Über den Wert von Videoüberwachung bei Verhinderung und/oder Aufklärung von Kriminalität: Was KriminologInnen dazu sagen

Datenschutzrheinmain/ Dezember 26, 2016/ alle Beiträge, Videoüberwachung/ 2Kommentare

Seit Wochen wird – insbesondere von Innenpolitikern der CDU/CSU – in einem wahren Trommelfeuer der flächendeckende Ausbau der Videoüberwachung gefordert. Die mediale Aufmerksamkeit ist den Herren Thomas de Maizière (Bundesinnenminister), Klaus Bouillon (Innenminister des Saarlands, Vorsitzender der Innenministerkonferenz) u. a. sicher. Ihre Aussagen werden hundertfach wiederholt. Egal ob sie ihre Forderungen begründen mit

  • den Erfordernissen bei der Bekämpfung terroristischer Aktivitäten;
  • der angestrebten Erhöhung des Sicherheitsgefühls der BürgerInnen;
  • der Erfolge bei der Zurückdrängung von Kriminalität oder
  • der Erfolge bei der Aufklärung von Straftaten.

Was in der öffentlichen Wahrnehmung und Debatte leider zu wenig wahrgenommen wird sind Stellungnahmen von Fachleuten, die sich wissenschaftlich mit Kriminalität, ihren verschiedenen Ausprägungen, mit TäterInnen-Verhalten und in diesem Zusammenhang auch mit Videoüberwachung als Instrument zur Reduzierung und zur Aufklärung von Straftaten beschäftigen. Hin und wieder kommen VertreterInnen dieser Spezies in einzelnen Medien zu Wort; ihre Beiträge werden aber leider nicht in gleicher Weise wie die Äußerungen von de Maizière und Bouillon beachtet und besprochen. Auf zwei dieser Beiträge soll hier hingewiesen werden.

In der Saarbrücker Zeitung vom 24.12.2016 kam die Kriminologin Prof. Dr. Rita Haverkamp (Universität Tübingen), Mitglied im Forschungsbeirat des Bundeskriminalamtes (BKA), unter der Überschrift „Ein Terrorist will entdeckt werden“ zu Wort.

  • Auf die Frage Wo ist Videoüberwachung besonders wirksam? antwortet sie: „In Parkhäusern, insbesondere wenn sie mit verbesserter Beleuchtung und deutlichen Hinweisen auf die Videoüberwachung kombiniert wird. Die Zahl der Diebstähle von und aus Fahrzeugen sank so um gut 40 Prozent. In Stadtzentren, Wohngebieten oder im öffentlichen Nahverkehr hatte die Videoüberwachung aber nur einen geringen oder keinen signifikanten Effekt auf die Kriminalität…“ Die Anschlussfrage „Aber Sie erhöht das Entdeckungsrisiko für potenzielle Täter“ beantwortet sie mit: „Das ist der Gedanke an den vernünftig handelnden Täter. Das hat grundsätzlich auch etwas für sich. Aber Gewalttäter handeln häufig spontan, sind alkoholisiert und enthemmt und achten nicht auf Videokameras…“
  • Und die Frage „Es heißt, Überwachungskameras erhöhen das subjektive Sicherheitsgefühl der Bürger. Stimmt das? beantwortet sie mit: „Vor kurzem wurden dazu Ergebnisse aus der Schweiz veröffentlicht. Es wurde festgestellt, dass es keinen objektiv messbaren Effekt auf die Kriminalität gab, aber dass sich die Bevölkerung durch die Videokameras sicherer fühlte… Man muss sich natürlich überlegen, wohin solche Begründungen führen können. Zumal ja auch Gewöhnungseffekte eintreten. In fünf oder zehn Jahren erhöhen die Kameras vermutlich nicht mehr das subjektive Sicherheitsgefühl. Dann stellt sich die Frage nach einer weiteren Aufrüstung…“.

Das Darmstädter Echo ließ in seiner Ausgabe vom 19.11.2016 in einem Interview unter der Überschrift „Mehr Kameras, mehr Sicherheit?“ den Kriminologen Prof. Dr. Thomas Feltes (Ruhr-Universität Bochum) zu Wort kommen. Auch er mit bemerkenswerten Aussagen.

  • Auf die Frage Schreckt eine Überwachungsanlage potenzielle Täter ab? antwortet er: „Das ist Blödsinn. Eine präventive Wirkung von Videoüberwachung ist lediglich beim Kfz-Diebstahl bewiesen. Wenn sie einen Parkplatz mit Video überwachen, haben sie dort weniger Diebstähle. Bei allen anderen Straftaten, vor allem im Bereich der Kleinkriminalität, haben weltweite Studien gezeigt, dass sie überhaupt keinen abschreckenden oder präventiven Effekt hat.“
  • Und zur Frage Können durch Videoüberwachung andere Straftaten wenigstens im Nachhinein aufgeklärt werden? stellt er fest: „… Bei einer schweren Straftat, etwa einem geplanten Raubüberfall, wird der Täter kaum unmaskiert in die Kamera schauen. Britische und deutsche Studien haben gezeigt, dass Videoüberwachungs-Maßnahmen die Aufdeckungsrate von Straftaten nicht steigern. Ein Zusammenhang zwischen der Zahl der installierten Kameras und der Aufklärungsquote ist nicht feststellbar.“

Die KriminologInnen Haverkamp und Feltes kommen damit zum ähnlichen Ergebnissen wie die Datenschutzbeauftragten der 16 Bundesländer, die kürzlich Stellung genommen haben zum geplanten Videoüberwachungs“verbesserungs“gesetz von Bundesinnenminister de Maizière. Sie erklärten u. a.: „Der Gesetzentwurf vermag nicht zu begründen, dass die angestrebte Erleichterung der Videoüberwachung die öffentliche Sicherheit besser gewährleisten kann, als dies gegenwärtig der Fall ist.“ Und sie stellen zu Recht fest: Auch die mögliche Erhöhung eines faktisch ungerechtfertigten subjektiven Sicherheitsgefühls könnte Grundrechtseingriffe nicht rechtfertigen.“

Aber auch Polizisten, die sich noch „vor Ort“ bewegen haben manchmal Einsichten und Ansichten, die den Gebrauchswert von Videoüberwachung bei Prävention und Aufklärung von Straftaten relativieren.

  • Die Märkische Allgemeine Zeitung meldet am 05.11.2016: „Potsdam. Die Videoüberwachung an Kriminalitätsschwerpunkten in Brandenburg hilft kaum bei der Ergreifung von Tätern vor Ort. Das sagte der Vorsitzende der Gewerkschaft der Polizei (GdP), Andreas Schuster gegenüber der MAZ. ‚Die Polizei ist gar nicht in der Lage, in einer angemessenen Zeit einzugreifen, wenn die Kameras eine Straftat erfasst haben – und das wissen die Täter’… Tatsächlich dienten die Anlagen derzeit vor allem dazu, den Menschen am Bahnhof ein ’subjektives Sicherheitsgefühl‘ zu vermitteln. Wer allerdings ein Fahrradschloss knacke, müsse kaum befürchten, gefasst zu werden…“
  • Der Bayerische Rundfunk meldet am 21.11.2016: „Nach Grapscher-Serie in Nürnberg: Polizei gegen Videoüberwachung am Wöhrder See“ Was ging dieser Stellungnahme voraus? O-Ton Bayerischer Rundfunk: „Das Thema war aufgekommen, da seit Mitte 2015 rund um den See mehrere Joggerinnen begrapscht worden waren…Viele Medien hatten über den sogenannten Rad-Grapscher berichtet, was nach Einschätzung der Polizei zu einer ‚erheblichen Beeinträchtigung der subjektiven Sicherheitslage‘ führte. Daraufhin war im Rechtsausschuss (des Nürnberger Stadtparlaments) die Frage nach einer Videoüberwachung aufgekommen…“. Und weiter:  „Die Polizei ist aus mehreren Gründen gegen eine Videoüberwachung der Areale: Um eine Videoüberwachung rechtlich zu rechtfertigen, müsste der entsprechende Bereich ein ‚Kriminalitätsbrennpunkt‘ sein…“ Eine durchaus begrüßenswerte, von nüchterner Faktenanalyse geprägte Stellungnahme. Dazu passt eine Meldung des Bayerischen Rundfunks, die bereits am 02.11.2016 veröffentlicht wurde: „Die Nürnberger Polizei hat den sogenannten Po-Grapscher vom Wöhrder See mit Hilfe einer extra eingesetzten Fahrradstreife festgenommen.“ Geht doch! – auch ohne Videoüberwachung.

2 Kommentare

  1. Guter Artikel, Danke.
    Ich finde es zudem sehr interessant dass alleine letzte Woche zwei oder drei Fälle bekannt wurden wo in den Medien direkt nach der Tat Aufnahmen von Überwachungskameras aus Bahnen und Bahnhöfen zur Fahndung gezeigt wurden.
    Normal ist die Polizei mit sowas doch erst Wochen oder gar Monate später an die Öffentlichkeit?
    Für mich sieht das sehr aus nach „schaut wie schnell wir so reagieren können. Das ist gut und wir brauchen mehr davon“
    Der normale Bürger der sich darüber keine Gedanken macht stempelt das sicher einfach als „Ja, richtig. Wow wie schnell man so mit einem Bild nach dem Täter fahnden kann“ ab.

  2. Pingback: Lesestoff für den 01. Jänner 2017 mit 34 Artikeln aus dem letzten Jahr - Der Webanhalter

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