Zur aktuellen Debatte um die Ausweitung der Videoüberwachung: „Einen Staat, der mit der Erklärung, er wolle Straftaten verhindern, seine Bürger ständig überwacht, kann man als Polizeistaat bezeichnen“

Datenschutzrheinmain/ Oktober 27, 2016/ alle Beiträge, staatliche Überwachung / Vorratsdatenspeicherung, Videoüberwachung/ 0Kommentare

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Kamerainstallation aus Shanghai (Volksrepublik China)

Zeitungen, Funk und Fernsehen berichten über aktuelle Pläne von Bundesinnenminister Thomas de Maizière, wonach die Videoüberwachung an öffentlichen Orten wie Einkaufszentren, Sportstätten und Parkplätzen, aber auch in in Bussen und Bahnen deutlich ausgeweitet werden sollen. Auch Techniken zur automatischen Gesichtserkennung möchte de Maizière zum Einsatz bringen. Umsetzen will der Innenminister seine Pläne durch eine Änderung des Bundesdatenschutzgesetzes (BDSG). Dort soll künftig geregelt werden, dass die „Sicherheit der Bevölkerung“ bei Entscheidungen über den Einsatz von Überwachungstechnik „besonders zu berücksichtigen“ sei.

Erste Erkenntnisse, wohin die Reise gehen soll, sind der Antwort der Bundesregierung vom 25.10.2016 auf eine Kleine Anfrage von Abgeordneten der Fraktion Bündnis 90 / Die Grünen zum Thema „Intelligente Videoüberwachung“ (Bundestags-Drucksache 18/10137) zu entnehmen. Dort werden auch Zahlen über den bereits bestehenden Umfang von Videoüberwachung an Bahnhöfen und Flughäfen gemacht:

  • Auf Frage 7 der Grünen „Auf wie viele Videokameras der DB AG kann die Bundespolizei insgesamt zum gegenwärtigen Zeitpunkt zugreifen?“ antwortet die Bundesregierung: Die BPOL hat derzeit Zugriff auf rund 6 400 Videokameras der DB AG.“.
  • Auf Frage 12 der Grünen „Wie viele Kameras befinden sich nach Kenntnis der Bundesregierung an den 50 größten bundesdeutschen Bahnhöfen derzeit?“ lautet die Antwort: „Der Bundesregierung liegen keine Angaben zur Gesamtzahl der Kameras, einschließlich der von Dritten, die derzeit in den 50 größten Bahnhöfen betrieben werden, vor.“ Bezogen auf den Frankfurter Hauptbahnhof hat die Bürgerrechtsgruppe dieDatenschützer Rhein Main in einer eigenen Recherche im Oktober 2016 festgestellt, dass in und um den Frankfurter Hauptbahnhof mindestens 85 Videokameras unterschiedlichster Größe und Bauart betrieben werden, darunter 46 Dome-Kameras.
  • Auf Frage 13 der Grünen „Auf wie viele Videokameras kann die Bundespolizei an den fünf größten bundesdeutschen Flughäfen zugreifen?“ antwortet die Bundesregierung: „Die BPOL nimmt an den Flughäfen Luftsicherheitsaufgaben als auch bahnpolizeiliche Aufgaben wahr und hat sowohl auf eigene Kameras als auch auf Kameras der Flughafenbetreiber und der DB AG Zugriff. Die Anzahl der Videokameras, auf die die BPOL an den fünf größten bundesdeutschen Flughäfen zugreifen kann, beträgt rund 1 730 Kameras.“

Ernst Benda, einer der Vorgänger von Thomas de Maizière als Bundesinnenminister (1968-1969), erklärte am 05.07.2007 in einem Interview mit der Tagesschau: Einen Staat, der mit der Erklärung, er wolle Straftaten verhindern, seine Bürger ständig überwacht, kann man als Polizeistaat bezeichnen. Den Polizei- oder Überwachungsstaat wollen wir nicht. Aber wir wollen, dass der Staat seine Sicherheitsaufgaben angemessen erfüllt.“ Zum Zeitpunkt des Interviews war Benda allerdings nicht mehr Bundesinnenminister, sondern Präsident des Bundesverfassungsgerichts.

In einer Magisterarbeit mit dem Titel Die staatliche Videoüberwachung des öffentlichen Raumes als Instrument der Kriminalitätsbekämpfung stellte Florian Glatzner im Oktober 2006 im Abschnitt 6.1 „Effekte der Videoüberwachung und Folgerungen“ (S. 80/81) fest: „Die Ergebnisse der Evaluation hinsichtlich der Kriminalitätsbekämpfung haben gezeigt, dass die Videoüberwachung zwar durchaus geeignet ist bestimmte Vergehen, wie zum Beispiel Eigentumsdelikte, zu verhindern. Allerdings zeigen die Ergebnisse deutlich, dass die Wirkung der Videoüberwachung insbesondere auf Affekt-Taten oder die Gesamtkriminalität überhaupt gering ist. Diese Ergebnisse werden durch nahezu alle validen Studien bestätigt. Die Videoüberwachung ist damit ein Instrument, das in seiner Wirksamkeit eng begrenzt ist. Zudem können Verschiebungseffekte auftreten, durch die eine Überschätzung bei gleichzeitiger Verminderung der tatsächlichen Wirksamkeit erfolgen.“

Dem ist nichts hinzu zu fügen!

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