Ärztlicher Widerstand gegen elektronische Gesundheitskarte und Telematik-Infrastruktur

Gesunde_daten/ Juni 30, 2019/ alle Beiträge, Telematik-Infrastruktur/ 1Kommentare

Wilfried Deiß, Facharzt für Innere Medizin und Hausarzt in Siegen, seit vielen Jahren engagiert in der Auseinandersetzung um die Digitalisierung im Gesundheitswesen, hat sich am 30.06.2019 mit einer Mail an seine Patient*innen und seine Berufskolleg*innen gewandt und seine Ablehnung des Zwangs-Anschlusses an die zentralisierte Telematik-Infrastruktur der Gematik begründet. Der Redaktion dieser Homepage hat Herr Deiß diese Mail zur Veröffentlichung zur Verfügung gestellt. Wir veröffentlichen sie nachstehend im Wortlaut:

Sehr geehrte Patientinnen und Patienten, Kolleginnen und Kollegen, 

Im Gesundheitswesen passiert derzeit etwas Aussergewöhnliches: ÜBER 40% DER NIEDERGELASSENEN HAUSÄRZTE UND FACHÄRZTE verhalten sich NICHT GESETZESTREU und VERWEIGERN DEN ANSCHLUSS IHRER PRAXEN AN DIE SOGENANNTE TELEMATIK-INFRASTRUKTUR. Und ein großer Anteil derer, die ihre Praxen unter Zwang haben anschliessen lassen, lehnen die Telematik-Infrastruktur trotzdem ab..

Was ist da los? Warum passiert das? Die verweigernden Ärzt*innen tun das

  • obwohl sie eine digitalisierte, verschlüsselte Datenübertragung im Gesundheitswesen für notwendig halten
  • obwohl Sie den technischen Anschluss ihrer Praxiscomputer an ein bundesweites Datennetzwerk namens TELEMATIK-INFRASTRUKTUR bezahlt bekommen würden (letztlich von Krankenkassenbeiträgen)
  • obwohl das dazu gehörige eHealth-Gesetz als Strafe für die Nicht-Installation 1% Abzug von den Kassenärztlichen Brutto-Einnahmen vorsieht, immerhin pro Praxis ein paar tausend Euro pro Jahr. (Und im nächsten Jahr sollen es möglicherweise 2,5% sein).

Genau HEUTE (30.6.) ist der Stichtag für diese Regelung.   

WARUM VERWEIGERN ÄRZT*INNEN DEN ANSCHLUSS IHRER PRAXEN AN DIE ‚TELEMATIK-INFRASTRUKTUR‘? 

Im Juli werden tausende Ärzte Widerspruch einlegen gegen die erste kassenärztliche Abrechnung, die den 1%-Abzug ausweist. Ich selbst werde dem Widerspruch den Text in der Anlage als Begründung beifügen. Der Titel lautet: ‚MEIN ÄRZTLICHES GEWISSEN UND DIE ARZTGEHEIMNIS-CLOUD‘ 

Dieser Text dürfte in weiten Teilen exemplarischen Charakter für viele andere ‚Verweigerer‘ haben.

Der Kern der Kritik ist: OHNE DASS DIE BEVÖLKERUNG WIRKLICH INFORMIERT IST, SOLLEN IN ZUKUNFT PERSÖNLICHE PATIENTENAKTEN/ ARZTBRIEFE NICHT MEHR NUR IN DEN ARZTPRAXEN GESPEICHERT WERDEN, SONDERN AUCH IN EINEM ZENTRALISIERTE BUNDESWEITEN NETZWERK, ALSO IN EINER CLOUD. Das nennt sich ‚Elektronische Patientenakte‘. Die Patientendaten sind dann auch auf Serverzentren gespeichert (Frankfurt? Bielefeld? Wo eigentlich? Nicht einmal das ist offiziell mitgeteilt worden). Betreiber ist  Arvato, eine Tochterfirma des Bertelsmann-Konzerns. 

Diese Cloud ist anders als jede andere. Hier werden nicht Fotos gespeichert oder Musik oder Filme, sondern die intimsten und persönlichsten Informationen über Menschen. Patientenakten unterliegen aus guten Gründen dem ARZTGEHEIMNIS. Daher nenne ich die Cloud die ARZTGEHEIMNIS-CLOUD. Das Gesundheitsministerium und die IT-Firmen sprechen von ‚Zentraler Telematik-Infrastruktur‘ und von der ‚elektronischen Patientenakte‘. Wie viele Prozent der Patient*innen verstehen diese Begriffe? Kann der Datenschutz bei dauerhafter zentraler Speicherung gewährleistet werden? 

Will die Bevölkerung das in der Mehrheit wirklich? Und wollen die Versicherten mit ihren Krankenkassenbeiträgen ein Milliardenprojekt (Kosten bisher mindestens 2 Milliarden) weiter finanzieren, das bisher noch nicht einmal ein alltagstaugliches Modellprojekt hervor gebracht hat und gegenüber dem der BER-Flughafen ein Vorbild an Planungskompetenz ist? Wenn diese Fragen eindeutig formuliert werden und eine Mehrheit der Bevölkerung sie klar mit Ja beantwortet, beende ich umgehend meine ‚Verweigerungshaltung‘, die in Wahrheit der Einsatz für eine bessere Art von Digitalisierung ist. 

Mehr dazu in der Anlage. Wenn Sie diese Mail und den Textanhang für wichtig halten, dann gern zur Weiterverbreitung. 

Mit freundlichen Grüßen

Wilfried Deiss Hausarzt-Internist“

1 Kommentar

  1. Ich mag mich irren, aber mein Eindruck;

    * ‘806.361 Unterschriften gegen die “Gesundheitskarte”‘ z.B. auf / laut der Webseite https://www.stoppt-die-e-card.de/
    * Sehr viele Krankenkassenmitglieder, die schon vor Jahren und jahrelang wie unter anderem auf dieser Webseite angeraten keine Bilder für die EGK eingereicht haben um ihren Protest auszudrücken
    * Es gab Mustertexte um der Datenverarbeitung zu widersprechen …
    * …

    Aber, was wurde daraus, aus diesem ursprünglich grossen Momentum gemacht? Nichts! Statt richtigen koordinierten Widerstand zu leisten, kocht jeder Interesssenskreis nur sein eigenes Süppchen. Auf Rückfrage vor Jahren beim Betreiber von Stoppt-die-ecard.de wenn ich mich recht erinnere “man müsse abwarten … später sei Klage günstiger, weil …” … inzwischen sind Jahre vergangen und für mich sichtbar getan hat sich nichts.

    Die ursprünglich ebenfalls zum Widerstand bereiten Patienten erhielten keine weiteren Infos, weder auf der webseite noch anderswo – ich wüsste zumindest nicht, was ich aktuell machen soll. Weiterhin kein Lichtbild um egk zu verhindern? … da hat nur der Arzt den Mehraufwand, also eine Person, die für mich da ist und, dem ich das am wenigsten Zumuten möchte. Weitere sichtbare effekte? Keine! Irgendwo widersprechen, sonst was machen? Wüsste nicht wie!

    Sorry. Man könnte den Eindruck gewinnen, OHNE diesen “Widerstand” wäre es besser. Dann würden die sprichwörtlichen Frösche merken, wenn man sie ungeschützt ins heisse Wasser wirft, statt so die langsame Temperaturerhöhung voller Hoffnung auf den “Widerstand” und “wird schon nicht so schlimm kommen” auszusitzen bis sie gar gekocht sind.

    Schade um die 800.000 Unterschriften uvm., geleistet als das Wasser erstmalig und spürbar für alle heisser wurde. Was hätte man daraus machen können!!! Warum, wenn man wirklich verhindern will, wird das Thema nicht (immer) (wieder) (neu) in die Presse gebracht? Ins Bewusstsein der breiten Bevölkerung zurück gerufen? Jedem einzelnen durch aktualisierte Musterschreiben etc. gesagt, was er tun kann, statt die Patienten ratlos zurück zu lassen? Gerne auch als Aushang / Infoblätter aus / in den Praxen der 40% der Ärzte, welche die egk ablehnen. Schon ein Blatt “Wenn sie aus Protest die egK ablehnen, dann verstehen wir das und behandeln gerne auch nach vorlage einer Ersatzbescheinigung” wäre eine gewaltige verbesserung. Schon wäre das flaue gefühl weg, mit dem eigenen Widerstand nur meinem Arzt zu schaden, während es den Kassen egal ist.

    Der “Widerstand” in der aktuellen Form (so mein gefühl) nimmt jedenfalls nur Druck aus dem Kessel – sonst nix. Schade.

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