Eine Seuche breitet sich immer weiter aus – jetzt auch in Gießen: Videoüberwachung öffentlicher Straßen und Plätze

Datenschutzrheinmain/ Dezember 26, 2016/ alle Beiträge, Videoüberwachung, Videoüberwachung in der Region/ 0Kommentare

In Darmstadt haben Grüne- und CDU-Stadtverordnete Mitte November 2016 beschlossen, einen zentralen Platz in der Innenstadt mit Videoüberwachungskameras ins Visier zu nehmen. In Frankfurt  haben die Fraktionen von CDU, SPD und Grünen im Frühsommer 2016 in ihrer Koalitionsvereinbarung festgelegt, dass neben den vorhandenen Polizeikameras am Hauptbahnhof und der Konstablerwache Videokameras an 2 weiteren Standorten in der Frankfurter Innenstadt errichtet werden sollen. In Hanau teilte der dortige Oberbürgermeister Anfang Dezember 2016 mit, dass die Koalitionsfraktionen von SPD, Grünen, FDP und Bürger für Hanau (BfH); zu diesem Thema unterstützt von der CDU-Opposition, an zwei zentralen und gut frequentierten Plätzen in der Hanauer Innenstadt Videoüberwachungskameras errichten wollen.

Jetzt auch in Gießen. Die Gießener Allgemeinen Zeitung (GAZ) vom 24.12.2016 meldet, dass die Koalitionsfraktionen von SPD, CDU und Grüne beabsichtigen, an mehreren Stellen im Stadtgebiet die Videoüberwachung auszubauen. Die GAZ zitiert den Ordnungsdezernenten Peter Neidel (CDU), der auf Anfrage drei Standorte nannte: „Neben dem Bahnhofsvorplatz sind das sogenannte ‚Döner-Dreieck‘ an der Kreuzung Walltorstraße/Asterweg und der Marktplatz im Gespräch; dort befand sich bis vor einigen Jahren Gießens einzige HSOG-Videoschutzanlage. ‚Ich halte das angesichts der Kriminalitätsentwicklung an einigen Stellen für geboten‘, sagt Neidel.“ Die GAZ stellt weiter fest: „Nach Überzeugung des CDU-Stadtrats ist die Akzeptanz für solche Maßnahmen in der Bevölkerung momentan vorhanden.“

Letzteres mag nach dem politischen und publizistischen Trommelfeuer der letzten Wochen in Sachen Videoüberwachung durchaus so sein. Aber Stimmungen in der Bevölkerung können nicht der ausschlaggebende oder gar einzige Faktor bei der Bewertung von Sinn, Nutzen und Gefahren von Videoüberwachung sein. Die geltenden Gesetze und wissenschaftliche Erkenntnisse müssen in eine Entscheidungsfindung mit Vorrang einfließen. Und eine vorurteilsfreie öffentliche Diskussion über dieses Thema bedarf einer sauberen und überprüfbaren Datenlage. Die Bürgerrechtsgruppe dieDatenschützer Rhein Main hat daher mit Schreiben vom 26.12.2016 die Gießerer Oberbürgermeisterin Dietlind Grabe-Bolz (SPD) gebeten, zu vier Fragen Auskünfte zu erteilen:

  1. „Gibt es belastbare und für die interessierte Öffentlichkeit überprüfbare Daten, dass es am Bahnhofsvorplatz, an der Kreuzung Walltorstraße/Asterweg und am Marktplatz in Gießen ein erhöhtes Aufkommen von Drogen- und Kleinkriminalität, Diebstählen und Raubüberfällen gibt – also mehrere örtlich präzise abgrenzbare Kriminalitätsschwerpunkte?
  2. Gibt es belastbare und für die interessierte Öffentlichkeit überprüfbare Daten, dass andere Mittel der Gewaltprävention und der Aufklärung von Straftaten an den genannten Plätzen nicht zur Verfügung stehen oder nicht geeignet sind, das gewünschte Ziel zu erreichen?
  3. Gibt es belastbare und für die interessierte Öffentlichkeit überprüfbare Daten, dass die Videoüberwachung der genannten Plätze die Probleme objektiv reduzieren kann?
  4. Wie viele Personen bewegen sich durchschnittlich pro Tag als FußgängerInnen oder FahrradfahrerInnen auf dem Bahnhofsvorplatz, der Kreuzung Walltorstraße/Asterweg und dem Marktplatz und würden dadurch in das Visier der beabsichtigten Überwachungskameras geraten?“

Die Datenschützer stellen fest: Erst nach Beantwortung dieser Fragen wird es der interessierten Bürgerschaft möglich sein, eine ergebnisoffene Diskussion über öffentliche Sicherheit, subjektives Sicherheitsempfinden, überprüfbare Fakten und die Notwendigkeit von Videoüberwachung zu führen.“ Sie verweisen zudem auf zwei aktuelle Stellungnahmen von WissenschaftlerInnen, die die in der politischen Debatte pro Videoüberwachung genannten Argumente hinterfragen und entkräften.

 

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