Niedersachsen: Videoüberwachung und Einsatz von künstlicher Intelligenz zur Verhaltensvorhersage – Probelauf im Knast

CCTV-NeinDanke/ März 15, 2021/ alle Beiträge, Videoüberwachung/ 3Kommentare

Das schlagen CDU und SPD in Niedersächsischen Landtag in einem gemeinsamen Antrag vom 09.03.2021 (Landtags-Drucksache 18/8729) vor. In den Justizvollzugsanstalten des Landes Niedersachsen sollen „digitale Kamerasysteme, die mittels automatisierter, auf Algorithmen basierender Analysesoftware in der Lage sind, bestimmte gefahrenträchtige Verhaltensmuster von Personen zu erkennen“, zur Beobachtung der (unfreiwillig) Einsitzenden genutzt werden.

Und das alles zum Wohle der Betroffenen? Ja, meinen CDU und SPD: „So können z. B. im Rahmen einer offenen Beobachtung öffentlich zugänglicher Orte durch Bildübertragung derartige intelligente Systeme implementiert werden. Treten dann bestimmte Gefahrenlagen ein, wie z. B. eine plötzlich zu Boden sinkende Person, eine körperliche Auseinandersetzung oder ein abgestellter gefährlicher Gegenstand, schlägt das System Alarm. Sicherheitspersonal wird auf die Situation aufmerksam, kann am Bildschirm selbstständig das Geschehen bewerten und gegebenenfalls unverzüglich die notwendigen Maßnahmen einleiten.“

Der Landtag bittet das Justizministerium“, so die antragstellenden Fraktionen, „unverzüglich ein Ausschreibungsverfahren für ein Forschungsprojekt mit geeigneten Anbietern vorzubereiten, sodass unmittelbar nach Inkrafttreten der gesetzlichen Änderungen die innovative Technik in geeigneten Justizvollzugsanstalten erprobt werden kann.“

heise.de zitiert in einem Beitrag vom 15.03.2021 das Niedersächsische Justizministerium. Dieses „begrüßte den SPD/CDU-Antrag. Grundsätzlich bewege sich die Suizidprävention in Haftanstalten in einem sehr sensiblen Spannungsfeld, denn eine menschenwürdige Strafhaft erlaube keine absolute Überwachung der Gefangenen. Der Erforschung und Bewertung neuer technischer Möglichkeiten stehe die Justiz deshalb offen gegenüber…“ .

In der Begründung ihres Antrags werden von den Fraktionen von CDU und SPD zwei Punkte benannt:

    • Der Einsatz modernster Kameratechnik unter Einbeziehung der Möglichkeiten der künstlichen Intelligenz kann die anspruchsvolle und verantwortungsvolle Arbeit des Justizvollzugspersonals bei der Suizidprävention und zur Gewährleistung der Sicherheit in den Justizvollzugsanstalten wesentlich unterstützen und damit erleichtern.“
    • Hinzu kommt aus Sicht des Datenschutzes, dass intelligente Überwachungssysteme zur frühzeitigen Erkennung von Gefahrenlagen weniger stark in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung eingreifen als herkömmliche Überwachungsanlagen. In der Regel werden erheblich weniger oder gar keine personenbezogenen Daten auf Dauer gespeichert. Auch ist eine permanente Echtzeitbeobachtung nicht erforderlich, wenn das System so eingerichtet wird, das nur im Alarmfall eine Bildübertragung des Geschehens stattfindet. Dies schützt in besonderem Maße die Privatsphäre bei einer rund um die Uhr erforderlichen Überwachung eines suizidgefährdeten Strafgefangenen.“

Zum ersten der beiden genannten Punkte sei ein Hinweis gestattet: Als in Hessen der Bodycam-Einsatz in den Justizvollzugsanstalten gesetzlich geregelt wurde, hat der Bund der Strafvollzugsbediensteten Deutschlands (BDSD – Landesverband Hessen), Fachgewerkschaft im Deutschen Beamtenbund, den Einsatz von Bodycams in Straf- und Untersuchungshaftanstalten entschieden abgelehnt. In einer Stellungnahme, die der Verband im Rahmen einer Anhörung im Hessischen Landtag abgegeben hat, wird u. a. festgestellt: „Der BSBD Hessen hat bereits mehrmals und deutlich Stellung gegen den Einsatz von Bodycams bezogen. Zum einen wird die Notwendigkeit nicht erkannt, zum anderen halten wir den Einsatz weder für zielführend noch für zweckdienlich. Wir teilen die Auffassung des Hauptpersonalrats Justizvollzug… Im Justizvollzug ist die Privatsphäre des Gefangenen betroffen, insbesondere wenn in der Begründung zum Gesetzentwurf darauf hingewiesen wird, dass die Bodycam besonders in ‚normalen Hafträumen‘ zum Einsatz kommen soll, also dort, wo keine andere Kameraüberwachung der Anstalt greift. Gerade hier ist die Privatsphäre in ganz besonderer Weise berührt… Es wird von einem Einsatz der Bodycam bei Gefährdung von Leib, Leben, Gesundheit gesprochen. Wenn im Justizvollzug eine solche Gefährdung gegeben ist, wird der Haftraum aber nicht mehr herkömmlich oder durch einzelne Bedienstete geöffnet, hierzu gibt es Einsatzpläne… Wie eine Kamera in solchen Situationen gar deeskalierend wirken kann, erschließt sich überhaupt nicht… Im Vollzug sind plötzlich auftretende Situationen zu bewältigen, die das sofortige Handeln der vor Ort tätigen Bediensteten erfordert… Auch niedrigschwelligere Konflikte im Stationsalltag,sste in der Freistunde oder der Freizeit sollten nicht auf diese Weise behandelt werden, Bodycams wirken hier nicht abschreckend oder gar konfliktklärend…“ (Stellungnahme S. 5 – 6).

Zum zweiten der beiden genannten Punkte soll hier auf die kurz gefasste Stellungnahme von Malte Engeler, Verwaltungsrichter in Schleswig-Holstein verwiesen werden, die er auf Twitter veröffentlicht hat: Projekte wie dieses passen zum Schema, Überwachungswerkzeuge zunächst an den Schwächeren der Gesellschaft auszutesten (vgl. Handydaten-Auslesen bei Asylsuchenden).“ Dem ist nichts hinzu zu fügen!

Quelle: Twitter 15.03.2021

3 Kommentare

  1. Die Landesbeauftragte für den Datenschutz (LfD) Niedersachsen hat zu dem Thema Stellung genommen. Zwei Zitate:

    „Der Einsatz von KI-Systemen bedeutet in der Regel einen tiefen Eingriff in die Grundrechte und Freiheiten der betroffenen Personen, da hierbei häufig massenhaft Daten verarbeitet und automatisierte Entscheidungen getroffen werden“. Deshalb sei es wichtig, für die Verwendung dieser Technologien in Justizvollzugsanstalten zunächst eine Rechtsgrundlage zu schaffen.

    „Jede Maßnahme, die dabei helfen kann Suizide in Justizvollzugsanstalten zu verhindern, ist erwägenswert“, sagt die Landesdatenschutzbeauftragte. Dies sollte sich aber auf eigens für Suizidgefährdete vorgesehene und besonders gesicherte Hafträume beschränken. Eine umfassende Beobachtung sämtlicher Hafträume und gemeinschaftlich genutzter Bereiche durch KI zur Suizidprävention oder zur allgemeinen Erhöhung der Sicherheit wäre dagegen kaum zu rechtfertigen. „Wenn eine Vielzahl unbeteiligter Inhaftierter, deren Verhalten keinen besonderen Anlass zur Beobachtung gegeben hat, dennoch einem permanenten Überwachungsdruck ausgesetzt wird, würde das in unverhältnismäßiger Weise in deren Grundrechte eingreifen“.

    Die ganze Erklärung:
    https://lfd.niedersachsen.de/startseite/infothek/presseinformationen/einsatz-von-kunstlicher-intelligenz-im-justizvollzug-nur-unter-wahrung-der-personlichkeitsrechte-198588.html

  2. Es wird überall versucht!

    Videoüberwachung im Kindergarten

    In Großbritannien gibt es ein Videokamerasystem (NurseryCam), mit dem Eltern aus der Ferne ihre Kinder beobachten können, während diese im Kindergarten sind. Bei diesem Videokamerasystem ereignete sich neulich eine Datenpanne (vgl. hier und hier).
    Datenpanne
    https://www.datenschutz-notizen.de/videoueberwachung-im-kindergarten-5329324/

  3. Die biometrische Erfassung von Menschen in Datenbanken wurde auch erstmals flächendeckend vom Amerikanischen Militär im Afghanistankrieg verwendet. Heute ist sie Bestandteil unserer Personalausweise. Die meisten Repressionswerkzeuge verlaufen demselben Weg vom Schlachtfeld in die Zivilsphäre.

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