Soll die „aktivAPP“ Hartz-IV-Bezieher*innen überwachen? Fragen zum Pilotprojekt der kommunalen Jobcenter der Stadt Offenbach sowie der Landkreise Main-Taunus und Offenbach

Sozial-Datenschutz/ Mai 31, 2020/ alle Beiträge, Jobcenter Main-Taunus-Kreis, Jobcenter MainArbeit Stadt Offenbach, Jobcenter Pro Arbeit Landkreis Offenbach, Sozialdatenschutz/ 0Kommentare

Pro Arbeit, das kommunale Jobcenter des Landkreises Offenbach, teilte am 13.12.2019 auf seiner Homepage mit: „Was kann ein Hartz-IV-Empfänger tun, um erwerbsfähig zu bleiben? Wie kann er erkennen, ob er gefährdet ist, seine Erwerbsfähigkeit zu verlieren? Diese Fragen werden die Kommunalen Jobcenter der Kreise Offenbach und Main-Taunus sowie der Stadt Offenbach künftig noch stärker im Blick haben. Gemeinsam starten sie ab Januar 2020 das Pilotprojekt ‚Kooperation für Prävention, Fitness und Gesundheit im Jobcenter‘ (KOPF22). Das Projekt soll… dazu beitragen, die Gefahr, dass eine Person ihre Erwerbsfähigkeit mittel- oder langfristig verliert, besser abzuschätzen und zu reduzieren. Im Mittelpunkt stehen Männer und Frauen mit einem beginnenden Handicap und Menschen mit gesundheitlichen Einschränkungen. ‚Für sie sollen neue Beschäftigungschancen eröffnet werden, indem die Jobcenter neue Ansätze zur Unterstützung und zum Erhalt der Erwerbsfähigkeit über einen längeren Zeitraum erproben und auswerten‘… Ein zentraler Bestandteil des Projektes ist die Entwicklung einer ‚aktivAPP‘. Mit ihr erfassen Langzeitarbeitslose persönliche Daten zu ihren individuellen Lebensbedingungen, woraus die App einen Wert berechnet; den sogenannten ‚reha score‘. Dieser Score gibt an, ob und wie stark die Erwerbsfähigkeit eines Menschen bereits gefährdet ist. Aus den Ergebnissen werden maßgeschneiderte Förderstrategien abgeleitet, um die Arbeitsfähigkeit des Einzelnen zu erhalten und zu stärken. Die jeweiligen Daten, aus denen sich der ‚reha score‘ berechnet, bleiben dabei anonym.“ In einer Projektdarstellung werden weitere Einzelheiten der beschriebene Maßnahme bekannt gegeben.

Auf der Grundlage dieser Information hat die Bürgerrechtsgruppe dieDatenschützer Rhein Main am 21.12.2019 eine Anfrage an das für das Pilotprojekt KOPF22 verantwortlich zeichnende Jobcenter des Landkreises Offenbach gerichtet. Am 14.01.2020 antwortete der Vorstand des kommunalen Jobcenters Pro Arbeit Kreis Offenbach (AöR). Seine Antwort im Wortlaut: „… Es handelt sich dabei um ein Entwicklungsprojekt mit Start am 1.1.2020. Derzeit befinden wir uns in einer Entwicklungsphase, in der noch keine Arbeit mit Teilnehmenden stattfindet… Wir bitten Sie um Verständnis, dass die in Ihrem Katalog gestellten Fragen zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch nicht beantwortet werden können…“  Inzwischen sind vier Monate vergangen. Neue Nachrichten zu diesem Projekt sind weder auf der Homepage von Pro Arbeit, dem kommunalen Jobcenter des Landkreises Offenbach noch auf den Homepages der beiden anderen kommunalen Jobcenter (MainArbeit, Stadt Offenbach)  und Main-Taunus-Kreis zu finden. Unklar ist daher, ob das Projekt

  • klammheimlich beerdigt wurde (wozu es aus datenschutzrechtlicher Sicht viele gute Gründe gibt) oder
  • weiter verfolgt, aber wg. technischer oder rechtlicher Probleme nicht in die Gänge kommt.

Ein Grund für die Bürgerrechtsgruppe dieDatenschützer Rhein Main, bei Boris Alexander Berner, Geschäftsführer der Pro Arbeit (Jobcenter des Landkreises Offenbach) erneut nachzufragen. Am 26.05.2020 wurden Herrn Berner erneut folgende Fragen vorgelegt:

  1. „Ist beabsichtigt, dass Menschen, die Anspruch auf Leistungen nach SGB II haben, auch gegen ihren Willen im Rahmen der Mitwirkungspflichten gem. §§ 60 – 66 SGB I zur Teilnahme an dem Pilotprojekt KOPF22 verpflichtet werden sollen?
  2. Wird Menschen, die Anspruch auf Leistungen nach SGB II haben und die an diesem Pilotprojekt teilnehmen (wollen oder müssen), ggf. ein Smartphone auf Kosten der jeweiligen kommunalen Jobcenter zur Verfügung gestellt?
  3. Wenn Ja – zu welchen Konditionen?
  4. Welche Kategorien von Daten sollen mit „aktivAPP“ erhoben und verarbeitet werden?
  5. Sind dabei auch Kategorien von Daten, die gem. Art. 9 DSGVO einem besonderen Schutz und einem Verarbeitungsverbot unterliegen; z. B. Gesundheitsdaten?
  6. Wer soll im jeweiligen Jobcenter in welcher Form Zugriff auf die erhobenen Daten erhalten? Bitte Organisations- bzw. Funktionsbezeichnung benennen.
  7. Wurden die behördlichen Datenschutzbeauftragten der drei beteiligten kommunalen Jobcenter in die Vorbereitung des Projekts einbezogen?
  8. Welche Stellungnahme haben sie abgegeben?
  9. Wurde der hessische Datenschutzbeauftragte in die Vorbereitung des Projekts einbezogen?
  10. Welche Stellungnahme hat er abgegeben?
  11. Wurde eine Datenschutz-Folgenabschätzung gem. Art. 35 DSGVO vorgenommen?
  12. Mit welchem Ergebnis?
  13. Von welchem Unternehmen wird die „aktivAPP“ entwickelt?
  14. Von welchem Unternehmen soll die „aktivAPP“ an die SGB-II-Leistungsbezieher*innen
  15. Wie soll sichergestellt werden, dass die unter den beiden vorgenannten Fragen bezeichneten Unternehmen keinen Zugriff auf die bei den Teilnehmer*innen des Pilotprojekts KOPF22 erhobenen Daten erhalten?“

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