Corona – auch ein Türöffner für den Überwachungsstaat?

Datenschutzrheinmain/ März 19, 2020/ alle Beiträge, Beschäftigtendatenschutz, Datenschutz in Zeiten von Corona, Gesundheitsdatenschutz, Polizei und Geheimdienste (BRD), Telekommunikations-Überwachung/ 2Kommentare

Diese Frage bewegt – neben der Sorge um die eigene Gesundheit und die der Familienangehören, Freund*innen, Kolleg*innen, Nachbar*innen – viele Menschen die wissen, wie lange es dauerte bis grundlegende Freiheitsrechte wie das Recht auf die freie Entfaltung der Persönlichkeit (Art. 2 Grundgesetz), die Versammlungsfreiheit (Art. 8 Grundgesetz), das Post- und Fernmeldegeheimnis (Art. 10 Grundgesetz), die Freizügigkeit im ganzen Bundesgebiet (Art. 11 Grundgesetz), das Asylrecht (Art. 16a Abs. 1 Grundgesetz) und weitere Freiheitsrechte zur Grundlage unserer Rechtsordnung wurden.

Ja, in § 32 Infektionsschutzgesetz (IfSG) gibt es Regelungen, dass die Grundrechte der Freiheit der Person (Artikel 2 Abs. 2 Satz 2 Grundgesetz), der Freizügigkeit (Artikel 11 Abs. 1 Grundgesetz), der Versammlungsfreiheit (Artikel 8 Grundgesetz), der Unverletzlichkeit der Wohnung (Artikel 13 Abs. 1 Grundgesetz) und des Brief- und Postgeheimnisses (Artikel 10 Grundgesetz) … eingeschränkt werden“ können. Und Ja, wir erleben, wie dies derzeit live und täglich neu mit einer Vielzahl rechtlicher Regelungen umgesetzt wird, die vom Bund, den 16 Bundesländern, aber auch von Landkreisen, Städten und Gemeinden erlassen werden. Ein Ende dieser Fahnenstange ist noch nicht absehbar.

Vieles, was jetzt angeordnet oder einfach auch nur „gemacht“ wird, erscheint medizinischen Laien, auch dem Verfasser dieses Beitrags,  vernünftig und angemessen. Aber spätestens bei der Massenüberwachung von Kommunikationsmitteln (Beispiel: Telekom liefert Bewegungsdaten von Handy-Nutzer*innen an das Robert-Koch Institut) drängen sich Fragen auf, z. B.:

  • Gibt es für eine bestimmte Maßnahme eine Rechtsgrundlage?
  • Ist die Maßnahme der Situation angemessen?
  • Ist sie zeitlich befristet? Wenn Ja, wie lange?
  • Wie wird sichergestellt, dass Daten, die im Zusammenhang mit Corona erhoben werden, nicht zweckfremd genutzt werden (können)?
  • Wie wird sichergestellt, dass Daten, die im Zusammenhang mit Corona erhoben werden, wieder gelöscht werden, wenn der Erhebungszweck weggefallen ist?

In Österreich haben Parlament und Bundesregierung vor wenigen Tagen eine Vielzahl von Gesetzesänderungen beschlossen und Rechtsverordnungen erlassen, die tw. noch tiefgreifender in Grundrechte eingreifen, als dies bislang in Deutschland der Fall ist. Die österreichische Bürgerrechtsorganisation epicenter.works, hervorgegangen aus dem Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung Österreich, hat dazu am 18.03.2020 Netzpolitische Empfehlungen in der Covid-19-Krise veröffentlicht, die auch als Grundlage für eine entsprechende Debatte in Deutschland hilfreich sein können. Zusammengefasst stellt epicenter.works fest:

  1. Staatliches Handeln muss transparent und verantwortungsvoll sein: kein Aushebeln der Grundrechte durch nicht notwendige, überschießende oder sogar schädliche Symbolgesetzgebung
  2. Beschränkungen des Datenvolumens im Mobilfunk aufheben, Kosten bei Pre-Paid-Tarifen pauschalieren
  3. Open-Data-Veröffentlichung der Covid-19-Statistiken bis auf Bezirksebene, Artikel zur Covid-19-Krise von Paywalls befreien, Inhalte des ORF nicht nach sieben Tagen automatisch löschen, Stärkung der Medienkompetenz
  4. Wahlen werden zur Herausforderung: eVoting ist aber nicht die Antwort
  5. Wegfallen von Demonstrationen mit Online-Beteiligung ausgleichen
  6. Wenn alles online stattfindet, darf nicht alles überwacht werden
  7. Keine urheberrechtlichen Hürden für Socializing: erleichterte Lizenzierungslösung für nicht-gewinnorientierte Organisationen“

Die Diskussion um den – auch in der jetzigen Situation notwendigen – Schutz von Grund- und Freiheitsrechten hat auch in Deutschland begonnen. Und um die Diskussion auf einer faktenbasierten Grundlage zu führen gibt es mittlerweile einige gut nutzbare Grundlagen:

Weitere Hinweise auf entsprechende Informationen und Diskussionen gerne per Kommentar zu diesem Beitrag.

2 Kommentare

  1. Ja, wir haben alle (die unter 75 sind) noch nicht so Zeiten erlebt wie jetzt. Wir sollten sehen, dass weltweit wir aber auch vielleicht ein Luxusproblem haben. Was momentan an Grundrechten abgebaut wird (nur ein Beispiel: Handybewegungsdaten ans RKI) kann ganz schnell zur „Normalität“ werden und kann auch auf andere Adressaten ausgebaut werden. Dass der BfDI das freigegeben hat halte ich für eine Schande. Wir müssen jetzt versuchen auf digitale Art Kräfte zu bündeln, die dem widerstehen. Die meisten haben ja jetzt Zeit, sich mit der aktuellen Situation auseinanderzusetzen. Zu Corona empfehle ich die Sendung auf Phönix. die jetzt auch auf Youtube zu sehen ist: https://www.youtube.com/watch?v=TYIpPvhrZ2A
    Ich hofffe die neue Lebenssituation eröffnet eine Chance für die Auswertung der neuen Zeit und einer Perspektive für alle für die Zukunft.
    LG
    Uli

  2. Sehr geehrte Damen und Herren,

    in Ihrer Aufzählung haben Sie ein weiteres wichtiges Grundrecht vergessen: Artikel 4 Grundgesetz, die Religionsfreiheit.

    Da steht in den Absätzen 1 und 2: (1) Die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses sind unverletzlich. (2) Die ungestörte Religionsausübung wird gewährleistet. Und in Absatz 3 steht nicht, wie bei anderen Grundrechten, z. B. Artikel 2 Absatz 2: In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden. Im Absatz 3 wird was völlig anderes geregelt, nämlich das Recht auf Kriegsdienmstverweigerung: (3) Niemand darf gegen sein Gewissen zum Kriegsdienst mit der Waffe gezwungen werden.

    Warum schreibe ich das? Die Hessische Landesregierung hat mit der Vierten Verordnung zur Bekämpfung des Corona-Virus vom 17. März 2020 u. a. verfügt: Zusammenkünfte in Kirchen, Moscheen, Synagogen und die Zusammenkünfte anderer Glaubensgemeinschaften sind ebenfalls untersagt.
    Hier für alle zum Nachlesen: https://www.hessen.de/sites/default/files/media/staatskanzlei/2020-03-17_vierte_vo_bekaempfung_corona_virus__0.pdf

    Ein vollständiges Verbot von Gottesdiensten und religiösen Veranstaltungen in religiösen Kultstätten egal welcher Glaubensrichtung halte ich nicht für zulässig.

    Ein Jurist hat bei bei Beck dazu festgestellt: Beim Verbot von Gottesdiensten dürfte schon die Erforderlichkeit nicht in jedem Einzelfall gegeben sein. Wenn in einer Gemeinde kein Infizierter und auch kein Verdachtsfall vorhanden ist, und wenn die Sitzplätze mit ausreichend Abstand eingerichtet werden, dürfte dies als milderes Mittel ausreichen. Das gilt insbesondere für Miniaturveranstaltungen, wie zum Beispiel Gebetskreise mit regelmäßig fünf Teilnehmern. Außerdem wird der Rechtsanwender, also die Verwaltung, bei der Kollision des Grundrechts auf freie Religionsausübung einerseits und des Grundrechts auf körperliche Unversehrtheit der übrigen Bevölkerung andererseits, zur Herstellung praktischer Konkordanz nicht so ohne weiteres das eine Grundrecht, in diesem Fall das religiöse, komplett suspendieren dürfen. Sollte die derzeitige Praxis bei einer späteren gerichtlichen Überprüfung Bestand haben, sehe ich eine ernste Gefahr für die zukünftige Religionsfreiheit in Deutschland.
    Hier für alle zum Nachlesen: https://community.beck.de/2020/03/20/corona-strafbarkeit-verstoss-gegen-corona-verordnungen-strafbarkeit-beginnen-wir-mal-mit-einer-kleinen#comment-134916

    Dem letzten Satz stimme ich ihne jede Einschränkung zu!

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