Ausufernde Überwachung, Gesichtserkennung und Handgranaten für die Polizei – Verfassungsbeschwerde gegen das Sächsische Polizeigesetz erhoben

Datenschutzrheinmain/ Dezember 28, 2020/ alle Beiträge, Polizei und Geheimdienste (BRD), Videoüberwachung/ 0Kommentare

Am 16.12.2020 hat die Gesellschaft für Freiheitsrechte e. V. (GFF) Verfassungsbeschwerde gegen das novellierte Sächsische Polizeivollzugsdienstgesetz (SächsPVDG) erhoben.  Gemeinsam mit Journalist*innen, Rechtsanwält*innen, einem Fußballfan und einer Sozialarbeiterin klagt die GFF gegen schärfere Überwachungsinstrumente. 

Seit dem Inkrafttreten des novellierten Sächsischen Polizeivollzugsdienstgesetzes (SächPVDG) verfügt die Sächsische Polizei über noch schärfere Überwachungsinstrumente als zuvor und kann diese viel weitreichender einsetzen – trotz zahlreicher Polizeiskandale in der jüngeren Vergangenheit.

Vorverlagerte Überwachung verletzt Grundrechte und Rechtsstaatsprinzip

Konkret wenden wir uns gegen längerfristige Observationen durch Polizeibeamte, den Einsatz verdeckter Ermittler*innen und von Vertrauenspersonen, Abhör- und Ortungsmaßnahmen außerhalb der Wohnung sowie Datenerhebungen mit Bezug zu Telekommunikation und Internetnutzung. Das neue Sächsische Polizeigesetz erlaubt es der Polizei langfristig Menschen zu observieren, sie außerhalb der Wohnung abzuhören und zu orten (§ 63) oder sogar zur polizeilichen Beobachtung auszuschreiben (§ 60 Abs. 2). Ausreichend dafür ist bereits der Verdacht, dass eine Person in Zukunft irgendwann einmal eine „zumindest ihrer Art nach konkretisierte Straftat von erheblicher Bedeutung“ begeht. Als Straftat von erheblicher Bedeutung kommt nach dem Gesetz prinzipiell jede Straftat in Betracht, die organisiert begangen wird und geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören – sogar Bagatelldelikte wie Beleidigungen. Auch die Überwachung von Telekommunikationsverkehr und Internetnutzung (§ 66) ermöglicht das neue Polizeigesetz, wobei hier an Straftatbestände angeknüpft wird, die ihrerseits bereits weit im Vorfeld einer Straftat liegen. Bei einer solchen Vorverlagerung von Eingriffsbefugnissen in das „Vorfeld des Vorfelds“ kann es ausreichen, dass eine Person Kontakte zu Straftäter*innen hat, um in den Fokus der Polizei zu geraten. Zusätzlich darf die sächsische Polizei nun auch Vertrauenspersonen einsetzen (§ 64), um Menschen auszuspähen. Angesichts der vielfältigen Probleme beim Einsatz von V-Personen, drastisch offenbart durch den NSU, sind gesetzliche Schutzvorkehrungen nötig – die das Gesetz aber gerade nicht enthält. Das verletzt das Rechtsstaatsprinzip.

Intelligente Videoüberwachung verletzt Recht auf informationelle Selbstbestimmung

Ein deutschlandweites Novum stellt die Befugnis zur intelligenten Videoüberwachung (§ 59) dar. Die Polizei darf danach nicht nur Videoaufzeichnungen anfertigen, sondern diese auch automatisiert mit polizeilichen Daten abgleichen. Dies schließt laut der Gesetzesbegründung den Abgleich von besonders sensiblen biometrischen Daten (Gesichtserkennung) ein. Dadurch wird das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung verletzt, weil die Maßnahme ohne konkreten Anlass zulässig ist. Die intelligente Videoüberwachung erstreckt sich auf das gesamte Grenzgebiet bis zu einer Tiefe von 30 Kilometern (§ 59 Abs. 1 Satz 1). Das umfasst etwa die Hälfte der Fläche des Freistaats. Eine Überprüfung der Anordnung sieht das Gesetz erst nach sechs Monaten vor (§ 59 Abs. 3 Satz 2).

Handgranateneinsatz verstößt gegen Menschenwürde und Trennung von Militär und Polizei

Schließlich richtet sich die Verfassungsbeschwerde gegen den Einsatz von Kriegswaffen wie Handgranaten durch die Polizei (§ 40 Abs. 4). Das verletzt nicht nur die verfassungsrechtlich gebotene Trennung von Militär und Polizei, sondern auch die Menschenwürde. Denn nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts darf der Staat nicht zwischen den Leben Unschuldiger abwägen. Das macht er jedoch, wenn er beim Einsatz von Handgranaten den Tod Unschuldiger in Kauf nimmt.

Weitere Informationen finden Sie in der Beschwerdeschrift des von der GFF beauftragten Juristen Prof. Dr. Matthias Bäcker.

Die GFF führt bereits mehrere andere Verfahren gegen polizeiliche und geheimdienstliche Überwachung:


Gegen die Ausweitung der Überwachungsbefugnisse für Polizei und Verfassungsschutz in Hessen

hat die GFF gemeinsam mit der Humanistischen Union (HU), der Bürgerrechtsgruppe dieDatenschützer Rhein Main und dem Forum InformatikerInnen für Frieden und gesellschaftliche Verantwortung e.V. (FIfF) am 02.07.2019 in Karlsruhe eine Verfassungsbeschwerde eingelegt. Näheres dazu hier.

Zur Finanzierung dieser und anderer Verfassungsbeschwerden sind Spenden notwendig

 

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