Amtsgericht München verhängt Geldbuße wg. Dashcams im parkenden Kfz
Am 09.08.2017 hat das Amtsgericht München eine Autofahrerin wegen vorsätzlicher unbefugter Erhebung und Verarbeitung und Bereithaltung von personenbezogenen Daten, die nicht allgemein zugänglich sind, zu einer Geldbuße von 150 Euro verurteilt.
Der Sachverhalt, über den zu entscheiden war: Die Autofahrerin parkte in einer Straße in München. Ihr Fahrzeug war vorne und hinten mit je einer Videokamera ausgestattet. Diese Kameras fertigten laufend Videoaufzeichnungen des vor und hinter dem Fahrzeug befindlichen öffentlichen Verkehrsraums. Die Aufzeichnungen wurden gespeichert. Auf diese Weise wurden mindestens drei andere Fahrzeuge, die sich vor oder hinter dem Straßenraum des geparkten Fahrzeugs befanden, aufgezeichnet. Die Videoaufzeichnungen wurden durch die Betroffene der Polizei übergeben, da ein anderes Fahrzeug ihr geparktes Fahrzeug gestreift und beschädigt hat und sie die Videoaufzeichnungen als Beweismittel vorlegen wollte.Gegen die Autofahrerin wurde ein Bußgeldverfahren eingeleitet und ein Bußgeldbescheid erlassen wegen Verstoßes gegen das Bundesdatenschutzgesetz. Dagegen legte sie Einspruch ein, weil sie der Meinung, dass durch die Aufnahme von Autokennzeichen keine schützenswerten Daten erhoben und gespeichert worden seien. Es sei ihr nur darauf angekommen, potentielle Täter einer Sachbeschädigung am PKW ermitteln zu können. Die einzelnen Fahrer der entsprechenden vor oder hinter dem PKW parkenden Autos seien nicht erkennbar gewesen.
Die Entscheidung des Amtsgerichts München: Der zuständige Richter beurteilte das Verhalten der Autofahrerin als vorsätzliche Ordnungswidrigkeit: „Nach Auffassung des Gerichtes überwiegt hier im vorliegenden Fall das Recht der gefilmten Personen auf informationelle Selbstbestimmung. Das Interesse der Betroffenen an der Aufdeckung von einer potentiellen Straftat muss hierbei zurückstehen. Das permanente anlasslose Filmen des vor und hinter dem geparkten Fahrzeug befindlichen Straßenraums verletzt das Recht auf informationelle Selbstbestimmung und stellt einen schwerwiegenden Eingriff in dieses Recht dar. Es geht nicht an, dass 80 Millionen Bundesbürger mit Kameras herumlaufen, um irgendwelche Situationen aufnehmen zu können, die eine Straftat aufdecken könnten. Eine permanente Überwachung jeglichen öffentlichen Raumes durch Privatbürger ist nicht zulässig, da es in das Recht unbeteiligter Personen in schwerwiegender Weise eingreift, selbst bestimmen zu können, wo und wann man sich aufhält, ohne dass unbeteiligte Personen dies dokumentieren und bei Behörden verwenden würden.“
Das Urteil des Amtsgerichts München vom 09.08.2017 (Aktenzeichen 1112 OWi 300 Js 121012/17) ist noch nicht im Wortlaut veröffentlicht und nicht rechtskräftig.
Quelle: Pressemitteilung des Amtsgerichts München vom 02.10.2017
Grundsätzlich finde ich die Entscheidung an sich gar nicht so verkehrt. Ich möchte auch keine „80 Millionen Bundesbürger mit Kameras herumlaufen“ sehen (btw: Smartphonekameras?! – Wir sind längst so weit).
Nur gefällt mir der Widerspruch zum OVG Lüneburg nicht. https://ddrm.de/tiefpunkt-deutscher-rechtssprechung-ovg-lueneburg-erklaert-flaechendeckende-videoueberwachung-fuer-rechtens-und-bewertet-subjektiv-empfundenes-sicherheitsgefuehl-staerker-als-den-eingriff-in-das-grun/
Einerseits steht
„Das Interesse der Betroffenen an der Aufdeckung von einer potentiellen Straftat muss hierbei zurückstehen“
gegen
„die ‚Befriedigung des Verlangens nach einem höheren subjektiven Sicherheitsempfinden‘ als Argument zur Rechtfertigung einer flächendeckenden Videoüberwachung diene“
oder auch
„Eine permanente Überwachung jeglichen öffentlichen Raumes durch Privatbürger ist nicht zulässig, da es in das Recht unbeteiligter Personen in schwerwiegender Weise eingreift, selbst bestimmen zu können, wo und wann man sich aufhält, ohne dass unbeteiligte Personen dies dokumentieren und bei Behörden verwenden würden.“
gegen
„Flächendeckende Videoüberwachung im öffentlichen Personennahverkehr sei rechtens, wenn (in welchem Umfang auch immer!) die Chance zur Verhinderung oder Verfolgung von Straftaten möglich sein könnte“
Die Kernaussage scheint folgende zu sein: Der Staat und die Behörden dürfen jederzeit anlasslos, für gefühlte Sicherheit und in „Könnte“-Szenarien alle Interessen der Bürger ignorieren, während der Bürger sich nicht einmal bei konkreten Straftaten schützen kann.
Das soll Sicherheit erzeugen? Bei mir nicht.
Der Wertungswiderspruch ist nur ein Scheinbarer.
Es ist die Aufgabe des Staates, für Sicherheit zu sorgen. Dafür hat er sogar ein Gewaltmonopol. Überwachen darf er nur, soweit das Gesetz ihm dies einräumt, nicht zuletzt weil davon umfassend unbescholtene Bürger betroffen sind. Auch wenn der Gesetzgeber derzeit, diese Befugnisse ungewöhnlich großzügig der Exekutive einräumt, ist sie im Rahmen dieses öffentlichen Auftrages zu sehen und zu bewerten.
Ein Privater hat nur im Rahmen eines Notwehrrechts die Möglichkeit, für seine eigene Sicherheit zu sorgen. Normalerweise ist eine Überwachung – z.B. mit Dash-Cams – ungeeignet, einen rechtwidrigen Angriff erfolgreich abzuwehren.
Alleine zur Beweissicherung erlauben es die Gerichte gelegentlich solche Videoaufzeichungen als zulässige Beweismittel zu nutzen. Aber das schließt dann auch eine umfassende und ununterbrochene Inbetriebnahme von privaten Dash-Cams aus. Wegen der zahllosen unbescholtenen Drittbetroffenen ist das auch richtig so.
Die folgenden Argumente rechtfertigen nie eine- auch keine öffentliche – Videoüberwachung:
1- gefühlte Sicherheit
2- jederzeit anlasslos
3- alle Interessen der Bürger ignorieren
Im Fall des AG München ging es darum, die umfassende Überwachung zu bewerten. Dies darf dem einzelnen Bürger nicht zustehen. Wahrscheinlich hätte es im Rahemn des Schadenersatzprozesses die Ausschnitte für die Sachbeschädigung als Beweismittel sehr wohl zugelassen. Daher hat der Hinweis, dass ein Bürger zur Abwehr von Straftaten keine Videoüberwachung einsetzen darf, keine Grundlage.
Zur Erinnerung: Videoüberwachung ist vergleichweise ungeeignet, Straftaten zu verhindern – gleich durch wen sie veranlasst wird. Sie ist erst wirksam, wenn das Kind (Straftat) bereits in den Brunnen gefallen ist. Auch dies gilt für öffentliche und private Videoüberwachung gleichermaßen.
von Roland Schäfer