CSU fordert im eigenen Bundestags-Wahlprogramm „opt-out bei der Nutzung des elektronischen Patientenakte“
Die derzeitige Rechtslage ist eindeutig. In § 342 Abs. 1 SGB V wird geregelt: „Die Krankenkassen sind verpflichtet, jedem Versicherten spätestens ab dem 1. Januar 2021 auf Antrag und mit Einwilligung des Versicherten eine… elektronische Patientenakte zur Verfügung zu stellen…“. Damit ist (noch) die Freiwilligkeit bei der Nutzung der elektronischen Gesundheitsakte (ePA) gewährleistet. Die CSU fordert in ihrem eigenen Programm zur Bundestagswahl 2021, diese Regelung zu ändern.
In den letzten Jahren wurde diese Forderung von Lobbyisten der IT-Gesundheitsindustrie in Deutschland immer wieder erhoben. Abweichend von der gegenwärtigen Regelung (Freiwilligkeit bei der Nutzung einer ePA = <opt-in>) soll ein Verfahren eingeführt werde, wonach die ePA per Gesetz für alle Versicherten verpflichtend eingeführt werden soll, dem sich Einzelne nur mit einem aufwendigen Verfahren = <opt-out> entziehen können. Beispiele für solche Forderungen sind hier (Bertelsmann / Arvato Systems) und hier (PricewaterhouseCoopers – pwc) zu finden. Was opt-out in der Praxis bedeuten würde, lässt sich an der elektronischen Gesundheitsakte (ELGA) in Österreich nachvollziehen (siehe Hinweise am Ende dieses Beitrags).
Zuletzt sprach sich im Frühsommer dieses Jahres der Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen (SVR) im Bundesgesundheitsministerium für eine Veränderung dieser Regelung in § 342 Abs. 1 SGB V aus. In einem Gutachten unter dem Titel „Digitalisierung für Gesundheit – Ziele und Rahmenbedingungen eines dynamisch lernenden Gesundheitssystems“ wurde eine radikale Abkehr vom bisherigen Prinzip der Freiwilligkeit bei der Nutzung der elektronischen Patientenakte (ePA) gefordert. Dr. Ferdinand M. Gerlach, Vorsitzender des SVR erklärte dazu in einem Interview mit der ÄrzteZeitung: „Wir empfehlen eine drastische Vereinfachung: wie in Dänemark und Estland den doppelten Opt-out statt des mehrfachen Opt-ins. Unsere Lösung heißt: Jeder Bürger bekommt bei Geburt oder Zuzug automatisch eine ePA, und er kann dann widersprechen. Nach unserer Vorstellung hat er auch die Möglichkeit, bestimmte Bereiche zu verschatten, sodass nicht jeder Leistungserbringer alle Inhalte sehen kann. Wir halten es aber für gefährlich und falsch, dass der Patient, so wie es jetzt vorgesehen ist, Inhalte unwiederbringlich löschen kann. Bezogen auf die Nutzung der Daten aus der Akte für gemeinwohldienliche Forschungszwecke schlagen wir ebenfalls eine Opt-out-Lösung vor. Wir sagen: Wer in einem solidarisch finanzierten Gesundheitssystem versorgt wird, der sollte unter genau geregelten und kontrollierten Voraussetzungen seine Daten auch für gemeinwohldienliche Forschung zur Verfügung stellen.“
Dies wäre das Ende der informationellen Selbstbestimmung über hoch-sensible Gesundheits- und Behandlungsdaten.
Diese Forderung hat sich die CSU in ihrem eigenen Programm zur Bundestagswahl zu Eigen gemacht
Quelle: CSU-Programm zur Bundestagswahl 2021 (S. 26)
Die CSU spricht damit klar aus, was im gemeinsamen Wahlprogramm von CDU und CSU noch eher verschämt umschrieben wird. Dort ist (auf S. 64) zu lesen: „Die Patientinnen und Patienten der Zukunft werden – unter Wahrung des Schutzes ihrer Daten – ihre gesamte Krankengeschichte an einem Ort speichern und Ärzte und andere Leistungserbringer darauf zugreifen lassen können.“
Ein Blick nach Österreich:
- Die Elektronische Gesundheitsakte (ELGA) in Österreich ist vergleichbar mit der elektronischen Patientenakte (ePA) und dem damit verbundenen telematischen System im Gesundheitswesen der Bundesrepublik Deutschland. Einer der wesentlichen Unterschiede: Der Gesetzgeber in Österreich hat beschlossen, dass die Gesundheits- und Behandlungsdaten aller gesetzlich krankenversicherten Menschen in ELGA elektronisch zentral erfasst werden. Versicherte, die dies nicht möchten, müssen dies ausdrücklich beantragen (<opt-out>). ARGE DATEN, die österreichische Gesellschaft für Datenschutz, hat in einer Veröffentlichung darüber informiert, wie Versicherte in Österreich sich der Speicherung ihrer Gesundheits- und Behandlungsdaten entziehen können. Ein aufwendiges Verfahren, das den Grundsätzen der informationellen Selbstbestimmung Hohn spricht!
- Im Jahr 2019 gab es in Österreich 7,19 Mio. Versicherungsverhältnisse in der Krankenversicherung, denen per Gesetz die Elektronische Gesundheitsakte (ELGA) aufgezwungen wurde. Dass sich trotz der großen bürokratischen Hindernisse 298.000 Versicherte (= 4,14 %) aus diesem Zwangssystem abgemeldet haben, spricht für ein hohes Widerstandspotential gegen die zentralisierte Erfassung von Gesundheits- und Behandlungsdaten auch in Österreich.
- Im Zuge der Corona-Pandemie erhöhte die österreichische Bundesregierung den Druck auf die ELGA-Verweigerer*innen. Das Internet-Magazin futurezone.at meldet am 03.03.2021: „ELGA-Verweigerer bekommen keine Gratis-Tests in der Apotheke… Seit dieser Woche gibt es in Österreich für versicherte Personen, die vor dem 1. Jänner 2006 geboren sind, in der Apotheke fünf Covid-19-Antigentests zum Mitnehmen. Doch das gilt nicht für rund 298.000 Menschen, die sich von der Elektronischen Gesundheitsakte (ELGA) und damit auch von der E-Medikation abgemeldet haben. Diese Menschen bekommen keine kostenlosen Tests, sondern haben nur die Möglichkeit, sich in der Apotheke testen zu lassen, oder die Heimtests selbst zu kaufen…“ Der österreichische Verbraucherschutzverein (VSV) nimmt dies nicht hin und plant eine Musterklage gegen diesen Leistungsausschluss. In einer ersten Stellungnahme erklärt der Verein: „Das Angebot von Gratis-Covid-Tests in Apotheken ist eine Leistung der Österreichischen Gesundheitskasse (ÖGK) und wird über die E-Card abgewickelt. Es sollen jedoch jene Versicherten, die sich von der Elektronischen Gesundheitsakte (ELGA) abgemeldet haben, diese Leistung nicht in Anspruch nehmen können. ‚Die Sozialversicherung ist nach § 742b ASVG klar zur Leistung verpflichtet. Der bisherige § 16 Abs 3 Gesundheitstelematik-Gesetz (GTelG 2012) soll nun ausgehebelt werden. Danach durften Abmelder bisher weder im Zugang zur medizinischen Versorgung noch hinsichtlich der Kostentragung Nachteile erleiden,‘ … ‚diese versuchte Neuregelung ist auch klar verfassungswidrig.‘
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