Bremen: Der direkte Draht vom Ordnungsamt zum Verfasssungsschutz – Anmelder*innen politischer Versammlungen werden beim Geheimdienst „verzinkt“

CCTV-NeinDanke/ März 11, 2021/ alle Beiträge, Polizei und Geheimdienste (BRD)/ 0Kommentare

Wer in Bremen eine Versammlung anmeldet, dessen persönliche Daten werden bislang sehr weitgehend erfasst und weiterverarbeitet, sie landen etwa regelmäßig beim Verfassungsschutz. Einige vorgeschriebene Datenschutzstandards fehlen bei der Versammlungsbehörde. Das geht aus der Antwort des Senats auf eine Kleine Anfrage der Linksfraktion in der Bremischen Bürgerschaft hervor, die am 09.03.2021 veröffentlicht wurde. Dem Bremer Innensenator Ulrich Mäurer (SPD) wurden folgende Fragen gestellt:

  1. Welche Art von personenbezogenen Daten, werden auf welcher Rechtsgrundlage und für welche Dauer bei Anmeldungen von Versammlungen vom Ordnungsamt erhoben und verarbeitet und in welchem System werden die Daten gespeichert?
  2. Wie wird die Löschung personenbezogener Daten sichergestellt, nachdem sie für die Erfüllung der Aufgaben der zuständigen Stellen nicht mehr nötig sind?
  3. Gibt es eine Dokumentation der Datenverarbeitungsprozesse im Ordnungsamt, beispielsweise ein Verzeichnis der Verarbeitungstätigkeiten?
  4. Informiert das Ordnungsamt Anmelder*innen darüber, dass sie die Löschung ihrer personenbezogenen Daten veranlassen können?
  5. In welchen Fällen gibt das Ordnungsamt personenbezogene Daten der Anmelder*innen an die Polizei und/oder an andere Behörden weiter?
  6. In wie vielen Fällen wurden in den vergangenen drei Jahren personenbezogene Daten der Anmelder*innen von Versammlungen an Polizei und andere Behörden weitergegeben?
  7. Werden die Anmelder*innen von Versammlungen darüber informiert, dass ihre Daten an die Polizei oder andere Dritte weitergegeben werden und zu welchem Zweck dies geschieht?
  8. In welchen Fällen kontaktiert die Polizei die Anmelder*innen von Versammlungen mithilfe der vom Ordnungsamt erhobenen Daten, noch bevor ein Kooperationsgespräch stattgefunden hat?
  9. Wie lange, zu welchem Zweck und auf welcher Rechtsgrundlage speichern die Polizei oder andere Behörden Daten, die sie vom Ordnungsamt im Zuge von Anmeldungen von Versammlungen erhalten haben?
  10. Sind unter denen in Frage 9 genannten Daten besondere Kategorien personenbezogener Daten nach Richtlinie (EU) 2016/679 Abs. 1 und wenn ja, in welchem System werden die Daten gespeichert?
  11. Gibt es eine Dokumentation der Datenverarbeitungsprozesse bei der Polizei und ggf. anderen Behörden, beispielsweise ein Verzeichnis der Verarbeitungstätigkeiten?“

Die Antworten auf die Fragen machen an mehreren Stellen eine grobe Missachtung grundlegender Regelungen der Europ. Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) deutlich; an mehreren Stellen gelobt Innensenator Mäurer Besserung. Einige Auszüge:

  • Zu Frage 1: „Die Aufbewahrungsfrist beträgt… fünf Jahre für Akten und Vorgänge, für die keine besondere Aufbewahrungsfrist festgesetzt ist. Da die Aufbewahrung über fünf Jahre in der Regel insgesamt nicht erforderlich ist, plant der Senat, die Frist für die Löschung persönlicher Daten mit Bezug zu Versammlungen (etwa auf ein Jahr) herabzusetzen.“
  • Zu Frage 3: Derzeit besteht noch kein Verzeichnis der Verarbeitungstätigkeiten im Ordnungsamt.“ Dies ist aber ein auf Art. 30 DSGVO beruhendes zwingendes Erfordernis.
  • Zu Frage 4: Derzeit erfolgt kein Hinweis darüber, dass die Anmelder:innen die Löschung ihrer personenbezogenen Daten veranlassen können. Dem Anmeldeformular wird in Kürze jedoch ein entsprechender Hinweis nach Art. 13 DSGVO beigefügt.“
  • Zu Frage 5 und 6: „Zum Zweck der Gefährdungsbewertung werden die Daten im Rahmen der gesetzlichen Bestimmungen regelmäßig ebenfalls an das Landesamt für Verfassungsschutz übermittelt.“
  • Zu Frage 7: Die Anmelder:innen werden im Verfahren vor der Weitergabe der Daten in der Regel nicht darauf hingewiesen, dass diese dem Polizeivollzugsdienst und dem Landesamt für Verfassungsschutz… übermittelt werden.“
  • Zu Frage 10: Durch die Polizei werden… im Einzelfall besondere Kategorien personenbezogener Daten, insbesondere solche, aus denen die ethnische Herkunft, politische Haltungen, religiöse oder weltanschauliche Überzeugungen hervorgehen, gespeichert, soweit dies für die Gefährdungsbewertung und Einsatzbewältigung unerlässlich ist. Diese werden ebenfalls im Vorgangsverarbeitungssystem @rtus sowie der Lagedatenbank und dem Protokollierungssystem EPS-Web gespeichert. Soweit dies zur Erfüllung seines gesetzlichen Auftrags erforderlich ist, darf das Landesamt für Verfassungsschutz… auch besondere Arten personenbezogener Daten speichern. Dies betrifft im Falle einer Versammlung insbesondere die politische Haltung, sofern zweifelhaft, ob diese sich gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung richtet.“

Nelson Janßen, innenpolitischer Sprecher und Vorsitzender der Linksfraktion in der Bremer Bürgerschaft, kommentiert die Antworten des Innensenators wie folgt: „Wir sind sehr beunruhigt über die massenhafte Weitergabe persönlicher Daten von Demo-Anmelder:innen an den Geheimdienst. Wir halten das für eine Einschüchterung von Bürger:innen und somit eine unverhältnismäßige Einschränkung der Versammlungsfreiheit. Es ist zudem unklar, wie lange der Geheimdienst die Daten der Betroffenen speichert und was er mit den Daten anstellt. Diese Praxis der Ordnungsämter muss schnellstmöglich überprüft und beendet werden … Die angekündigten Nachbesserungen des Senats sind überfällig. Es ist das Mindeste, dass Anmelder:innen von Versammlungen erfahren, wer ihre persönlichen Daten erhält und wie lange diese gespeichert werden. Außerdem müssen sie in die Lage versetzt werden, die Löschung ihrer Daten, die das Ordnungsamt bei einer Versammlungsanmeldung speichert, zu veranlassen.“


Ein Mitglied der Bürgerrechtsgruppe dieDatenschützer Rhein Main hat die Fraktionen von FDP, Grünen, Linken, SPD und die Stadtverordneten von Partei und Piraten in der Frankfurter Stadtverordnetenversammlung darum gebeten, eine vergleichbare Anfrage an den Sicherheits- und Ordnungsdezernenten Markus Frank (CDU) zu richten.

 

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