Antrag auf Einsicht in Geheimdienstakten: Hans Modrow verklagt den Bundesnachrichtendienst

Datenschutzrheinmain/ März 4, 2018/ alle Beiträge, Polizei und Geheimdienste (BRD)/ 0Kommentare

Der SED-Funktionär und ehemalige DDR-Regierungschef Hans Modrow, wurde vom Bundesnachrichtendienst (BND) und dem Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) über 62 Jahre – von 1951 bis 2013 – bespitzelt. Das geht aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Fraktion Die Linke hervor. Darin wird auf Seite 6 mitgeteilt: Laut Aktenlage hat der BND zu Dr. Hans Modrow vom Juli 1958 bis zum April 1990 Erkenntnisse gewonnen. Es wurden Informationen zur Person (Kurzbiografie, Lebenslauf, politischer Werdegang, politische Aktivitäten, Reisen, Auszeichnungen, Einschätzungen zur Stellung innerhalb des Partei- und Staatsapparates der DDR) erhoben. Weiterhin wurden Informationen zu seinen Funktionen in der DDR, zu Aktivitäten im Ausland und in der DDR erfasst. Vom BfV wurden von 1965 bis zum 1.März 2013 Informationen zu Dr. Hans Modrow erhoben. Die Informationserhebung erfolgte im Zusammenhang mit tatsächlichen Anhaltspunkten für linksextremistische Bestrebungen und erfasste den Zeitraum seit dem Jahr 1951. Die Beobachtung von Dr. Hans Modrow wurde zum 1. März 2013 eingestellt…“

Modrow ist der erste Ostdeutsche, der auf Einsicht in seine von westdeutschen Geheimdiensten angelegten Akten klagt. Die ostdeutschen Akten bekommen Ost- wie Westdeutsche vergleichsweise problemlos; dafür gibt es die Stasi-Unterlagen-Behörde. Der Zugang zu den westdeutschen Akten hingegen gestaltet sich mehr als schwierig. Hans Modrow hat deshalb in einem Klageverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht Einsicht in die über ihn beim BND und BfV angelegten Akten gefordert. In einer Erklärung vor dem Bundesverwaltungsgericht hat Modrow u. a. ausgeführt: Gleiches Recht für alle, sagt unser Grundgesetz. Das heißt für mich: Ostdeutsche haben nicht nur Anspruch darauf, ihre ostdeutschen Stasi-Akten lesen zu dürfen. Ostdeutsche haben auch das Recht zu erfahren, was westdeutsche Geheimdienste während der Zeit des Kalten Krieges über sie zu Papier gebracht und in ihren Archiven abgelegt haben. Vor Gericht sollten nicht nur Stasi-Akten verhandelt werden, wenn der BND und der Verfassungsschutz Auskünfte zur Sache geben könnten, sollten sie Beachtung finden. Dieses Recht ist unteilbar. Die Ostdeutschen sollten es gemeinsam mit den Westdeutschen wahrnehmen dürfen. Eine Verweigerung dieser Einsicht schreibt die erkennbar bestehende Ungleichheit in unserem Lande fort…“

Die Sächsische Zeitung berichtet am 28.02.2018: „Mehr als vier Stunden verhandelten die 6. Kammer… und verständigten sich mit salomonischen Sprüchen auf eine vorläufige Lösung. Generell gilt dabei, dass Modrows Akten des Bundes nach dem Archivgesetz erst nach 30 Jahren geöffnet werden dürfen. Grob gesagt: Dokumente aus der DDR-Zeit dürften spätestens im nächsten Jahr für ihn zugänglich sein. Allerdings hat der BND viele Akten mit dem Argument gesperrt, dass er seine Quellen und seine Arbeitsfähigkeit schützen müsse. Über diese Akten wird nun eine spezielle Geheimschutz-Kammer des Bundesverwaltungsgerichts im Einzelnen befinden. Ist zum Beispiel ein Informant aus den 50er-Jahren schon seit Langem tot, dürfte der Quellenschutz nicht mehr gelten. Auch im Blick auf seine persönlichen Daten beim BND erzielten die Streitparteien eine vorläufige Einigung: Für drei Abschnitte seines Lebens in der DDR, die ihn besonders interessieren, soll Modrow nun einen konkreteren Antrag formulieren – und darauf auch konkretere Antworten als bisher bekommen… Zu den pikanten Lebensabschnitten zählen: Modrows politisches Engagement in Ost- und in Westberlin bis zum Mauerbau 1961. Seine Stilisierung zum politischen Hoffnungsträger und möglichen Honecker-Nachfolger und der damit verbundene Vorwurf des Hochverrats…“

Das Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht ist damit noch nicht beendet. Herr Modrow hat aber bereits jetzt mehr erreicht, als viele westdeutsche Bundesbürger, die Einsicht in die von den diversen Verfassungsschutzämtern über sie angelegten Akten forderten. Drei Beispiele:

  • Der hessischen Lehrerin Silvia Gingold, die auch als Rentnerin noch vom Hessischen Landesamt für „Verfassungsschutz“ brespitzelt wird, wurde sowohl vom Verwaltungsgericht Wiesbaden als auch vom Verwaltungsgericht Kassel eine Einsichtnahme in ihre Akten und eine Beendigung ihrer Bespitzelung verweigert.
  • Der Heidelberger Lehrer Michael Csaszkóczy, wurde wegen seines politischen Engagements in den Jahren 2003 bis 2007 mit Berufsverbot belegt. Grundrechtswidrig, wie der Verwaltungsgerichtshof Mannheim letztinstanzlich feststellte. Seit Mitte September 2007 arbeitet Michael Csaszkóczy als Lehrer in Baden-Württemberg. Als um 2010 erkennbar wurde, dass der „Verfassungs“schutz die Beobachtung Csaszkóczys nach den  Urteilen gegen das Land Baden-Württemberg nicht etwa eingestellt, sondern im Gegenteil noch ausgeweitet hatte, wandte sich der Bespitzelte an Datenschutzbehörden und Gerichte. Die folgende Auseinandersetzung zog sich von 2010 bis 2016 hin. Es endete mit einer nachgerade atemberaubenden Entscheidung des Verwaltungsgericht Karlsruhe. Es hat mit Urteil vom 20. April 2016 (Aktenzeichen 4 K 262/13)  dem Inlandsgeheimdienst in allen Punkten den Rücken gestärkt und Csaszkóczys Klage abgewiesen. Den weiteren Rechtsweg hat das Verwaltungsgericht faktisch verbaut. Zum Schutz des Geheimdienstes dürfe Csaszkóczy keinesfalls alle über ihn gesammelten Daten sehen. Er könne aber nicht die Löschung von Daten verlangen, die er nicht genau benennen könne. Weitere Informationen zu diesem „Fall“ sind hier nachlesbar.
  • Vergleichbare Erfahrungen mussten auch die TeilnehmerInnen der Aktion “Ich habe Netzpolitik gelesen” machen. Sie hatten sich 2015 nach der Strafanzeige des Bundesamts für „Verfassungs“schutz gegenüber Netzpolitik.org wegen Landesverrat mit einer Selbstanzeige an den Inlandsgeheimdienst gewandt und damit Auskunft begehrt über die Daten, die der Geheimdienst zu ihrer Person gespeichert hat. Mit der absurden Begründung, der Auskunftsanspruch führe zu einer Ausforschungsgefahr (!) für den Geheimdienst, wurden die Auskunftsbegehren abgebügelt.

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