationsnachweis, auch für das Gericht. Wenn auf dem Antrag lediglich vermerkt werde, dass der Personalausweis vorgelegen habe, jedoch nicht zum Bestandteil der Akte geworden sei, sei es dem Mitarbeiter nicht möglich zu erkennen, ob es sich bei der antragstellenden Person tatsächlich auch um den Antragsteller handele. Die Speicherung einer Kopie des Personalausweises stelle auch keinen unverhältnismäßigen Eingriff in die Persönlichkeitsrechte der Klägerin dar.
- Das Sozialgericht wies die Klage ab. Die Klägerin legte dagegen Berufung ein. In ihrer Begründung erklärte sie, das Sozialgericht verkenne, dass zwischen der Datenerhebung und der Datenspeicherung ein Unterschied zu machen sei. Für die Identitätsfeststellung sei die Datenerhebung erforderlich, nicht aber für die Datenspeicherung. Im Übrigen könne die Datenspeicherung auch in anderer Weise als durch eine Fotokopie des Personalausweises erfolgen. So könne beispielsweise in der Akte vermerkt werden, welches Ausweisdokument mit welcher Nummer von welcher ausstellenden Behörde zur Identifizierung des Leistungsempfängers herangezogen worden sei. Keine Rolle spiele für den Leistungsbezug dagegen, ob der Leistungsempfänger auf dem Personalausweisfoto blonde, dunkle oder grüne Haare habe etc. Es spiele ebenfalls keine Rolle, welche Augenfarbe er habe, wo er geboren und wie groß er sei. Dies unterscheide einen Personalausweis auch von einem Kontoauszug.
Die Entscheidung des Landessozialgerichts und seine Begründung:
- Das Jobcenter „wird unter Aufhebung… des Widerspruchsbescheides… verurteilt, die Kopien des Personalausweises der Klägerin in der elektronischen Akte unverzüglich zu löschen.“
- „Rechtsgrundlage des Anspruchs auf Löschung der in der elektronischen Akte… gespeicherten und nach Entfernen des Passfotos nur noch unvollständigen Kopien des Personalausweises ist Art. 17 Abs. 1 a der Verordnung (EU) 2016/679 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. April 2016 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten, zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung der Richtlinie 95/46/EG (DSGVO), in Kraft getreten am 25. Mai 2018. Danach hat die betroffene Person das Recht, von dem Verantwortlichen zu verlangen, dass sie betreffende personenbezogene Daten unverzüglich gelöscht werden, und der Verantwortliche ist verpflichtet, personenbezogene Daten unverzüglich zu löschen, sofern die personenbezogenen Daten für die Zwecke, für die sie erhoben oder auf sonstige Weise verarbeitet wurden, nicht mehr notwendig sind.“ (Urteilsbegründung Rn. 18)
- „Diese Regelung entspricht im Wesentlichen dem zuvor bis zum 24. Mai 2018 in Deutschland geltenden Recht. Sozialdaten waren nach § 84 Abs. 2 SGB X a. F. auch zu löschen, wenn ihre Kenntnis für die verantwortliche Stelle zur rechtmäßigen Erfüllung der in ihrer Zuständigkeit liegenden Aufgaben nicht mehr erforderlich war und kein Grund zu der Annahme bestand, dass durch die Löschung schutzwürdige Interessen des Betroffenen beeinträchtigt würden…“ (Urteilsbegründung Rn. 19)
- „Die… durchgeführte Speicherung des Personalausweises der Klägerin stellt eine Verarbeitung (Art. 4 Nr. 2 DSGVO) personenbezogener Daten dar, die in einem Dateisystem (Art. 4 Nr. 6 DSGVO) im Sinne von Art. 2 Abs. 1 DSGVO gespeichert worden sind. Der Ausdruck ‚personenbezogene Daten‘ bezeichnet alle Informationen, die sich auf eine identifizierte oder identifizierbare natürliche Person (auch: betroffene Person) beziehen; als identifizierbar wird eine natürliche Person angesehen, die direkt oder indirekt, insbesondere mittels Zuordnung zu einer Kennung wie einem Namen, zu einer Kennnummer, zu Standortdaten, zu einer Online-Kennung oder zu einem oder mehreren besonderen Merkmalen, die Ausdruck der physischen, physiologischen, genetischen, psychischen, wirtschaftlichen, kulturellen oder sozialen Identität dieser natürlichen Person sind, identifiziert werden kann (Art. 4 Nr. 1 DSGVO). Dazu gehören die Angaben in dem gespeicherten Personalausweis zu Namen, Geburtstag und -ort, Nationalität, Wohnort, Augenfarbe und Größe der Klägerin sowie Personalausweisnummer, Ausstelldatum und ausstellende Behörde. Der Ausdruck ‚Verarbeitung‘ bezeichnet jeden mit oder ohne Hilfe automatisierter Verfahren ausgeführten Vorgang oder jede solche Vorgangsreihe im Zusammenhang mit personenbezogenen Daten wie das Erheben, das Erfassen, die Organisation, das Ordnen, die Speicherung, die Anpassung oder Veränderung, das Auslesen, das Abfragen, die Verwendung, die Offenlegung durch Übermittlung, Verbreitung oder eine andere Form der Bereitstellung, den Abgleich oder die Verknüpfung, die Einschränkung, das Löschen oder die Vernichtung (vgl. Art. 4 Nr. 2 DSGVO). Der Ausdruck ‚Dateisystem‘ bezeichnet jede strukturierte Sammlung personenbezogener Daten, die nach bestimmten Kriterien zugänglich sind, unabhängig davon, ob diese Sammlung zentral, dezentral oder nach funktionalen oder geografischen Gesichtspunkten geordnet geführt wird (vgl. Art. 4 Nr. 6 DSGVO). Eine elektronische Akte, die den gesamten Ablauf des Verwaltungsverfahrens wiedergibt und auch den kopierten Personalausweis enthält, zählt ohne Zweifel hierzu.“ (Urteilsbegründung Rn. 23)
- „Die Verarbeitung ist nach Art. 6 Abs. 1 c DSGVO rechtmäßig, wenn die Verarbeitung zur Erfüllung einer rechtlichen Verpflichtung erforderlich ist, der der Verantwortliche unterliegt.“ (Urteilsbegründung Rn. 26)
- „Eine solche Rechtsgrundlage enthält § 67a Abs. 1 Satz 1 und 2 SGB X n. F. Danach ist die Erhebung von Sozialdaten durch die in § 35 SGB I genannten Stellen zulässig, wenn ihre Kenntnis zur Erfüllung einer Aufgabe der erhebenden Stelle nach diesem Gesetzbuch erforderlich ist… Die anschließende Speicherung, Veränderung, Nutzung, Übermittlung, Einschränkung der Verarbeitung und Löschung von Sozialdaten durch die in § 35 SGB I genannten Stellen ist nur erlaubt, soweit datenschutzrechtliche Vorschriften des SGB X oder eine andere Vorschrift des SGB dies erlauben oder anordnen (§ 67b Abs. 1 Satz 1 SGB X n. F.). Hierzu zählen die einschlägigen Regelungen der §§ 50 ff. SGB II. Die dort getroffenen Regelungen enthalten bereichsspezifische Datenschutznormen für die Grundsicherung für Arbeitsuchende. Solche Regelungen des bereichsspezifischen Datenschutzes gehen den allgemeinen Vorschriften des Sozialdatenschutzes der §§ 67 ff. SGB X vor. § 50 SGB II ermächtigt die Grundsicherungsträger zur Datenübermittlung. § 51b SGB II stellt eine Spezialvorschrift über die Datenerhebung und -verarbeitung durch die Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende dar. Ausweislich der Gesetzesmaterialien erfüllt § 51b SGB II auch die Funktion, dass weitere Daten mit Rücksicht auf das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung der Leistungsempfänger nicht erhoben werden dürfen…“ (Urteilsbegründung Rn. 27)
Die Revision gegen dieses Urteil wurde vom Landessozialgericht Berlin Brandenburg nicht zugelassen.