Videoüberwachung von Beschäftigten – Datenschutzbeauftragter von Baden-Württemberg kritisiert Urteil des Bundesarbeitsgerichts
Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat mit Urteil vom 28.03.2019 (Aktenzeichen: 8 AZR 421/17) entschieden, dass Datenerhebungen, die weniger schwerwiegend in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung eingreifen, auch ohne Vorliegen eines konkreten Anfangsverdachts zulässig sein können. Dies gelte insbesondere für offene Überwachungsmaßnahmen (auch mittels Videoüberwachungsanlagen), die keinen Arbeitnehmer pauschal unter Verdacht stellen und der Verhinderung von Pflichtverletzungen dienen sollen. Das BAG erklärte zudem im Bezug auf Speicherfristen von Kameraaufnahmen: „Sofern zulässig erhobene Daten den Verdacht einer Pflichtverletzung begründen, dürfen sie für die Zwecke und unter den Voraussetzungen des § 32 Abs. 1 Satz 1 BDSG aF auch verarbeitet und genutzt werden. Der Arbeitgeber darf deshalb grundsätzlich alle Daten speichern und verwenden, die er benötigt, um die ihm obliegende Darlegungs- und Beweislast in einem potentiellen Rechtsstreit um die Wirksamkeit einer Kündigung und/oder das Bestehen von Schadensersatzansprüchen zu erfüllen…“ (Randnummer 48).
In dem zu entscheidenden Streitfall hatte das BAG über folgenden Sachverhalt zu entscheiden: Das Unternehmen hatte in seinen Geschäftsräumen drei für die Beschäftigten und andere Personen erkennbare Videokameras installiert. Eine weitere Kamera überwachte den für den Publikumsverkehr nicht zugänglichen Büroraum. Durch stichprobenartiger Kontrollen stellte das Unternehmen Unregelmäßigkeiten im Waren- und Kassenbestand fest und sichtete daraufhin die Aufnahmen des Videoüberwachungssystems. Infolge der daraus gewonnenen Erkenntnisse kündigte er einer Arbeitnehmerin fristlos. Diese erhob Kündigungsschutzklage und führte u.a. an, die Videoaufzeichnung sei rechtswidrig erfolgt und dürfe daher nicht als Beweis verwertet werden.
In einem Beitrag vom 25.09.2019 auf der Homepage Juris – Das Rechtsportal setzt sich Dr. Stefan Brink, Landesbeauftragter für den Datenschutz und die Informationsfreiheit Baden-Württemberg, kritisch mit diesem BAG-Urteil auseinander. Er kommt dabei zu folgender Bewertung:
„Die Rechtsauffassung, wonach offene präventive Videoüberwachung am Arbeitsplatz im Falle ihrer ‚Verhältnismäßigkeit‘ als zulässig angesehen werden kann, ist datenschutzrechtlich kritisch zu bewerten: Auf diese Weise verschwimmen die Grenzen einer präventiven Überwachung gemäß § 32 Abs. 1 Satz 1 BDSG a.F. bzw. § 26 Abs. 1 Satz 1 BDSG n.F. zu jener einer repressiven Überwachung nach Satz 2.“
„Mit Sorge muss man die streitgegenständliche Entscheidung des BAG zudem mit Blick auf die Erwägungen zur Speicherdauer der Videoaufnahmen bewerten. Das BAG vertritt nach wie vor die datenschutzrechtlich unhaltbare Ansicht, der Arbeitgeber dürfe im Grundsatz bis zu einer ‚Bedarfsklärung‘ vorerst alle Daten speichern und verwenden, die er benötigt, um ihm obliegende Darlegungs- und Beweislasten in einem (potentiellen) Rechtsstreit zu erfüllen… Dies widerspricht eindeutig den Grundsätzen der Datenminimierung und Speicherbegrenzung, welche in Art. 5 der DSGVO als dem maßgeblichen und anwendbaren europäischen Recht… seinen Niederschlag gefunden haben. Alle Datenschutzaufsichtsbehörden stehen fassungslos vor dieser sich von den verbindlichen Rechtsgrundlagen lösenden Rechtsprechung. Videoaufzeichnungen sind unverzüglich zu sichten und dann unverzüglich – regelmäßig binnen 48 Stunden – zu löschen, jeder Verstoß durch den Arbeitgeber wird mit ganz erheblichen Bußgeldern geahndet.“
Abschließend kommt Dr. Stefan Brink unter der Überschrift „Auswirkungen für die Praxis“ zu der Bewertung: „Die Entscheidung des BAG dürfte auf Seiten der Arbeitgeber viel Zuspruch erfahren. Alleine: Es handelt sich um ein ‚Danaergeschenk‘, denn einem vor dem Arbeitsgericht unterliegenden Arbeitnehmer steht der Gang zur Datenschutzaufsichtsbehörde jederzeit offen.“