Das Videoüberwachungsverbesserungsgesetz (Entwurf) von Bundesinnenminister Thomas de Maizière

Datenschutzrheinmain/ November 6, 2016/ alle Beiträge, Videoüberwachung/ 3Kommentare

Schon der Name ist ein Euphemismus : Videoüberwachungs“verbesserungs“gesetz.

Was soll denn mit dem Gesetz(-Entwurf) verbessert werden?

Die Möglichkeiten der Videoüberwachung von öffentlichen und frei zugänglichen Bereichen (Sport-, Versammlungs- und Vergnügungsstätten, Einkaufszentren, Parkplätze, Einrichtungen und Fahrzeuge des öffentlichen Personenverkehrs) durch private Kamerabetreiber sollen nach dem Willen der Bundesregierung stark ausgebaut werden. Die Begründung: „Durch die Videoüberwachung kann bei solchen öffentlich zugänglichen Anlagen mit großem Publikumsverkehr nicht bloß der dem Betreiber obliegenden Verkehrssicherungspflicht Rechnung getragen werden. Vielmehr stellt der Einsatz von optisch-elektronischer Sicherheitstechnologie eine Maßnahme im öffentlichen Interesse dar, um die Sicherheit der Bevölkerung präventiv zu erhöhen. Darüber hinaus stehen mit Videoaufzeichnungen der Polizei und Staatsanwaltschaft wirksamere Mittel für die Ermittlungstätigkeit zur Verfügung.“ (Referentenentwurf des Bundesministeriums des Innern vom 02.11.2016, S. 1)

Die Europäische Akademie für Informationsfreiheit und Datenschutz e.V. (EAID) hat den Referentenentwurf aus dem Hause de Maizière einer ersten kritischen Betrachtung unterzogen und kommt danach zu einem eindeutigen Urteil: Der Gesetzentwurf des Bundesinnenministeriums „begegnet erheblichen datenschutzrechtlichen Bedenken. Zudem bestehen Zweifel daran, inwieweit die mit dem Gesetzentwurf beabsichtigte systematische Höhergewichtung der öffentlichen Sicherheit gegenüber dem Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung dem verfassungsrechtlichen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entspricht.“

Im Kern ist mit dem Gesetzentwurf beabsichtigt, die bisherigen Regelungen zur Videoüberwachung öffentlich zugänglicher Räume in § 6b Bundesdatenschutzgesetz (BDSG) massiv aufzuweichen. Dies soll durch zwei Ergänzungen in § 6b BDSG erfolgen:

„1. Dem § 6b Absatz 1 wird folgender Satz 2 angefügt:
‚Bei öffentlich zugänglichen großflächigen Anlagen, wie insbesondere Sport-, Versammlungs- und Vergnügungsstätten, Einkaufszentren oder Parkplätzen, oder Einrichtungen und Fahrzeugen des öffentlichen Personenverkehrs ist der Schutz von
Leben, Gesundheit oder Freiheit von dort aufhältigen Personen als wichtiges öffentliches Interesse bei der Abwägungsentscheidung nach Satz 1 Nummer 3 in besonderem Maße zu berücksichtigen.‘
2. Nach § 6b Absatz 3 Satz 1 wird folgender Satz eingefügt:
‚Absatz 1 Satz 2 gilt entsprechend.‘“

Sollte dieser Gesetzentwurf so beschlossen werden, würden Videoüberwachungsanlagen wie beispielsweise bei einem Einkaufszentrum auf der Frankfurter Konsummeile Zeil legalisiert, die derzeit noch rechtswidrig errichtet und betrieben werden.

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Domekameras in der Frankfurter Innenstadt, Zeil 98 – 104 – mit den Kameras ist es möglich die Zeil in ihrer gesamten Breite und mindestens auf ca. 80 Meter Länge zu überwachen

Die EAID erklärt in ihrer Stellungnahme, dass sie es kritisch sieht, „dass durch die Gesetzesänderung die Abwägungsentscheidung zwischen den berechtigten Interessen zur Aufzeichnung und der informationellen Selbstbestimmung einseitig in Richtung Sicherheit verschoben wird, zumal die Wirksamkeit der Ausweitung der Videoüberwachung im Hinblick auf die Terrorismusbekämpfung nicht einmal plausibel begründet ist. Bei der Videoüberwachung werden regelmäßig ganz überwiegend Personen erfasst, von denen keine Gefahr für die öffentliche Sicherheit ausgeht und die keine Straftaten begangen haben. Eine dauerhafte, nicht anlassbezogene Videoüberwachung hat deshalb stets den Charakter einer Datenerhebung und -speicherung auf Vorrat, die nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Europäischen Gerichtshofs nur ausnahmsweise zulässig ist und jedenfalls einer nachprüfbaren und überzeugenden Begründung bedarf. Der technische Fortschritt in der Videotechnik hat zudem die Identifikation einzelner Personen mittels Verfahren der automatisierten Mustererkennung seit der Verabschiedung der Regelung des § 6b BDSG vor mehr als 15 Jahren deutlich verbessert. Dadurch hat sich die Tiefe des Eingriffs der Videoüberwachung in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung ohnehin erheblich erhöht. Die Absenkung der Einsatzschwellen für diese Überwachungstechnik ist auch deshalb sehr bedenklich…“

Euphemismus: „Mit einem Euphemismus wird etwas, was eine möglicherweise anstößige oder unangenehm wirkende Bezeichnung hat, beschönigt, verhüllt oder sprachlich gemildert.“ (Duden)

3 Kommentare

  1. 80% der Deutschen sehen in einem Mehr an Videoüberwachung ein Mehr an Sicherheit! Das Thema der „informationellen Selbstbestimmung“ wird ohnehin nur in (links-)intellektuellen Zirkeln diskutiert, und ist für die Mehrheit der Bevölkerung irrelevant. Der Gesetzgeber hat nun die legalen Voraussetzungen dafür geschaffen, den Schutz der Bevölkerung wirksam zu erhöhen. Und das ist auch gut so!

    1. Hallo Walker, Texas Ranger,

      gut gebrüllt, Löwe! Nur weit an der Realität vorbei.

      Wie Videoüberwachung „den Schutz der Bevölkerung wirksam zu erhöhen“ vermag mussten wir bedauerlicherweise heute gerade aus London erfahren. Alle 10 Meter eine Kamera und trotzdem vier Tote…

      Und dass das „Thema der informationellen Selbstbestimmung ohnehin nur in (links-)intellektuellen Zirkeln diskutiert“ würde mag an Ihren Stammtischen vermutet werden, ist aber falsch. Das Bundesverfassungsgericht hat dieses Grundrecht 1983 als Schutzrecht gegen staatliche Überwachung begründet.

      Die Datenschutzaufsichtsbehörden von Bund und Ländern (Sie werden sich vielleicht wundern: Das sind die, denen der Gesetzgeber Datenschutz als gesetzliche Aufgabe gestellt hat!) haben das Videoüberwachungsverbesserungsgesetz einer gründlichen Kritik unterzogen und es abgelehnt.

      Meine Empfehlung: Zipfelmütze aufsetzen und weiter gute Nacht…

  2. … und dennoch werden sich die Datenschützer nun an das neue Gesetz halten und dem Thema Sicherheit eine höhere Bedeutung einräumen müssen. Der Schutz der sogenannten informationellen Selbstbestimmung steht demzufolge hinter dem Sicherheitsaspekt zurück. Das Leben hunderttausender Besucher, darunter vieler Familien mit kleinen Kindern, die beispielsweise jeden Tag deutsche Shopping Center besuchen, hat eindeutige Priorität gegenüber einem Schutz von Daten, die die Mehrheit der Bevölkerung ohnehin längst bei Facebook und Co. preisgegeben hat, vielfach weil sie dieses unbedenklich erachtet.

    Ihr polemischer Duktus verrät mir, daß Ihnen meine Sachargumente nicht behagen, aber Sie werden sich damit abfinden müssen, daß sie einer Minderheit angehören. Das demokratische System unseres Landes basiert aber gerade auf mehrheitlich getroffenen Entscheidungen, die von der Minderheit hinzunehmen sind.

    Der Texas Ranger Walker heißt mit Vornamen übrigens Cordell.

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