Jobcenter und Datenschutz – eine nicht immer glückliche Beziehung

Datenschutzrheinmain/ November 1, 2016/ alle Beiträge, Sozialdatenschutz/ 1Kommentare

Vor wenigen Tagen ging eine Meldung durch die Medien, wonach im Jobcenter Stade eine schwangere „Kundin“ befragt wurde, wer der mutmaßliche Vater ihres ungeborenen Kindes sei. Der Rechtsanwalt der jungen Frau machte den Skandal öffentlich. Er veröffentlichte die Anfrage des Jobcenters und stellte dazu fest: „Der Fragebogen verlangt als erstes genaue Angaben zu den Männern, mit denen unsere Mandantin Sex gehabt hat. Dazu soll sie sogar den Vor- und Nachnamen, sowie das Geburtsdatum der Männer angeben. Zur Verfügung stehen dafür dann auch drei nummerierte Zeilen, in die die Personalangaben eingetragen werden sollen. Für den Fall, dass die erste Frage nicht beantwortet werden kann, verlangt die zweite Frage sodann genau anzugeben, warum die erste Frage nicht beantwortet werden kann. Es wird darauf hingewiesen, dass diese Erklärung ‚ausführlich und nachvollziehbar‘ sein soll.“ Überrascht vom Presseecho ruderte das Jobcenter Stade zurück. In einer Presseinformation vom 25.10.2016  erklärte es: „Solche persönlichen Fragen dürfen wir nicht stellen“.

Ein bedauerlicher Einzelfall? Leider Nein!

Ausgelöst durch umfangreiche  gesetzlich geregelte Auskunftspflichten der Betroffenen in den §§ 60 ff. Sozialgesetzbuch (SGB) I, Regelungen zu den Auskunftspflichten der Betroffenen und Dritter in den §§ 56 ff. SGB II und umfangreichen Rechten der Jobcenter zum Datenaustausch mit anderen Behörden in § 52 SGB II entsteht ein außerordentlich hoher Überwachungsdruck, der weit über das hinausgeht, was steuerpflichtige BürgerInnen vom Finanzamt zu gewärtigen haben. Verschärft wird die Problemlage in den Jobcentern durch hohen Arbeitsdruck, hohe Personalfluktuation und häufig mangelnde Einarbeitung / Qualifizierung des im direkten Kundenkontakt eingesetzten Personals. Darauf haben die Personalräte der Jobcenter, die betrieblichen Interessenvertretungen der Beschäftigten, wiederholt hingewiesen. Unter diesen Umständen gerät der Datenschutz leider viel zu häufig unter die Räder.

Einige Beispiele:

  • Das Bayerische Staatsministerium für Arbeit und Soziales, Familie und Integration sah sich am 09.09.2015 genötigt, in einem 11-seitiges Schreiben zum Thema „Vollzug des SGB II – Erheben, Verarbeiten und Nutzen von Sozialdaten“ die  kommunalen Jobcenter in Bayern auf eine Vielzahl datenschutzrechtlicher Regelungen hinzuweisen.
  • Der bayrische Landesbeauftragte für den Datenschutz hat in einer Pressemitteilung vom 15.07.2016 festgestellt: „Sozialbehörden: Umgang mit Gesundheitsdaten nicht immer datenschutzkonform…“
  • Das Bundessozialgericht (BSG) musste sich mit der Praxis eines Jobcenters in Baden-Württemberg auseinandersetzen, das ohne Kenntnis des Betroffenen vom Vermieter eines Jobcenter-„Kunden“ Auskünfte erhob. Mit Urteil vom 25.01.2012 (AZ: B 14 AS 65/11 R) hat das BSG entschieden, dass Jobcenter dazu verpflichtet sind, in jedem Fall die schutzwürdigen Interessen von Leistungsempfänger/innen zu beachten und vor einer Kontaktaufnahme mit Dritten zunächst das Einverständnis der Betroffenen einzuholen, bevor sie Dritten gegenüber Sozialdaten offenbaren.
  • Nach Beschwerde eines Betroffenen über das Jobcenter Saarbrücken hat die Bundesbeauftragte für den Datenschutz und die Informationsfreiheit am 27.05.2014 darauf hingewiesen, dass die Verwendung des Jobcenterlogos auf Briefumschlägen unzulässig ist. Die Begründung: „…besteht durch das Logo die Möglichkeit, dass Dritte Kenntnis vom Sozialleistungsbezug der Betroffenen erhalten…“.
  • Das Landgericht Heidelberg hat mit Urteil vom 22.08.2013 (AZ: 3 O 403/11) die Anordnung eines Drogentests bei einer Frau, die arbeitssuchend ist und Leistungen nach SGB II bezieht, als rechtswidrig beurteilt.
  • Auch der Anstieg der Kontenauskunftsersuchen beim Bundeszentralamt für Steuern von 72.578 in 2012 auf 300.944 in 2015 lässt sich zu einem Gutteil damit erklären, dass auch Jobcenter zunehmend zu diesem Mittel greifen. Dazu stellt der frühere Bundesbeauftragte für den Datenschutz und die Informationsfreiheit, Peter Schaar, bereits in einer Stellungnahme vom 26.11.2013 fest: „Das Kontenabrufverfahren wurde 2002 mit der Begründung eingeführt, die Finanzströme des Terrorismus aufzudecken. Hierfür wurde eine zentrale Abrufmöglichkeit für die Daten aller Konteninhaber in Deutschland eingerichtet. In den Folgejahren wurden die Befugnisse zum Abruf stark ausgeweitet: Finanzämter, Sozialdienststellen, Jobcenter, Gerichtsvollzieher und viele andere Behörden nutzen inzwischen das Abrufverfahren. Das Argument des Kampfs gegen den Terrorismus diente – wie wir jetzt wissen – als eine Art Türöffner zu den Kontodaten. Wie Prüfungen der Aufsichtsbehörden ergeben haben, fehlen oftmals sogar die Begründungen für den konkreten Abruf und Benachrichtigungen der Betroffenen unterbleiben…“.
  • „Kunden“ der MainArbeit, kommunales Jobcenter der Stadt Offenbach, beschwerten sich wiederholt über den Umgang dieser Behörde mit Personalausweisen und Personalausweiskopien. Bei Vorsprachen würde die Vorlage von Personalausweisen gefordert, was an und für sich unproblematisch und zulässig ist. Dies diene aber nicht allein der Prüfung der Identität der jeweiligen Person. Die Ausweise würden häufig für die gesamte Dauer der Vorsprache einbehalten und erst am Ende des Gesprächs wieder zurückgegeben; auch dann, wenn ein Gespräch unterbrochen werde. In einzelnen Fällen seien Bevollmächtigte (§ 13 SGB X), die ohne die persönliche Anwesenheit des Vollmachtgebers vorsprachen, aufgefordert worden, Ausweispapiere des Vollmachgebers an Beschäftigte des Jobcenters auszuhändigen. Diese Informationen ließen sich bisher nicht durch unabhängige Dritte überprüfen, da es in Hessen kein dem Informationsfreiheitsgesetz (IFG) des Bundes vergleichbare Regelung gibt und die Leitung des Jobcenters keine Auskünfte über ihre Arbeitsanweisungen für den Dienstbetrieb erteilt.

1 Kommentar

  1. Hey allerseits, ich wurde gebeten, hier einen Kommentar zu hinterlassen von den Betreibern.

    Ich bin als Hartz-IV-betroffene Freiberuflerin seit dem Kurswechsel gegen Selbständige ins Interesse eines ehrgeizigen Arbeitsvermittlers geraten, der mich gern (umgehend) in der Zeitarbeitsbranche unterbringen wollte – wo es nun offensichtlich zu Datenschutzverletzungen kam.

    Da die Verhandlungen über eine Eingliederungsvereinbarung (ich hatte noch keine seit Jahren) aus seiner Sicht gescheitert waren, er mich wegen der Zahl meiner Beistände sogar aus dem Haus schickte, erließ er postwendend gegen meinen Willen den sog. Verwaltungsakt. Dieser erreichte mich erst 6 Tage später. Beigefügt waren auch diverse Zuweisungen zu (Zeitarbeits)jobs auf die ich mich unter Androhung von Sanktionen binnen 3 Tagen zu bewerben hatte.

    Interessanterweise hatte ich aber schon bevor ich davon wusste, Werbepost von Zeitarbeitsfirmen im Kasten! Diese war direkt an meine Adresse gerichtet – meine Daten muss denen einer konkret mitgeteilt haben.* Sie haben sich diffus bei mir vorgestellt und Bezug „auf meine interessante Bewerbung“ genommen. Das machte mich stutzig und ich schrieb diese Firmen an mit der Bitte um die Aushändigung „meiner Unterlagen“, der Auskunft über meine Datenherkunft und dem Gebot, dieses Schreiben NICHT an Dritte weiterzugeben. Ob oder dass ich ggf. an einem Job Interesse haben könnte – wenn auch nur um Sanktionen zu vermeiden – , war da noch gar nicht Thema – es ging nur um die Auslotung dieser Dinge vorab.

    Einige Tage später bewarb ich mich unter anderem bei einem anderen Ansprechpartner der Firma auf eine konkrete vom Arbeitsvermittler zugewiesene Stelle. Das Bewerbungsschreiben war von einem Experten gecheckt worden und für o.k. befunden- auch darin stand eine Vertraulichkeitsfestlegung meinerseits. Nun bekam ich von den anderen Firmen normale Reaktionen: Absagen, Einladungen… die eine besagte Firma meldete sich gar nicht darauf und beantwortete auch nicht mein Klärungsschreiben.

    Ca. 2 Monate später nahm ich im Jobcenter eine Akteneinsicht.
    Es stellte sich heraus, dass die besagte Firma am selben Tag, an dem sie das Klärungsfax erreichte, eine Rückmeldung an mein Jobcenter und ein anderes im Verbund geschickt hatte.
    Das war terminlich VOR meiner Bewerbung.

    Zwei Tage nach der Akteneinsicht schickte mir dann mein Arbeitsvermittler eine Sanktionsanhörung, ich hätte mit meinem Verhalten „von vornherein erwirkt, aus dem Bewerbungsverfahren ausgeschlossen zu werden“, der AG gäbe an „Form und Inhalt meiner Korrespondenz hätten Anlass gegeben, meine Bewerbung nicht zu berücksichtigen“.

    Die Sanktion ist noch nicht vollzogen und alles befindet sich in der Klärung – aber allein schon der Gedanke, dass ich wegen der Beanspruchung meiner (Grund)rechte bestraft werden soll OBWOHL ich mich zudem auch noch ordnungsgemäß und fristgerecht beworben habe, ist gruselig.
    Der mir zuvor noch völlig unbekannte Arbeitgeber hätte mich – bei echtem Interesse – auch im Internet finden können, weil ich bedingt in der Öffentlichkeit stehe, doch dass hinter meinem Rücken meine Daten unmittelbar an einen Arbeitgeber geschickt wurden, der darauf nicht mit mir korrespondiert sondern sich darüber beim Jobcenter beschwert, hätte ich nicht gedacht.
    Auch nicht, dass mein Arbeitsvermittler erwähnt, ich hätte Kenntnis der Rechtsfolgen gehabt und mich falsch verhalten – seine Stellenzuweisung inkl. des Verwaltungsaktes mit den ganzen Rechtsfolgenbelehrungen kam ja erst später und dass es Rechtsfolgen für die Klärung unbestellter Werbung gäbe, ist mir auch neu…

    Hier mehr über den Fall und auch das besagte Schreiben:
    http://gerichtsverfahrenundklageprozesse.blogspot.de/p/sanktionsdrohkulissezeitarbeitsfirmadat.html

    *die zuständige Teamleiterin und der Bereichtsleiter im Jobcenter sagten mir: „Ja, wir geben die Daten von Bewerbern – so auch die Anschriften und Namen – gezielt an Unternehmen weiter, die wir als „seriös geprüft haben“. Das ist ja unser JOB.“ Ich sagte, das sei aber verwirrend, gerade wenn man als „Bewerber“ davon nichts wisse oder erst später davon erfahren würde. Der normale Weg ist eigentlich, dass de Stellenempfehlung oder Zuweisung über das Jobcenter kommt und Arbeitgeber bei interessanten Profilen sich an das Jobcenter wenden und nicht direkt an den Arbeitsuchenden.

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