Der gläserne Flüchtling
Unter dieser Überschrift berichtet die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) am 19.08.2017 über die Folgen des am 29.07.2017 in Kraft getretenen Gesetzes zur besseren Durchsetzung der Ausreisepflicht vom 20.07.2017 (BGBl. I S. 2780). Mit diesem Gesetz wurde der § 15a in das Asylgesetz (AsylG) eingefügt. Gestützt auf § 48 Absatz 3a und § 48a Aufenthaltsgesetz (AufenthG) wurde das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) ermächtigt, Handys und andere Datenträger von AsylbewerberInnen auszuwerten.
Die FAZ stellt zu Recht die Frage: „Ist das überhaupt verfassungskonform?“
Bereits während der Abstimmung des Gesetzesentwurfs Anfang 2017 wurde von vielen Seiten Kritik laut. Flüchtlingsorganisationen wie Pro Asyl und Juristen beurteilten den Entwurf als verfassungswidrig. Linke, Grüne und zwei Bundestagsabgeordnete der SPD stimmten gegen den Entwurf. Der Bundesrat äußerte Bedenken und schlug Veränderungen vor. Die Große Koalition im Bund winkte den Gesetzentwurf aber unverändert durch. Das BAMF will lt. FAZ „in Kürze und flächendeckend“ mit dem Auswerten beginnen.
Die FAZ stellt fest: „Der neu eingefügte Paragraph 15a im Asylgesetz gibt dem Bamf weitreichende Möglichkeiten. Im Prinzip kann die Behörde nun von jedem Flüchtling, der keine Ausweispapiere hat, die Herausgabe aller Datenträger verlangen. Neben dem Smartphone betrifft das auch Tablets, Laptops, USB-Sticks und externe Festplatten. Wenn der Antragsteller kein Gerät aushändigt, hat die Behörde das Recht, ihn zu durchsuchen. Im nächsten Schritt werden die Datenträger gespiegelt und alle darauf befindlichen Informationen gespeichert. Mit „alles“ ist auch alles gemeint: Von Anruf- und Chatprotokollen, über Fotos, E-Mails und sonstige Dokumente. Unter Umständen betrifft das auch Daten, die der Besitzer vermeintlich gelöscht hat. Die Daten wertet dann ein am Bamf angestellter Volljurist mit Hilfe einer Software aus und teilt die Ergebnisse dem zuständigen Sachbearbeiter mit. Der bezieht diese dann in seine Entscheidung ein. Ein Recht auf Auskunft hat der Asylbewerber nicht.“
Der Strafverteidiger und Lehrbeauftragte an der Uni Köln, Nikolaos Gazeas, einer der Juristen, der im Gesetzgebungsverfahren den Gesetzentwurf abgelehnt hat, erklärte jetzt lt. FAZ: „Das Gesetz verstößt… gegen das Allgemeine Persönlichkeitsrecht, das ein Grundrecht ist. Es umfasst auch das Recht auf Gewährleistung von Vertraulichkeit bei informationstechnischen Geräten, so hat es das Bundesverfassungsgericht 2008 festgelegt. ‚So, wie die Befugnis im Gesetz formuliert worden ist, ist sie unverhältnismäßig‘, sagt Gazeas. ‚Es werden viel mehr Daten gesichert, als es zur Feststellung von Identität und Staatsangehörigkeit notwendig ist.‘ Wie etwa die Kontakte zu Ärzten und Anwälten. Auch Fotos… oder private Angelegenheiten, über die man sich per SMS ausgetauscht hat, sind betroffen. Alles Dinge, die unter die sensible Sphäre der Privatsphäre oder gar Intimsphäre fallen. ‚Die Eingriffsintensität ist für den Zweck, der erreicht werden soll, viel zu hoch‘, so Gazeas. ‚Wir bewegen uns nicht im Bereich der Terrorabwehr, sondern laut der Gesetzesbegründung geht es im Kern lediglich darum herauszufinden, ob jemand wirklich so heißt, wie er behauptet.‘“
Die Gesellschaft für Freiheitsrechte e.V. (GFF), plant lt. FAZ bereits eine Verfassungsbeschwerde und weitere Klagen. Der GFF-Vorsitzende Ulf Buermeyer stellte gegenüber der FAZ fest: „Die Neuregelung ist ein irritierendes Symbol dafür, wie wenig die informationelle Selbstbestimmung geflüchteter Menschen dem Gesetzgeber wert war. Denn eine verfassungskonforme und zu den Zwecken der Norm ebenso wirksame Regelung wäre mit geringem Aufwand möglich gewesen.“
Bei allem gebotenen Respekt und dem unbestrittenen Recht auf informationelle Selbstbestimmung muss dennoch die Frage erlaubt sein, wie der Staat die Identität und Herkunft der (Wirtschafts -) Flüchtlinge zweifelsfrei feststellen soll und kann, wenn diese in unsere Sozialsysteme Zugang Begehrenden ihre Ausweispapiere im Gegensatz zu Geld und Handys „verloren“ haben wollen?