NSU 2.0 – Freude bei Hessens Innenminister Beuth (CDU) und der hessischen Polizei: Es war ein Neonazi aus Berlin. War er es allein?

WS/ Mai 6, 2021/ alle Beiträge, Hessische Landespolitik, Polizei und Geheimdienste (BRD)/ 1Kommentare

War er es allein, der die Drohschreiben an Seda Başay-Yıldız, Idil Baydar, Anne Helm, Martina Renner, Janine Wissler, Hengameh Yaghoobifarah und andere Journalist*innen, Jurist*innen und Politiker*innen über mehrere Jahre hinweg verschickt hat. Wie konnte er Drohschreiben versenden an Adressen, die für „Normalsterbliche“ gemeinhin nicht zugänglich sind?

Aber der 53-jährige Mann, der jetzt identifitiert wurde, soll seit Jahren ja immer wieder mal als „Polizist“ oder „Behördenmitarbeiter“ aufgetreten und – in dieser Rolle – bei Behörden erfolgreich Recherchen nach den Verhältnissen anderer Personen angestellt haben. Wie schlecht muss es um den Schutz personenbezogener Daten in diesen Behörden bestellt gewesen wein?

Der Allein-Schuldige (?!?) ist ertappt, zumindest nach Ansicht des hessischen Innenministers Peter Beuth (CDU) und der hessischen Polizeiführung. Ihre Freude über den „Ermittlungserfolg“ ist groß. Die Frankfurter Rundschau berichtet am 04.05.2021:

Quelle: Fr. Rundschau, 04.05.2021

Können es sich die Betroffenen und die kritischen Beobachter*innen der fragwürdigen Aktivitäten hessischer Polizist*innen so leicht machen wie der hessische Innenminister?

  • Im August 2018 erhält die Frankfurter Rechtsanwältin Seda Başay-Yıldız ein erstes Drohfax mit dem Absender NSU 2.0, dem in den Jahren danach einige weitere Nachrichten folgen.
  • Im Dezember 2018 wird bekannt, dass ihre personenbezogenen Daten von einem PC im 1. Frankfurter Polizeirevier abgerufen wurden, ohne dass es dafür dienstliche Gründe gab.
  • Im März 2019 wird bekannt, dass die Daten der Berliner Kabarettistin Idil Baydar im 4. Wiesbadener Polizeirevier abgerufen wurden, ohne dass es dafür dienstliche Gründe gab. Sie erhielt ebenfalls Drohschreiben mit der Signatur NSU 2.0.
  • Im Febriuar 2020 wird bekannt, dass die Daten der hessischen Landtagsabgeordneten Janine Wissler im 3. Wiesbadener Polizeirevier abgerufen wurden, ohne dass es dafür dienstliche Gründe gab. Auch bei ihr gingen Drohschreiben mit der Signatur NSU 2.0 ein.

Woher kannte der 53-jährige Berliner Neonazi die Adress- und Kontaktdaten der genannten und weiterer – lt. Innenminister Beuth – 29 Personen, die Drohschreiben von NSU 2.0 erhielten?

Ist es abwegig zu vermuten, dass diese These berechtigt ist?

Die eingangs genannten sechs von den Drohschreiben betroffenen Personen stellen in einer gemeinsamen Stellungnahme vom 05.05.2021 Fragen:

  • Wie konnte der Tatverdächtige an Daten aus Polizeicomputern in Frankfurt am Main, Wiesbaden, Hamburg und Berlin gelangen und insbesondere an die im Einwohnermelderegister gesperrte Adresse?
  • Gibt es Kontakte des Verdächtigen zu Behördern oder Polizeidienststellen?
  • Und in welcher Verbindung steht die Datenabfrage zu der aufgeflogenen rechten Chat-Gruppen im 1. Revier?
  • Wie passt es mit der bisherigen Gefährdungseinschätzung zusammen, dass der mutmaßliche Täter vorbestraft ist wegen Körperverletzung und eine Schusswaffe bei ihm gefunden wurde?
  • Gibt es Verbindungen zur rechten Anschlagsserie nach Neukölln, die in einigen Mails erwähnt ist?
  • Welche Verbindungen hat der Tatverdächtige nach Hessen? In den Mails gibt es viele Bezüge zu Hessen und schriftlich verschickte Drohbriefe mit ähnlichem Inhalt und Duktus tragen Poststempel aus Frankfurt, Wiesbaden und einigen anderen Städten.“

Fragen, die der hessische Innenminister, die Polizei in Hessen und Berlin und andere Behörden beantworten müssen.

In der genannten Stellungnahme wird weiter festgestellt:

  • Wir sind äußerst irritiert darüber, dass Hessens Innenminister Beuth öffentlich erklärt, dass kein hessischer Polizist in die Drohserie verwickelt seien, obwohl bisher gar nicht geklärt ist, wie der Tatverdächtige an die Daten gekommen ist und obwohl es erwiesenermaßen rechte Aktivitäten in einem der betroffenen Reviere gegeben hat. Dass unbekannte Anrufer sich als Polizisten ausgeben und die Daten einer gesamten Familie aus einem Polizeicomputer abfragen können, erscheint wenig plausibel.
  • Es gibt keinen Grund für Entwarnung. Es gibt in Deutschland eine militante, bewaffnete und international vernetzte rechte Szene, von der Bedrohung und Gewalt ausgeht. Das reflexhafte Gerede von ‚Einzeltätern‘ ist Teil des Problems, denn das erschwert die Aufklärung von Netzwerken und Unterstützungsstrukturen. Einer wird verhaftet, viele andere machen weiter. Rechte Strukturen müssen entschlossen bekämpft werden.
  • Die Aufklärung von NSU 2.0 steht erst am Anfang. Im Kampf gegen rechte Bedrohungen und Gewalt stehen wir solidarisch zusammen mit allen Betroffenen. Die allermeisten davon Betroffenen sind Menschen, die nicht in der Öffentlichkeit stehen und aufgrund ihrer vermeintlichen Herkunft, ihrer Hautfarbe oder ihrer Religionszugehörigkeit angefeindet und angegriffen werden. Umso wichtiger ist es, dass Regierungen und Ermittlungsbehörden die zunehmende Gefahr von rechts ernst nehmen und den Opfern Schutz gewähren. Daran mangelt es bis heute.“

Dem ist nichts hinzu zu fügen!

Herr Beuth, Ihre Hausaufgaben in Sachen NSU 2.0 müssen sie noch machen!

Ihre Erklärung vom 04.05.2021, wonach Sie und „die gesamte hessische Polizei aufatmen“ können, ist eindeutig verfrüht, ebenso wie Ihre apodiktische Feststellung: „Nach allem was wir heute wissen, war nie ein hessischer Polizist für die NSU 2.0-Drohmailserie verantwortlich.“ Denn genau dies ist nach derzeit öffentlich bekanntem Ermittlungsstand in keiner Weise erwiesen.

 

 

1 Kommentar

  1. “(…) Basay-Yildiz erhielt im Laufe der Jahre mehr als ein Dutzend Drohschreiben, die mit „NSU 2.0“ unterschrieben waren. Die Anwältin wurde eng vom LKA betreut. Als sie umzog, sperrte die Behörde ihre neue Adresse. Trotzdem nannte der Drohschreiber diese kurz danach in einer neuen E-Mail. Telefonisch kann er kaum an sie gelangt sein. Bei einer Abfrage wäre das LKA benachrichtigt worden. Der Sicherungsmechanismus funktionierte: Dem Vernehmen nach erfolgte vor einigen Monaten einmal der Versuch einer Abfrage der Daten.
    So soll eine Polizeidienststelle aus einem anderen Bundesland den Kontakt der Anwältin auf dem Telefon eines Verdächtigen unter Hunderten anderen gefunden haben. Die Namen wurden im Polizeisystem abgefragt. Das LKA wurde benachrichtigt, soll die Daten aber nicht herausgegeben haben. Wie soll der Tatverdächtige dann an sie gekommen sein? (…)“ (faz.net, 05.05.21)

    https://www.faz.net/aktuell/politik/inland/nsu-2-0-kommen-die-daten-von-anrufen-bei-der-polizei-17326766.html

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