Angela Merkel über den Widerstreit von Datenschutz und Geschäftsinteressen
Quelle: Max Schrems auf Twitter
Bundeskanzlerin Merkel hat sich in einer Rede am 02.11.2015 beim Publishers‘ Summit des Verbands Deutscher Zeitschriftenverleger (VDZ) dezidiert zu Themen des deutschen und europäischen Datenschutzrechts geäußert. Und das in einer Form, die Schlimmes befürchten lässt.
Zum Datenschutzrecht in Europa erklärt Frau Merkel u. a.: „Europarechtliche Beschränkungen – damit bin ich auch schon beim Thema Datenschutz. Hierbei gilt es eine grundlegende Abwägung vorzunehmen. Sie brauchen hinreichend Freiheiten, um neue Daten, um neue Möglichkeiten des Datenmanagements, des Big Data Minings oder auch die Cloud für Ihre Geschäftsmodelle zu nutzen. Ich glaube, das ist eine bis jetzt, jedenfalls in Deutschland, noch nicht richtig erkannte Form der Wertschöpfung. Daten sind Rohstoffe des 21. Jahrhunderts… Wir haben jetzt aber einen Trilog mit dem Europäischen Parlament, bei dem wir aufpassen müssen, dass der Datenschutz nicht die Oberhand über die wirtschaftliche Verarbeitung der Daten gewinnt…“ Diese Aussage lässt alle Alarmglocken klingeln in Bezug auf die Verhandlungsposition der Bundesregierung zu diesem Thema.
Und zum Thema Vorratsdatenspeicherung versucht Frau Merkel, Verleger und Journalisten zu beruhigen: „…Verkehrsdatenspeicherung. Da sind Sie allerdings nicht so sehr daran interessiert, dass möglichst viele Verkehrsdaten gespeichert werden. Das wird insbesondere von Journalisten argwöhnisch betrachtet. Das verstehe ich auch. Aber ich will noch einmal darauf hinweisen, dass das vom Bundestag im Oktober verabschiedete Gesetz aus Sicht der Bundesregierung extrem enge Grenzen für die Speicherung von Daten steckt. Das Recht auf unbeobachtete Kommunikation ist und bleibt erhalten. Die jeweiligen Telekommunikationsunternehmen erfassen die Daten. Und wenn jemand an sie herankommen möchte – also Strafverfolgungsbehörden –, wird jeweils ein richterlicher Beschluss benötigt, in dessen Rahmen der besondere Schutz bestimmter Berufsgruppen – darunter auch der Schutz der Journalisten – zu berücksichtigen ist. Im Übrigen sind die Speicherungsfristen sehr kurz. Ich glaube, das ist vertretbar. Der Richtervorbehalt macht nochmals deutlich, dass in dem sensiblen Spannungsfeld zwischen Freiheit und Sicherheit die Balance gewahrt wird und die berechtigten Interessen unabhängiger Medien angemessen berücksichtigt werden…“
Glücklicher Weise haben die Interessenvertretungen der JurnalistInnen dieser Beruhigungspille nicht schlucken wollen. Unmittelbar vor der Verabschiedung der Neuauflage des Gesetzes zur Vorratsdatenspeicherung haben sie in einem Appell an den Gesetzgeber erklärt: „Die von der Bundesregierung geplante Neuauflage der Vorratsdatenspeicherung schadet dem Informantenschutz und schränkt dadurch die Presse- und Rundfunkfreiheit in Deutschland in unvertretbarem Maße ein.Deshalb appellieren die Journalisten- und Medienorganisationen DJV, dju in ver.di, BDZV, VDZ und VPRT sowie die ARD an den Deutschen Bundestag, in der für den 16. Oktober geplanten zweiten und dritten Lesung des Gesetzentwurfs mit nein zu stimmen.“ Dieser Appell ist leider bei der Mehrheit der Bundestagsabgeordneten von CDU/CSU/SPD ungehört verhallt.
Und was den praktischen Wert des von Frau Merkel genannten Richtervorbehalts angeht, ist im Posteo-Transparenzbericht 2014 zu lesen: „In Berlin ist nach dem Jahr 2007 kein einziger Antrag auf Telekommunikationsüberwachung mehr abgelehnt worden… Insgesamt wurden zwischen 2008 und 2014 in Berlin 14.621 Anschlüsse überwacht. Die Anzahl der angeordneten Überwachungen stieg über die Jahre hinweg deutlich an… Dass zwischen 2008 und 2014 bei 14.621 überwachten Anschlüssen (Festnetz, Mobilfunk und Internet) in Berlin kein einziger Antrag auf Überwachung abgelehnt wurde, verdeutlicht unserer Auffassung nach eindrücklich, dass Zweifel an der Wirksamkeit des Kontrollinstrumentes des Richtervorbehaltes nicht nur berechtigt sind, sondern dass auch Klärungsbedarf besteht. Wie kann es möglich sein, dass Richter über viele Jahre hinweg jedem einzelnen Antrag auf Überwachung einer Bürgerin oder eines Bürgers stattgeben? Was sagen diese Zahlen über den Zustand unseres Rechtsstaates aus?“