Die Geschichte einer Beschwerde über Videoüberwachung auf Straßen und Plätzen in Frankfurt
Am 26.05.2014 hat die Bürgerrechtsgruppe dieDatenschützer Rhein Main dem Hessischen Datenschutzbeauftragten in einem Brief eine Liste mit 369 Standorten von Videoüberwachungsanlagen (insgesamt ca. 820 einzelne Kameras) übermittelt, mit denen Straßen und Plätze in Frankfurt überwacht werden. Im Schreiben heißt es u. a.: „Nach unseren Erkenntnissen wird an der übergroßen Zahl von uns festgestellten Standorte (ca. 330) durch private Haus- und GrundstücksbesitzerInnen sowie Ärzte, Apotheken, Banken, Dienstleistungsunternehmen, Gaststätten, Handwerksbetriebe, Industrieunternehmen u. a. m. betrieben. Bei etwa 35 Standorten handelt es sich nach unseren Erkenntnissen um öffentliche Einrichtungen bzw. Dienststellen, die den öffentlichen Straßenraum beobachten … Auch ausländische Dienststellen in Frankfurt beobachten ungeniert den öffentlichen Straßenraum; darunter die Europäische Zentralbank an ihrem derzeitigen Sitz in der Frankfurter Innenstadt und an der Baustelle des neuen Gebäudes im Ostend. Feststellen mussten wir, dass auch mindestens die Konsulate von Bosnien-Herzegowina, Brasilien, Irak, Russland und USA von ihren Grundstücken aus den umliegenden öffentlichen Straßenraum beobachten.“
Mit Schreiben vom 05.06.2014 hat der Hessische Datenschutzbeauftragte den Eingang der Eingabe bestätigt, zugleich aber einschränkend auf seine mangelnden (insbesondere personellen) Ressourcen hingewiesen, die eine zeitnahe Bearbeitung der Eingabe nicht zulassen würden. Zitat: „1. …selbstverständlich werde ich im Rahmen der mir zur Verfügung stehenden Personalkapazität jeden Einzelfall überprüfen… 2. Ich werde somit jeden Einzelfall ‚vor Ort‘ überprüfen, was natürlich sehr zeitaufwändig sein wird; 3. Da […] ich jährlich weit mehr als 200 Fälle zu bearbeiten habe, die Videoüberwachung betreffen, bitte ich um Verständnis, dass ich eine Priorisierung in der Reihenfolge der Abarbeitung vornehmen muss“.
Im 43. Tätigkeitsbericht des Hessischen Datenschutzbeauftragten für 2014 ist auch das Thema Videoüberwachung präsent. Im Abschnitt „5.2.1.6 Videoüberwachung in Frankfurt am Main“ geht der Bericht dann auf die Eingabe der Bürgerrechtsgruppe dieDatenschützer Rhein Main ein. In diesem Bericht wird über den Bearbeitungsstand der Eingabe wie folgt informiert: „… Ich habe umgehend damit begonnen, gegen die verantwortlichen Stellen jeweils ein aufsichtsbehördliches Prüfungsverfahren einzuleiten. Dies stellt sich jedoch mitunter als sehr schwierig dar, da allein bei 93 Positionen Angaben zur speichernden Stelle fehlen, bei 192 Positionen zur speichernden Stelle nur Vermutungen geäußert werden und auch die beigefügten Bilder keine Rückschlüsse auf Kameraausrichtung und Umgebung zulassen, da lediglich die Überwachungskameras selbst auf den Bildern zu sehen sind. Daher muss von meiner Seite aus zunächst bei Einwohnermeldeämtern, den Kataster- oder Gewerbeämtern die speichernde Stelle recherchiert werden, welche in vielen Fällen, gerade in der Frankfurter Innenstadt, nicht mit dem Grundstückseigentümer identisch ist. In den bislang eingeleiteten Verfahren konnte jedoch in nicht wenigen Fällen festgestellt werden, dass Überwachungskameras öffentlichen Bereich gerade nicht erfassen und auch der Einstell- beziehungsweise Neigungswinkel dieser Überwachungskameras datenschutzrechtlich zulässig gewählt wurde. In den übrigen Fällen konnte bislang in Zusammenarbeit mit den speichernden Stellen eine datenschutzkonforme Lösung gefunden werden.“ Diese Darstellung kann – bezogen auf die beiden letzten der zitierten Sätze – nicht unwidersprochen bleiben!
Mit Datum 24.05.2019 – fast fünf Jahre nach Eingang der Beschwerde beim Hessischen Datenschutzbeauftragten – ist festzustellen:
- Laut Rückmeldungen des Hessischen Datenschutzbeauftragten wurden bislang 142 der 369 Standorte von Überwachungskameras abschließend geprüft. Dies entspricht 38,5 % aller Anlagen.
- Die bislang letzte Rückmeldung ging ein am 10.09.2018. Seitdem herrscht „Funkstille“.
- Sollte die Bearbeitung der Eingabe in diesem Tempo weiter gehen wäre damit zu rechnen, dass die letzte der 369 Kameraanlagen erst in weiteren 8 Jahren überprüft sein wird.
- In 76 der insgesamt 142 Fälle (53,5 %) wurde mitgeteilt, dass die Kameraausrichtung nach den Bewertungen des Hessischen Datenschutzbeauftragten den gesetzlichen Erfordernissen entspricht.
- In 13 der insgesamt 142 Fälle (9,2 %) wurde mitgeteilt, dass es sich um Kameraattrappen handeln soll, die zwar auch einen Überwachungsdruck auslösen, aber nicht der Aufsicht der Datenschutzaufsichtsbehörden unterliegen. Dass das BDSG auf Kameraattrappen keine Anwendung findet hat u.a. das Verwaltungsgericht Darmstadt mit Beschluss vom 23.01.2015 (Az.: 5 K 918/14.DA) festgestellt.
- In 24 der insgesamt 142 Fälle (16,9 %) wurde mitgeteilt, dass die Kamerabetreiber die Kameras datenschutzkonform neu ausgerichtet haben, so dass öffentlicher Raum nicht mehr im Blickfeld der Kameras ist.
- In 29 der insgesamt 142 Fälle (20,4 %) wurde mitgeteilt, dass die Kamerabetreiber die Kameras nach Eingang der Beschwerde ersatzlos abgebaut haben.
Die Bürgerrechtsgruppe dieDatenschützer Rhein Main zweifelt nicht am guten Willen der Mitarbeiter*innen des Hessischen Datenschutzbeauftragten, hier sorgfältig zu arbeiten und Verstöße hinreichend zu ahnden. Zweifel sind aber mehr als angebracht, ob dem Hessischen Datenschutzbeauftragten hinreichende Ressourcen zu Verfügung stehen, um seinen gesetzlichen Aufgaben nachkommen zu können. Seine Behörde hatte 2014 ca. 40 Bedienstete. Hiervon waren zwei zuständig für den Bereich Videoüberwachung durch private Stellen. Die gleichen Mitarbeiter waren aber auch noch zuständig für die Bereiche Beschäftigtendatenschutz, neue Verwaltungssteuerung und das ERP System „SAP R3 HR“, das in der gesamten hessischen Landesverwaltung eingesetzt wird. Seitdem hat sich am der Stellen- und Finanzausstattung des Hessischen Datenschutzbeauftragten nur unwesentliches verändert. Auch nach Inkrafttreten der Europ. Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) am 23.05.2018 – sie löste bei allen Datenschutz-Aufsichtsbehörden eine Vervielfachung der Anfragen und Beschwerden aus – hat sich nichts getan.
Und der Hessische Datenschutzbeauftragte Prof. Dr. Michael Ronellenfitsch schweigt sich dazu aus. Das unterscheidet ihn nachteilig von vielen seiner Amtskolleg*innen im Bund und den anderen Bundesländern. Zuletzt hatte die Datenschutzbeauftragte von Schleswig-Holstein, Marit Hansen, in einem Gespräch mit dem Handelsblatt festgestellt, dass die Datenschutz-Aufsichtsbehörden ein Jahr nach Inkrafttreten der DSGVO für ihre neuen und zusätzlichen Aufgaben nicht ausreichend gewappnet seien. Das Handelsblatt zitiert Marit Hansen mit der Aussage: „Hansen warnte vor den juristischen Folgen, sollten die Personalengpässe nicht behoben werden. ‚Wenn keine angemessene Ausstattung vorliegt, wird die EU-Kommission auf Dauer sicherlich nicht passiv bleiben, sondern geeignete Maßnahmen ergreifen und ein Vertragsverletzungsverfahren einleiten … Dies hat sie schon früher in Fällen getan, in denen die Unabhängigkeit der Datenschutzaufsicht nicht gewährleistet war – auch in Deutschland. Die rechtliche Lage sei klar, betonte Hansen. ‚Die Länder müssen sich ebenso wie der Bund an europäisches Recht halten, und dazu gehört auch Artikel 52 der Datenschutz-Grundverordnung – DSGVO‘… Dies bedeute etwa, dass jeder EU-Mitgliedstaat seine Aufsichtsbehörden personell, technisch und finanziell so ausstatten müsse, dass diese ihre Aufgaben und Befugnisse auch effektiv wahrnehmen können.“
Wünschenswert, wenn auch nicht realistisch ist es, dass der Hessische Datenschutzbeauftragte in den letzten Monaten seiner Amtszeit derart klare Ansagen und Anforderungen an die hessische Landesregierung und die Koalitionsparteien CDU und Grüne richtet.