Berlin: Videoüberwachung von Demonstrationen und Kundgebungen – Grüne, Linke und Piraten reichen Klage beim Verfassungsgerichtshof des Landes Berlin ein
Die drei Oppositionsparteien im Berliner Abgeordnetenhaus haben eine Organklage beim Berliner Verfassungsgericht gegen polizeiliche Übersichtsaufnahmen bei Demonstrationen eingereicht. Damit haben Grüne, Linke und Piraten auch die Kritik von Bürgerrechtsorganisationen an der Videoüberwachung aufgegriffen. Seit 18.09.2013 liegt dem Berliner Verfassungsgerichtshof die Verfassungsklage vor. Es hängt jetzt von den Richtern ab, wann die Klage verhandelt wird. Experten rechnen mit einer Verfahrensdauer von möglicherweise einem Jahr.
Die Berliner Koalition aus SPD und CDU hatte das „Gesetz über Aufnahmen und Aufzeichnungen von Bild und Ton bei Versammlungen unter freiem Himmel und Aufzügen“ im April dieses Jahres verabschiedet. Seit einem Urteil des Berliner Verwaltungsgerichts vom Juli 2010 war es den Berliner Behörden untersagt, friedliche Demonstrationen ohne gesetzliche Grundlage abzulichten. Erfolgreich geklagt hatte damals eine Anti-Atom-Initiative aus dem niedersächsischen Wendland, die sich 2009 bei einer Großdemonstration in Berlin permanent im Visier von Polizeikameras sah. Um dennoch friedliche Demonstrationen abfilmen zu können, verabschiedeten SPD und CDU im Berliner Abgeordnetenhaus das neue Gesetz.
„Wir finden, dass das Gesetz ein unangemessener Grundrechtseingriff ist“, begründete der Fraktionsvorsitzende der Linkspartei, Udo Wolf, die Verfassungsklage der Opposition gegen die polizeilichen Übersichtsaufnahmen von friedlichen Demonstrationen.
„Dieses Gesetz bietet ein kleines bisschen Bequemlichkeit für die Polizei, aber sehr, sehr viel Abschreckung für die Demonstranten“, erklärte der innenpolitische Sprecher der Grünen, Benedikt Lux. „Wir wollen nicht, dass das friedliche Demonstrationen überwacht werden“, betont Lux. Das sei das Gegenteil von Deeskalation. „Das ist Generalverdacht.“
Wie fragwürdig das Gesetz ist, ergibt sich für die Berliner Piraten auch aus der Umsetzung durch die Polizei in der Praxis. „Es ist immer möglich, diese Kamerasignale abzufangen“, sagt der Innenexperte der Piraten, Christopher Lauer. Zudem sei nicht klar, ob das Filmmaterial am Ende des Tages nicht doch aufgezeichnet werde, um doch Demonstrationsteilnehmer zu identifizieren. „Der Senat“, sagt Lauer aus seiner Erfahrung, „trifft jedenfalls technisch und organisatorisch nicht die Maßnahmen, das zu verhindern.“ Entgegen der Aussagen würden nämlich auch neue Kameras angeschafft, die zoomfähig sind.
Es wäre zu wünschen, dass mindestens Grüne und Linke im Hessischen Landtag eine vergleichbare Initiative starten. Auch das Hessische Polizeigesetz (HSOG) bietet eine Generalermächtigung zur Videoüberwachung von Demonstrationen und Kundgebungen.
Videoüberwachungsexzesse der Polizei wie am 1. Mai 2013 gegen Antifaschisten und am 1. Juni gegen Blockupy-DemonstrantInnen richten sich unmittelbar gegen die Ausübung von Grundrechten:
- Art. 5 GG „Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten…“;
- Art. 8 GG „Alle Deutschen haben das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln.“.
Verkehrte Welt!
Im Berliner Abgeordnetenhaus stimmen die Abgeordneten der Berliner SPD dem Gesetz am 23. April zu.
Und am 25. Mai beschließt der Berliner SPD-Landesparteitag:
„Versammlungsfreiheit ist eines der Grundrechte und gehört untrennbar zu einer freien Gesellschaft. Wir möchten, dass sich Menschen politisch engagieren und ihrer Meinung in der Öffentlichkeit Ausdruck verleihen können. Hierzu gehört ein Versammlungsrecht, das nicht repressiv ist und alle TeilnehmerInnen unter einen Generalverdacht stellt.
Im Abgeordnetenhaus wurde mit den Stimmen der SPD-CDU-Koalition das umstrittene Gesetz ‚Gesetz über Aufnahmen und Aufzeichnungen von Bild und Ton bei Versammlungen unter freiem Himmel und Aufzügen‘ beschlossen. Es wird das Filmen und Überwachen von Demonstrationen rechtlich verankern. Dieses Gesetz stellt eine Kriminalisierung all jener dar, die von ihren Grundrechten auf Meinungs- und Versammlungsfreiheit Gebrauch machen. Es indiziert, dass von Menschen, die ihren politischen Willen mittels einer Demonstration kundtun wollen, grundsätzlich eine Gefahr ausgeht, die eine permanente Überwachung mit Kameras rechtfertigt. Darüber hinaus eröffnet es einer besseren individuellen Erkennung Tür und Tor, da technisch gesehen sehr schnell zwischen der Übersichtsaufnahme und einer individuellen Beobachtung gewechselt werden kann. Dies ist für die DemonstrationsteilnehmerInnen nicht zu erkennen. Wir kritisieren deshalb dieses Gesetz und fordern die Abschaffung.“
Ist das nur dumm gelaufen in der Berliner SPD? Oder ist das doppelzüngig, was da veranstaltet wurde?