Bundesweit häufen sich Berichte, wonach Polizist*innen auf Corona-Gästelisten von Cafés, Gaststätten und Restaurants zugreifen

Gesunde_daten/ Juli 22, 2020/ alle Beiträge, Datenschutz in Zeiten von Corona, Polizei und Geheimdienste (BRD)/ 5Kommentare

Zu dieser Problematik hat Prof. Dieter Kugelmann, Landesbeauftragter für den Datenschutz und die Informationsfreiheit Rheinland-Pfalz (LfDI) am 22.07.2020 Stellung genommen.Er erklärte: „Die Gäste- und Kundenlisten werden zum Zweck der Nachverfolgung von Infektionen mit COVID-19 geführt. Wenn die Polizei nun auf die in Restaurants, Kneipen, Cafés und anderen Einrichtungen gesammelten Daten zugreifen möchte, sollte sie sich einen richterlichen Beschluss besorgen. Dann besteht für alle Beteiligten Klarheit: Die Polizei hat etwas in der Hand. Die Wirtin oder der Wirt weiß, dass die Herausgabe von einer unabhängigen Instanz angeordnet wurde und kann die Herausgabe auch guten Gewissens gegenüber den Gästen vertreten.“

Kugelmann sagt: Es ist unbestritten, dass die Listen für die Arbeit der Polizei hilfreich sein können. Wer aber im Biergarten sitzt, darf nicht später von der Polizei aufgrund des Eintrags in eine Corona-Gästeliste befragt werden, wenn es um die Aufklärung einer Ordnungswidrigkeit, einer kleineren Sachbeschädigung oder eines Falschparkens in der Nähe geht. Die personenbezogenen Daten, die jemand beim Gaststättenaufenthalt angegeben hat, geben in der Regel Aufschluss über seine Freizeitgestaltung. An Orten der Kommunikation, des Austauschs und der Freizeitgestaltung ist die Privatsphäre im Rahmen des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung besonders schutzwürdig. Es kann also nicht sein, dass die Polizei über Gästelisten möglichst einfach Zeugen für Kleinkriminalität finden möchte. Würde eine solche Praxis Einzug halten, würden auch viele Menschen nicht mehr einsehen, ihre korrekten Daten auf die Listen zu setzen. Anders könnte die Situation zu bewerten sein, wenn es um Ermittlungen zu schweren Straftaten wie Mord oder Totschlag geht, also um Fälle, in denen auch ein richterlicher Beschluss schnell und problemlos einzuholen sein dürfte.“

Kugelmann bekräftigt:
Aus Datenschutz-Sicht sollte es eine hohe Hürde zur Herausgabe der Listen an die Polizei geben. Die Ausnahme darf eben nicht zur Regel werden. Gästelisten sind verpflichtend eingeführt worden, um die Pandemie einzudämmen und zu bekämpfen. Wenn die Polizei sie wirklich für ihre Arbeit braucht, dann bietet ein richterlicher Beschluss Rechtssicherheit.

Zum Hintergrund: Die Kontaktdaten der Gaststättenbesucherinnen und -besucher werden unter anderem durch die Gaststättenbetriebe erhoben und gespeichert. Dies geschieht zu dem Zweck, im Falle einer Infektion den Gesundheitsbehörden mögliche Kontaktpersonen benennen zu können. Dazu sollen die Gaststättenbetriebe diese Daten einen Monat vorhalten und danach löschen. Grundsätzlich sollen die Daten gem. § 7 Abs. 2 S. 1 i.V.m. § 1 Abs. 8 der 10. rheinland-pfälzischen Coronabekämpfungsverordnung (10. CoBeVO) zu keinem anderen Zweck verarbeitet werden dürfen.

 

5 Kommentare

  1. Welcher existenzbedrohte und teilweise von den städtischen Ordnungshütern abhängige und/oder eingeschüchterte Gastronom „kämpft“ für die informationelle Selbstbestimmung seiner Gäste?

    SWR Aktuell Rheinland-Pfalz

    Ein Formular zur Erhebung der Kontaktdaten liegt in einem Café auf einem Tisch. (Foto: dpa Bildfunk, picture alliance/Hauke-Christian Dittrich/dpa)
    Für strafrechtliche Ermittlungen Polizei darf Corona-Kontaktdaten nutzen

    Mathias Zahn und Gernot Ludwig

    Name, Adresse, Telefonnummer – das Angeben der persönlichen Daten gehört seit Mai in Rheinland-Pfalz zum Alltag. Ob beim Restaurantbesuch, im Freibad oder im Kino. Dass die Daten auch bei der Polizei landen können, dürften die wenigsten wissen.

    Polizei darf auf Gastro-Daten zugreifen
    Polizei darf auf Gastro-Daten zugreifen 1 Min

    Vor Ort wird den Gästen in der Regel versichert, dass die Daten nur für den Fall einer Corona-Infektion gesammelt werden, um Kontaktpersonen ermitteln zu können. Die Polizei darf die Kontaktdaten für strafrechtliche Ermittlungen jedoch beschlagnahmen und auswerten. Das erlaubt die Strafprozessordnung. Das haben sowohl das rheinland-pfälzische Justizministerium als auch das Bundesjustizministerium dem SWR bestätigt. Es gilt also nicht nur für Rheinland-Pfalz.

    Voraussetzung sei lediglich, dass es ein Ermittlungsverfahren gebe, sagte ein Sprecher des Landesministeriums. Das Gesetz unterscheide hier nicht nach der Schwere der Straftat. Es könne sich um Ermittlungen wegen Mordes, aber auch wegen Diebstahls, Betrugs oder Hausfriedenbruchs handeln.
    Bundesjustizministerium zu Verwendung von Kontaktdaten

    Das Bundesjustizministerium teilte auf SWR-Anfrage mit: „Die Strafverfolgungsbehörden dürfen nach den Regeln der Strafprozessordnung auf die bei Gastwirten aufbewahrten Kontaktdaten der Gäste zugreifen, wenn die entsprechenden Voraussetzungen vorliegen. Als Rechtsgrundlagen kommt die Sicherstellung und die Beschlagnahme nach §§ 94, 98 StPO in Betracht, unter Umständen auch anlässlich einer Durchsuchung nach § 103 StPO. Die Strafprozessordnung sieht keine Verwendungsbeschränkungen für die von den Gastwirten zu erhebenden Daten vor.“
    Gastronomen dürfen die Daten nicht nutzen

    In der Corona-Verordnung des Landes heißt es zwar, die Daten der Gäste würden erfasst, um bei einer Corona-Infektion Kontakt zurückzuverfolgen: „Eine Verarbeitung der Daten zu anderen Zwecken ist nicht zulässig.“ Dies bezieht sich laut rheinland-pfälzischem Gesundheitsministerium aber auf diejenigen, die verpflichtet sind die Daten zu erfassen, wie die Gastronomen. Sie dürfen die Daten nicht nutzen, um ihren Gästen zum Beispiel Werbung zuzuschicken. Dass die Polizei die Daten auswertet, etwa nach einer Straftat in einer Gaststätte, schließt die Verordnung nicht aus.

    Innenministerium: Polizei nutzt Gästelisten „grundsätzlich nicht“

    Zuständig für die Polizei ist das rheinland-pfälzische Innenministerium. Dort heißt es, die Polizei nutze die Corona-Gästelisten für die Fahndung grundsätzlich nicht. Ermittler scheinen sich aber zumindest für die Daten zu interessieren. Der rheinland-pfälzische Datenschutzbeauftragte Dieter Kugelmann hat dem SWR mitgeteilt, dass ein Polizeipräsidium im Land bereits bei ihm angefragt habe, ob und unter welchen Bedingungen die Polizei solche Listen auswerten dürfe.

    Nach Kugelmanns Auffassung ist das nur bei Ermittlungen zu schweren Straftaten wie Mord oder Totschlag zu rechtfertigen. Bei einer kleinen Schlägerei zum Beispiel sei es unverhältnismäßig, dass die Polizei die Listen mit den persönlichen Daten von Besuchern auswerte.
    „Eingriff in die Persönlichkeitsrechte“

    Dass Wirte, Kinobetreiber oder Schwimmbäder persönliche Daten ihrer Kunden erfassten, sei ein Eingriff in die Persönlichkeitsrechte der Kunden, so der rheinland-pfälzische Datenschutzbeauftragte. Die Politik habe diesen Eingriff damit begründet, dass die Daten für die Eindämmung der Corona-Pandemie gebraucht würden. Es müsse daher sichergestellt sein, dass die Listen nicht zu x-beliebigen Ermittlungen herangezogen würden. Der Datenschützer fordert, dass sich die Polizei das Beschlagnahmen der Kontaktdaten generell von einem Richter genehmigen lassen müsse.

    Wirten und Betreibern anderer Einrichtungen rät Kugelmann, die Gästelisten nicht ohne Weiteres herauszugeben. Betroffene sollten sich einen richterlichen Beschluss zur Beschlagnahme der Gästeliste zeigen lassen.

    „So etwas kann Vertrauen kosten“

    Andere Regelung in Baden-Württemberg
    Anders als in Rheinland-Pfalz dürfen in Baden-Württemberg Daten von Gaststätten-Besuchern nicht von der Polizei verwendet werden. Dies bestätigte das Innenministerium dem SWR. Nach der Gaststätten-Corona-Verordnung in Baden-Württemberg würden Daten von Gästen nur deshalb erhoben, um gegenüber den Gesundheitsämtern und den Kommunen Auskunft nach dem Infektionsschutzgesetz erteilen zu können. Daraus ergebe sich aus juristischer Sicht eine eindeutige Zweckbindung, sagte ein Sprecher des Innenministeriums.

    Er spricht von einer Besonderheit in Baden-Württemberg im Unterschied zu anderen Bundesländern. Die Polizei im Land verwende daher die von Gaststätten gespeicherte Daten auch nicht für strafrechtliche Ermittlungen. Andere Bundesländer berufen sich in diesem Zusammenhang auf die Strafprozessordnung des Bundes.

    Sendung vom
    Mi, 22.7.2020 5:00 Uhr, Guten Morgen Rheinland-Pfalz, SWR1 Rheinland-Pfalz
    ….
    https://www.swr.de/swraktuell/rheinland-pfalz/polizei-darf-corona-daten-fuer-strafrechtliche-ermittlungen-nutzen-100.html

  2. Auch der oberste hessische Datenschützer hat sich jetzt dazu zu Wort gemeldet:

    Prof. Ronellenfitsch erachtet, unabhängig von der Rechtslage, die Verwendung der in diesem Zusammenhang erhobenen Kontaktdaten zu Ermittlungszwecken der Polizei als äußerst problematisch. Nach seiner Auffassung erklärt sich das durch Vernunft und Verantwortungsbewusstsein der hessischen Bevölkerung getragene Verhalten und die Akzeptanz der gravierenden Beschränkungen der informationellen Selbstbestimmung durch die berechtigte Annahme, dass es sich bei den Eingriffen nur um vorübergehende singuläre Maßnahmen handelt. Dieses Vertrauen sollte man nicht durch Zweckentfremdung der Eingriffsmaßnahmen auf das Spiel setzen. So sollte berücksichtigt werden, dass die Angabe richtiger Kontaktdaten durch eine jederzeit zu erwartende zweckwidrige Verwendung gefährdet werden könnte und damit die wichtige Nachverfolgung der Infektionen.

    https://datenschutz.hessen.de/pressemitteilungen/zweckbindung-von-personenbezogenen-daten-zur-verfolgung-von-infektionsketten

  3. Die Polizei und die Corona-Gästelisten: Mit Täuschung in die Vorratsdatenspeicherung?

    https://www.nachdenkseiten.de/?p=63227

  4. Corona-Gästelisten – maßlose polizeiliche Datennutzung
    Jan Fährmann, Clemens Arzt, Hartmut Aden
    Fr 14 Aug 2020
    Jan Fährmann
    Dr. Jan Fährmann is a Fellow at the Institute of Public and Private Security (FÖPS) at the Berlin School of Economics and Law.

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    Jan Fährmann

    Clemens Arzt
    Dr. Clemens Arzt is Professor of Public Law at Berlin School of Economics and Law and Director of the Berlin Institute for Safety and Security Research (FÖPS Berlin)

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    Clemens Arzt

    Hartmut Aden
    Prof. Dr. Hartmut Aden is a Professor of German and European Public Law, Public Policy & Public Administration at the Berlin School of Economics and Law.

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    Hartmut Aden

    Wer heutzutage Veranstaltungen, Restaurants, Hotels, Spielhallen, Gottesdienste, Bestattungen, Prostitutionsstätten, Kinos, Sporteinrichtungen oder Kosmetikstudios besucht, muss dies in den meisten Bundesländern dokumentieren, nur in Sachsen ist dies freiwillig. Auch für Familienfeiern ab 20 Personen ist die Anwesenheitsdokumentation etwa in Berlin vorgeschrieben, § 3 Abs. 1 S. 2 Corona-Verordnung Berlin auf dem Stand vom 4. August 2020. Mit Unterschieden im Detail schreiben die Corona-Verordnungen der Bundesländer derzeit vor, dass Anwesende ihre Kontaktdaten in eine Liste eintragen müssen, damit die Gesundheitsämter Infektionsketten nachvollziehen können, falls andere Gäste später positiv auf das Virus getestet werden. Die Dokumentation hängt auch davon ab, wie die Lokalitäten ihre Pflichten aus der jeweiligen Corona-Verordnung interpretieren. Die Varianten reichen von einzelnen Zetteln über Absprachen mit bekannten Gästen („ihr wisst doch, wer alles da war, oder?“) bis zu Listen, die für alle einsehbar und damit datenschutzwidrig offen ausliegen. Auch die erhobenen Daten variieren. Gefordert werden Angaben wie Name, Adresse, Mobiltelefonnummer, Emailadresse, Ankunftszeitpunkt oder Zeitraum der Anwesenheit. Auf diese Daten haben Ermittler*innen der Kriminalpolizei offenbar mehrfach zugegriffen (z.B. hier, hier und hier). Die Hamburger Polizei bezeichnete das Vorgehen als Ausdruck eines „gesunden Menschenverstands“. Aus der Politik gibt es geteiltes Echo; einige Politiker*innen halten das Verhalten für unzulässig, andere für richtig und unterstützen die Polizei darin (hier und hier).

    https://verfassungsblog.de/corona-gaestelisten-masslose-polizeiliche-datennutzung/

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