Bundesverfassungsgericht: Mündliche Verhandlung über Verfassungsbeschwerden in Sachen automatisierte Datenauswertung durch die Polizei in Hessen und in Hamburg am 20. Dezember

Datenschutzrheinmain/ November 12, 2022/ alle Beiträge, Hessische Landespolitik, Polizei und Geheimdienste (BRD)/ 0Kommentare

Das Bundesverfassungsgericht teilte am 11.11.2022 mit, dass derErste Senat am 20.12.2022 über zwei Verfassungsbeschwerdeverfahren verhandelt, mit denen sich die jeweiligen Beschwerdeführenden gegen § 25a des Hessischen Gesetzes über die öffentliche Sicherheit und Ordnung (HSOG) bzw. gegen § 49 des Hamburgischen Gesetzes über die Datenverarbeitung der Polizei (PolDVG) wenden. Bei beiden Regelungen handelt es sich um landesgesetzliche Ermächtigungen der Polizei zur Auswertung von Daten mittels einer automatisierten Anwendung. Die Beschwerdeführenden machen im Wesentlichen geltend, die angegriffenen Regelungen verletzten sie in ihrem Recht auf informationelle Selbstbestimmung nach Art. 2 Abs. 1 Grunggesetz (GG) in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG sowie den Grundrechten aus Art. 13 Abs. 1 GG und Art. 10 Abs. 1 GG.

Zum Hintergrund der Verfassungsbeschwerden teilt das Gericht mit: Die angegriffenen Regelungen schaffen eine Rechtsgrundlage dafür, bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen eine softwaregestützte Auswertung polizeilicher bzw. der für die Polizei verfügbaren Datenbestände vornehmen zu können. Das Ziel einer solchen automatisierten Weiterverarbeitung besteht den angegriffenen Regelungen nach insbesondere darin, Beziehungen oder Zusammenhänge zwischen Personen, Personengruppierungen, Institutionen, Organisationen, Objekten und Sachen herzustellen, unbedeutende Informationen und Erkenntnisse auszuschließen, die eingehenden Erkenntnisse zu bekannten Sachverhalten zuzuordnen sowie gespeicherte Daten statistisch auszuwerten. Nach Auffassung der Beschwerdeführenden liegt hierin ein intensiver und nicht gerechtfertigter Grundrechtseingriff, da die Befugnisse die Auswertung umfangreicher Datenbestände unter Nutzung komplexer informationstechnischer Programme gestatteten, ohne hierfür hinreichende Anforderungen vorzusehen.“

Die beiden Verfassungsbeschwerden wurden mit Unterstützung der Gesellschaft für Freiheitsrechte e. V. (GFF) erarbeitet und eingereicht, bezogen auf das Hessische Gesetz über die öffentliche Sicherheit und Ordnung (HSOG) unterstützt von der Humanistischen Union Hessen, dem Forum InformatikerInnen für Frieden und gesellschaftliche Verantwortung und der Bürgerrechtsgruppe dieDatenschützer Rhein Main. Die Verfassungsbeschwerde gegen das HSOG wird von sieben Beschwerdeführer*innen vorgebracht. Darunter sind neben dem HU-Regionalvorsitzenden Franz Josef Hanke auch die Rechtsanwältin Seda Basay-Yildiz, Klaus Landefeld als Vorstandsmitglied des Verbands der Internetwirtschaft eco und DE-CIX Aufsichtsrat sowie Silvia Gingold, Lehrerin in Ruhestand und Tochter des jüdischen Widerstandskämpfers Peter Gingold, die aufgrund ihres antifaschistischen Engagements seit ihrer Jugend unter Beobachtung des Verfassungsschutzes steht.Die Beschwerde richtet sich gegen eine Gesetzesnovelle, welche die Überwachungsbefugnisse von Polizei und Verfassungsschutz massiv ausweitet. In Hessen dürfen die Behörden nun sogenannte Staatstrojaner einsetzen. Mit der Software Hessendata werden personenbezogene Daten zentral und automatisiert ausgewertet. Diese und weitere Änderungen verletzten die Grundrechte aller Bürger*innen und sind verfassungswidrig. Näheres dazu auf der Homepage der GFF.

Sarah Lincoln, Juristin und Verfahrenskoordinatorin bei der GFF, stellt dazu fest: Mit dem Hessentrojaner und der Big-Data-Analysesoftware Hessendata liegt Hessen beim Angriff auf die Freiheitsrechte im Ländervergleich weit vorne.“

Zur Finanzierung dieser und anderer Verfassungsbeschwerden sind weitere Spenden notwendig


Ungeachtet der anhängigen Verfasssungsbeschwerde gegen das HSOG haben die Fraktionen von CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN im März 2022 einem weiteren Gesetzesentwurf für ein Gesetz zur Änderung sicherheitsrechtlicher Vorschriften und zur Umorganisation der hessischen Breitschaftspolizei (Landtags-Drucksache 20/8129) vorgelegt, mit dem u. a. das hessische „Verfassungsschutz“gesetz” und das HSOG erneut geändert werden sollen. Im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens wurde auch die Bürgerrechtsgruppe dieDatenschützer Rhein Main vom Innenausschuss des hessischen Landtags gebeten, eine Stellungnahme zu diesem Gesetzentwurf abzugeben. Eingangs ihrer Stellungnahme erklärt die Bürgerrechtsgruppe dieDatenschützer Rhein Main: Aus mindestens zwei Gründen ist der weitere Gesetzgebungsprozess bis auf Weiteres zu stoppen:

  1. Mit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 26.04.2022 zum Bayrischen Verfassungsschutzgesetz steht auch der Gesetzesentwurf der Fraktionen der CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – insbesondere Artikel 1 ‚Änderung des Hessischen Verfassungsschutzgesetzes‘ und Artikel 2 ‚Änderung des Hessischen Gesetzes über die öffentliche Sicherheit und Ordnung‘ – auf dem Prüfstand. ‚Business as usual‘ oder ‚weiter so im Tagesgeschäft‘ ist nach dieser Gerichtsentscheidung das falsche Rezept.
  2. Gegen das Gesetz der Neuausrichtung des Verfassungsschutzes in Hessen aus 2018 ist noch eine – von der Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) unterstützte – Klage vor dem Bundesverfassungsgericht anhängig. Ihr Ausgang ist abzuwarten, bevor dem Hessischen Landesamt für Verfassungsschutz weitere Überwachungs-Kompetenzen übertragen werden.“

Derzeit „ruht“ das weitere Verfahren, da es der Koalition aus CDU und Grünen in Hessen schwer zu fallen scheint, ihr Vorhaben an die Vorgaben des Bundesverfasungsgerichts anzupassen.

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