Hessen: Landesregierung will erneut das hessische Polizeigesetz (HSOG) und hessische „Verfassungsschutz“gesetz ändern
Mit einem Gesetzesentwurf der Fraktionen von CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN für ein Gesetz zur Änderung sicherheitsrechtlicher Vorschriften und zur Umorganisation der hessischen Breitschaftspolizei (Landtags-Drucksache 20/8129) vom 22.03.22 sollen u. a. das hessische „Verfassungsschutz“gesetz“ und das hessische Gesetzes über die öffentliche Sicherheit und Ordnung erneut geändert werden. Im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens wurde auch die Bürgerrechtsgruppe dieDatenschützer Rhein Main vom Innenausschuss des hessischen Landtags gebeten, eine Stellungnahme zu diesem Gesetzentwurf abzugeben.
Eingangs ihrer Stellungnahme erklärt die Bürgerrechtsgruppe dieDatenschützer Rhein Main:
„Aus mindestens zwei Gründen ist der weitere Gesetzgebungsprozess bis auf Weiteres zu stoppen:
- Mit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 26.04.2022 zum Bayrischen Verfassungsschutzgesetz steht auch der Gesetzesentwurf der Fraktionen der CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – insbesondere Artikel 1 ‚Änderung des Hessischen Verfassungsschutzgesetzes‘ und Artikel 2 ‚Änderung des Hessischen Gesetzes über die öffentliche Sicherheit und Ordnung‘ – auf dem Prüfstand. ‚Business as usual‘ oder ‚weiter so im Tagesgeschäft‘ ist nach dieser Gerichtsentscheidung das falsche Rezept.
- Gegen das Gesetz der Neuausrichtung des Verfassungsschutzes in Hessen aus 2018 ist noch eine – von der Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) unterstützte – Klage vor dem Bundesverfassungsgericht anhängig. Ihr Ausgang ist abzuwarten, bevor dem Hessischen Landesamt für Verfassungsschutz weitere Überwachungs-Kompetenzen übertragen werden.“
Und weiter: „Bereits in der Stellungnahme zum Gesetzesentwurf der Fraktionen der CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN für ein Gesetz der Neuausrichtung des Verfassungsschutzes in Hessen – LT-Drucksache 19/5412 vom 14.11.2017 haben wir kritisiert, dass im damaligen Entwurf keine Befristung und Evaluation festgeschrieben wurde: ‚Der Gesetzgeber muss bei der Ermächtigung des LfV gründlich abwägen zwischen der Gefahr für die Grundordnung und der zu ihrer Verteidigung nötigen Mittel einerseits und der Wahrung der Rechte des Einzelnen und der Allgemeinheit andererseits. Die dem LfV zugestandenen Mittel müssen in ihrem Umfang stets verhältnismäßig sein und dürfen nicht ihrerseits zu einer Gefahr für die Menschen werden. Vor diesem Hintergrund halten dieDatenschützer Rhein Main es für sehr bedauerlich, dass der vorliegende Gesetzentwurf weder eine Befristung noch eine Evaluation der Wirksamkeit der mit ihm ermöglichten, umfangreichen Überwachungsmethoden vorsieht. Wir empfehlen, sowohl eine Befristung, als auch eine Evaluation festzuschreiben.‘“
Die Bürgerrechtsgruppe dieDatenschützer Rhein Main weist in ihrer Stellungnahme darauf hin, „dass durch die damalige Gesetzgebung weder die ‚NSU-Morde‘, die Ermordung des Regierungspräsidenten Dr. Lübcke noch die Morde von Hanau verhindert wurden.“
Umfangreich wird in der Stellungnahme auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 26.04.2022 zum Bayrischen Verfassungsschutzgesetz verwiesen und auf die damit verbundenen Konsequenzen für die Gesetzgebung auch in Hessen. Auf dieser Basis nimmt die Bürgerrechtsgruppe dieDatenschützer Rhein Main umfangreich zu Artikel 1 des Gesetzentwurfs „Änderung des Hessischen Verfassungsschutzgesetzes“ Stellung. Verwiesen wird in diesem Zusammenhang auch auf ein Gutachten des wissenschaftlichrn Dienstes des Bundestags zu den Auswirkungen des Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom 26.04.2022 zum Bayrischen Verfassungsschutzgesetz auf die Gesetzgebung des Bundes.
Zu Artikel 2 des Gesetzentwurfs „Änderung des Hessischen Gesetzes über die öffentliche Sicherheit und Ordnung“ stützt sich die Bürgerrechtsgruppe dieDatenschützer Rhein Main auch auf eine Stellungnahme des CCC Darmstadt. Kritisiert wird hier insbesondere
- „Die neue Generalbefugnis in § 14 Abs. 3a (neu) zur Legitimierung einer Videoüberwachung an öffentlich zugänglichen Bereichen von Flughäfen, Personenbahnhöfen, Sportstätten, Einkaufszentren und Packstationen… Die Klausel definiert die genannten Orte de facto ausnahmslos als Gefahrenschwerpunkte. Ohne Einzelfallprüfung jedes einzelnen potentiellen Standorts erscheint dies maßlos und willkürlich. Nicht nur würde diese Regelung die aktivierte Videoüberwachung an den o. g. Plätzen ohne Einzelfallprüfung der Angemessenheit ermöglichen. Auch eine Bewertung der Erforderlichkeit und Zweckmäßigkeit nach 2 Jahren – wie dies § 14 Abs. 3 Satz 3 HSOG für andere Videoüberwachungsanlagen fordert – entfiele damit an diesen Orten völlig.“
- Die geplante „Kennzeichenerfassung zur Durchsetzung der Versicherungspflicht. Fehlende Versicherungen sind nach unserer Kenntnis nicht als massenhaftes Problem bekannt. Verfolgter Zweck und die Tiefe des Eingriffs stehen damit in keinem angemessenen Verhältnis.“
- Die geplante Erfassung „nahezu beliebiger technischer Endgeräte wie Computer, Tablets, Autoradios…“ durch die Polizei in Hessen.
Zur geplanten Ausweitung der Videoüberwachung stellt die Bürgerrechtsgruppe dieDatenschützer Rhein Main fest: „Statt einer Generalbefugnis ist eine gegenteilige Richtungsentscheidung notwendig; ein eindeutiges Verbot automatisierter Gesichtserkennung. Denn eine automatisierte Gesichtserkennung an öffentlichen Orten wie Bahnhöfen, Sportstätten, Einkaufszentren, Packstationen und Flughäfen würde eine vollständige Überwachung inkl. der Erstellung von Bewegungsprofilen ermöglicht. Dies stünde nicht im Einklang mit dem ‚Volkszählungsurteil‘ des Bundesverfassungsgerichts vom 15.12.1983. Eine seiner Kernaussagen lautet: ‚Freie Entfaltung der Persönlichkeit setzt unter den modernen Bedingungen der Datenverarbeitung den Schutz des Einzelnen gegen unbegrenzte Erhebung, Speicherung, Verwendung und Weitergabe seiner persönlichen Daten voraus. Dieser Schutz ist daher von dem Grundrecht des Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG umfasst. Das Grundrecht gewährleistet insoweit die Wahlmöglichkeiten des Einzelnen, grundsätzlich selbst über die Preisgabe und die Verwendung seiner personenbezogenen Daten zu bestimmen.‘“
Am Ende ihrer Stellungnahme erklärt die Bürgerrechtsgruppe dieDatenschützer Rhein Main: „Aus unserer Sicht ist es – nicht nur für dieses Gesetzgebungsverfahren – notwendig, dass im Gesetzgebungsprozess in einer Synopse der aktuell gültige Gesetzestext und die dazu bestehenden Änderungswünsche gegenüber gestellt werden. Dies würde interessierten Bürgerinnen und Bürgern, Bürgerinitiativen und anderen ehrenamtlich tätigen Gruppen helfen, die Änderungsvorschläge zu verstehen und einzuordnen. Im Zuge der Erstellung eines Gesetzentwurfs wäre eine Synopse ein unschwer zu vertretender Mehraufwand, der unseres Erachtens aber die Transparenz des Gesetzgebungsprozesses wesentlich erhöht und damit auch die Akzeptanz gegenüber dem Gesetzgeber erheblich steigern würde.“