Republikanischer Anwaltsverein (RAV): Bezahlkarte für Geflüchtete ist ein Eingriff in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung
Die Bayrische Staatsregierung (CSU / Freie Wähler) hat in der Kabinettssitzung vom 14.11.2023 beschlossen, „ein bayernweites Bezahlkartensystem für Leistungsberechtigte nach dem Asylbewerberleistungsgesetz einzuführen. Hiermit sollen Bargeldleistungen weitestgehend ersetzt werden… Die Bezahlkarte soll in allen ANKER-Zentren und auch in den Asylunterkünften der Anschlussunterbringung eingeführt werden, soweit dies nach den bundesrechtlichen Vorgaben möglich ist und Leistungen nicht bereits als Sachleistungen erbracht werden. Mit der Bezahlkarte können die Leistungsberechtigen ähnlich einer „EC-Karte“ in Geschäften bezahlen. Dabei wird die Nutzung jedoch verschiedenen Einschränkungen unterliegen. So sollen beispielsweise keine Überweisungen oder online-Käufe möglich sein, der Einsatzbereich kann bei Bedarf geografisch beschränkt oder bestimmte Händlergruppen ausgeschlossen werden. Barabhebungen sollen auf das rechtlich gebotene Minimum beschränkt werden. Die Bezahlkarte soll bayernweit eingeführt werden…“
Der Republikanische Anwältinnnen- und Anwälteverein (RAV) hat in einer Stellungnahme vom 24.11.2023 massive Kritik an diesem geübt.
„Populistisches Vorhaben greift ungerechtfertigt in Grundrechte von Geflüchteten ein und ist weder sach- noch zweckgerecht.“
- „Betroffen sei vor allem das Recht auf informationelle Selbstbestimmung“, so Rechtsanwalt Yunus Ziyal von der AG Migrationsrecht Süd des RAV. „Mittels der Datenerhebung über ihre Einkäufe kann eine Kontrolle der Migrant*innen stattfinden, was auch die Erstellung von Bewegungsprofilen ermöglichen würde.“ Der Rechtsanwalt erklärt weiter: „Auch drohen erhebliche Einschränkungen in der allgemeinen Handlungsfreiheit, wenn die Sperrung bestimmter Waren und regionale Beschränkungen erfolgen, und wir befürchten schwerwiegende Verletzungen des Datenschutzes unserer Mandant*innen, insbesondere bei der übereilten Umsetzung hier in Bayern.“
- Zudem sei das Vorhaben weder sach- noch zweckgerecht: In der Erfahrung der Migrationsrechtsanwält*innen würden Schleuser*innen in der Regel nicht nach der Flucht bezahlt, und die Betroffenen unterstützen ihre Verwandten im Ausland meistens erst dann, wenn sie selbst arbeiteten und Geld verdienten. Dies sei gleichzeitig ein Hauptanliegen der Betroffenen: die Unabhängigkeit von Sozialleistungen.
- Zudem gäbe es keine seriöse Quelle, die Bargeldauszahlung als Pullfaktor für Migration bestätigt.
- Wenn Betroffene zudem an jeder Kasse als Asylbewerber*innen erkennbar sind, kein Onlinekauf möglich ist und „bestimmte Händler“ ausgeschlossen sein sollen, resultiert das in weiterer Diskriminierung und Stigmatisierung der Betroffenen. Das System der Bezahlkarten hieße, dass jenseits großer Händler*innen keine Käufe getätigt werden könnten.
- Auch wie Geldzahlungen für die Beschaffung von Personalpapieren aus der Heimat erfolgen sollen, die von den Ausländerbehörden regelmäßig gefordert werden, oder wie die Menschen ihre rechtliche Vertretung finanzieren sollen, sei nicht geklärt.
Die massiven Eingriffe in die Rechte auf Handlungsfreiheit, informationelle Selbstbestimmung, Datenschutz und Bewegungsfreiheit halten die Rechtsanwält*innen vom RAV für ungerechtfertigt. Sie fordern die bayerische Staatsregierung auf, von diesem populistischen Schnellschuss Abstand zu nehmen und sich stattdessen auf rechtlich und praktisch durchdachte Lösungen zu konzentrieren.
Auch in den von hessischen CDU und SPD formulierten „Eckpunkten einer Hessenkoalition der Verantwortung“ wird die vom RAV kritisierte Politik als Ziel ausgegeben. Unter Punkt „4. MIGRATION UND INTEGRATION“ wird u. a. angekündigt: „Wir streben im Dialog mit den Kommunen an, dass Geflüchtete keine monetäre Auszahlungen mehr erhalten und wollen konsequent auf Bezahlkarten und Sachleistungen umstellen…“
Die vom RAV geäußerte Kritik an den in Bayern beschlossenen Regelungen trifft in vollem Umfang auch auf die Ankündigung der neuen Hessen-Kaliition zu.
Die Frankfurter Sozialdezernentin Elke Voitl in der Sitzung des Sozial- und Gesundheitsausschusses:
Die Einführung von Bezahlkarten sorge nicht für eine Entlastung der Verwaltung, sondern schaffe Doppelstrukturen. Teile der Leistungen würden weiterhin bar ausgezahlt. Mit den Bezahlkarten werde man die Selbstbestimmung der Menschen einschränken, die nicht mehr dort kaufen könnten, wo es Angebote gebe, sondern dort, wo die Karte akzeptiert werde. Mit den Händlern zu verhandeln, belaste die Verwaltung zusätzlich. „Geflüchtete erhalten weniger Geld als Menschen im Sozialleistungsbezug“, so Voitl. Ihr Spielraum sei schon gering.
Aus der Frankf. Rundschau v. 30. Nov. – https://www.fr.de/frankfurt/deutlich-mehr-gefluechtete-fuer-frankfurt-92704982.html