Corona-Gästelisten, die mangelnde Arbeitsfähigkeit der Gesundheitsämter, der Zugriff der Polizei auf die Listen, die Verhältnismäßigkeit und der Datenschutz

Gesunde_daten/ Oktober 1, 2020/ alle Beiträge, Datenschutz in Zeiten von Corona, Polizei und Geheimdienste (BRD), Verbraucherdatenschutz/ 2Kommentare

Auf Tagesschau.de wurde am 28.09.2020 ein Beitrag veröffentlicht unter der Überschrift Probleme in Gesundheitsämtern – Werden Kontaktpersonen nicht kontaktiert? Mit erschreckenden Einzelheiten, z. B.: „Mitte April hatten die Bundeskanzlerin und die Ministerpräsidenten beschlossen, dass pro 20.000 Einwohner ein Team aus fünf Personen in den Gesundheitsämtern sich um die Ermittlung von Kontaktpersonen kümmern soll. Bayern zum Beispiel hat 13 Millionen Einwohner, also müssten dort 650 solcher Teams zur Verfügung stehen. Der Landtagsabgeordnete Sebastian Körber erhielt vergangene Woche von der bayerischen Landesregierung aber die schriftliche Auskunft, dass nur 288 solcher Teams ‚im Einsatz‘ seien.“

Ähnliche Probleme gibt es auch in Frankfurt. Lt. Statistischem Jahrbuch der Stadt Frankfurt für 2019 hatte Frankfurt am 31.12.2018 747.848 Einwohner*innen. Inzwischen dürfte die Einwohnerzahl über 760.000 betragen. Notwendig wären daher allein für die Corona-Kontaktnachverfolgung 190 Vollzeitstellen im Stadtgesundheitsamt. Das Gesundheitsamt zählte bisher 180 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter“ meldet die Frankfurter Rundschau in einem Beitrag vom 27.09.2020. Und diese 180 Personen arbeiten längst nicht alle in Vollzeit und haben neben der Corona-Kontaktverfolgung viele weitere Aufgaben. Stellt sich die Frage:

Sind die Gesundheitsämter in Bayern, in Frankfurt oder in anderen Teilen des Landes überhaupt in der Lage sind, zeitnah die täglich tausendfach abgegebenen personenbezogenen Daten in den Corona-Gästelisten aus den Apfelweinwirtschaften, Biergärten, Cafés und Restaurants in notwendigem Umfang auszuwerten?

Wenn Nein – dann sind die von Art. 5 Abs. 1 DSGVO geforderten Kriterien nicht eingehalten: Personenbezogene Daten müssen

  1. für festgelegte, eindeutige und legitime Zwecke erhoben werden und dürfen nicht in einer mit diesen Zwecken nicht zu vereinbarenden Weise weiterverarbeitet werden… („Zweckbindung“);
  2. dem Zweck angemessen und erheblich sowie auf das für die Zwecke der Verarbeitung notwendige Maß beschränkt sein („Datenminimierung“)…“

Die Polizei in Bayern (und anderswo) nutzt die Corona-Gästelisten! Am 02.09.2020 erschien ein Beitrag in der Süddeutschen Zeitung mit der Überschrift Polizei nutzte Corona-Gästelisten auch bei Ermittlungen zu Kleinkriminalität“.

Darf die Polizei (nicht nur) in Bayern das auch? Ja – sagen alle Strafverfolgungsbehörden. Die Rechtsgrundlage dafür würde sich in § 94 StPO (Sicherstellung und Beschlagnahme von Gegenständen zu Beweiszwecken) und § 97 StPO (Beschlagnahmeverbot) befinden. 

Eine gesetzliche Regelung, dass Corona-Gästelisten ausschließlich nur von Gesundheitsämtern genutzt werden dürfen, aber nicht für polizeiliche Ermittlungen, wurde von Bundes- und Landesgesetzgebern nicht getroffen. Dies wurde bei der Einführung der Corona-Gästelisten von Politik und Behörden verschwiegen. Viele Besucher*innen von Lokalen wissen das inzwischen und machen – sollten die von Behörden genannten Zahlen richtig sein – in hoher Zahl falsche Angaben. Dem soll jetzt mit der Verhängung von Bußgeldern entgegen gewirkt werden.

Der WDR meldet am 30.09.2020: „Nach den neuen Corona-Regeln soll es bei falschen Namensangaben in Gaststätten Bußgelder geben… – in NRW in Höhe von 250 Euro. Wie soll das funktionieren? Wer zahlt die Buße? Zunächst hatte Kanzlerin Angela Merkel (CDU) nach Beratungen mit den Länderchefs am Dienstag gesagt, die Gaststättenbetreiber müssten bei falsch ausgefüllten Gästelisten die Bußgelder bezahlen. Inzwischen hat jedoch ein Regierungssprecher mitgeteilt, das Bußgeld sei von den Gästen zu entrichten. ‚Ergänzend werden die Wirte aufgefordert, die Plausibilität der Angaben zu überprüfen, so der Sprecher.“

Da stellen sich weitere Fragen:

  • Wann werden die ersten übereifrigen Betreiber*innen von Lokalen von ihren Gästen die Vorlage von Personalausweisen fordern?
  • Wann und wo wird widerrechtlich (§ 20 Personalausweisgesetz) der erste Personalausweis in einem Lokal fotokopiert, bevor Einlass gewährt wird?
  • Oder denken Bundes- und Landesregierungen sogar schon daran, die Vorlage des Personalausweises oder gar die Anfertigung einer Kopie zur Pflicht für die Betreiber*innen von Lokalen zu machen?

Eine Diskussion auf Twitter zum Thema Corona-Gästelisten:

2 Kommentare

  1. Polizeilicher Zugriff auf Corona-Gästelisten bei „Kleinkriminalität“

    Zitat: „(…) Die Polizei in Bayern (und anderswo) nutzt die Corona-Gästelisten! Am 02.09.2020 erschien ein Beitrag in der Süddeutschen Zeitung mit der Überschrift „Polizei nutzte Corona-Gästelisten auch bei Ermittlungen zu Kleinkriminalität“. (…)“

    Nicht wenige Leute haben auf dieses „Affentheater“, diese Unannehmlichkeiten i. V. m. Corona-Gästelisten keine Lust mehr und bleiben Gaststätten, Kneipen. Cafes & Clubs einfach fern.
    Ist es das was Politik und Behörden, mit ihrer diesbezüglichen, ständigen Verunsicherung (nun die Androhung drastischer Bußgelder bei Zuwiderhandlung) in diesem Bereich, bezwecken wollen? Diese Corona-Politik gefährdet mittlerweile Existenzen!
    Kein Zugriff auf Corona-Gästelisten durch die Polizei bei Kleinkriminalität; und hört endlich auf – in diesem Zusammenhang – an die Ehrlichkeit der Bürgerinnen und Bürger zu appelieren: Im Endeffekt sind hierbei, wieder einmal, die Ehrlichen die Dummen – und nicht die „Max Mustermänner“!

  2. Heribert Prantl: Corona-Maßnahmen: Der neue Bußgeldwahn
    Mindestens 50 Euro soll es kosten, wer künftig den Meldezettel in Gaststätten falsch ausfüllt. So eine Maßnahme zu beschließen ist eine Vorlage für die Kabarett-Bühne, aber keine Grundlage für die Seuchenbekämpfung. Das ist, kurz gesagt, Unsinn.
    Quelle: https://www.sueddeutsche.de/politik/corona-verwarnungen-der-neue-bussgeldwahn-1.5051097
    Süddeutsche Zeitung, 01.10.2020
    !!!
    https://youtu.be/wZNPaPQgS_s

    Coronavirus – Wir müssen lernen, wie man sozialverträglich mit dem Virus umgeht
    Videokolumne von Heribert Prantl
    Jede der Anti-Corona-Maßnahmen im Herbst und im Winter muss am Maßstab der Verhältnismäßigkeit gemessen werden.
    Quelle: https://www.sueddeutsche.de/politik/corona-massnahmen-coronavirus-1.5040677
    Süddeutsche Zeitung, 25.09.Heribert Prantl: Corona-Maßnahmen: Der neue Bußgeldwahn
    Mindestens 50 Euro soll es kosten, wer künftig den Meldezettel in Gaststätten falsch ausfüllt. So eine Maßnahme zu beschließen ist eine Vorlage für die Kabarett-Bühne, aber keine Grundlage für die Seuchenbekämpfung. Das ist, kurz gesagt, Unsinn.
    Quelle: https://www.sueddeutsche.de/politik/corona-verwarnungen-der-neue-bussgeldwahn-1.5051097
    Süddeutsche Zeitung, 01.10.2020
    !!!
    https://youtu.be/wZNPaPQgS_s

    Coronavirus – Wir müssen lernen, wie man sozialverträglich mit dem Virus umgeht
    Videokolumne von Heribert Prantl
    Jede der Anti-Corona-Maßnahmen im Herbst und im Winter muss am Maßstab der Verhältnismäßigkeit gemessen werden.
    Quelle: https://www.sueddeutsche.de/politik/corona-massnahmen-coronavirus-1.5040677
    Süddeutsche Zeitung, 25.09.2020

    in
    https://www.nachdenkseiten.de/?p=65418#h022020

    in
    https://www.nachdenkseiten.de/?p=65418#h02

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