Wegen jahrzehntelanger Bespitzelung durch den „Verfassungs“schutz: Silvia Gingold erhebt Verfassungsbeschwerde vor dem Bundesverfassungsgericht

WS/ Februar 12, 2024/ alle Beiträge, Hessische Landespolitik, Polizei und Geheimdienste (BRD)/ 2Kommentare

Silvia Gingold war Lehrerin, hatte wg. ihrer politschen Aktivitäten Berufsverbot erhalten und musste – auch auf internationalen Druck, insbesondere aus Frankreich, wo ihre Eltern in der Résistance kämpften – wieder in den Schuldienst eingestellt werden. Inzwischen schon lange Rentnerin, wurde und wird sie aber weiterhin, mittlerweile seit 60 Jahren, vom Hessischen Landesamt für „Verfassungs“schutz ausgespäht, auch in ihrem engsten persönlichen Umfeld.

Silvia Gingold war und ist – neben anderen Betroffenen und unterstützt von der Gesellschaft für Freiheitsrechte e. V. (GFF) – in den Jahren 2019 und 2023 in zwei Verfahren gegen gesetzliche Neuregelungen im hessischen Polizeirecht (HSOG) und im hessischen „Verfassungsschutz“gesetz als Klägerin vor dem Bundesverfassungsgericht aufgetreten. Am 05.02.2024 hat sie „in eigener Sache“ Verfassungsbeschwerde vor dem Bundesverfassungsgericht eingereicht.

Der Hintergrund: Sie wird seit ihrem 17. Lebensjahr geheimdienstlich überwacht. Mit dem Ziel, dass ihre Überwachung beendet wird, klagte vor den hessischen Verwaltungsgerichten Wiesbaden und Kassel auf Herausgabe von bzw. Einsichtnahme in Akten, die das hessische Landesamt für Verfassungsschutz (LfV) auch aktuell noch über sie führt. Da beide Gerichte ihren Anspruch ablehnten, klagte sie vor dem Hessischen Verwaltungsgerichtshof. Dieser hat Ende 2023 entschieden, der Verfassungsschutz dürfe die mittlerweile 77-Jährige weiterhin beobachten, Daten über sie sammeln und somit ihre grundgesetzlich garantierten Freiheitsrechte einschränken. Für diesen Beschluss hat sich das Gericht sechs Jahre Zeit genommen.

In der Beschwerdeschrift, die Silvia Gingold 2019 gemeinsam mit sechs anderen Kläger*innen und unterstützt von der GFF, gegen Neuregelungen im Hessischen Polizeirecht beim Bundesverfassungsgericht einreichte, wurde zu ihrer geheimdienstlichen Überwachung festgestellt: Die Beschwerdeführerin zu 1 (Silvia Gingold) lebt in Kassel und ist Lehrerin in Ruhestand. Sie stammt aus einer jüdischen Familie, ihr Vater Peter Gingold war nach seiner Flucht aus Deutschland im französischen Widerstand gegen den Nationalismus aktiv… Die Beschwerdeführerin… ist bis heute in der VVN-BdA aktiv und gewähltes Mitglied des Sprecher*innenrats der Landesvereinigung Hessen der VVN-BdA. Die VVN-BdA versteht sich als überparteiliche Sammelorganisation von Menschen, die gegen neofaschistische, rassistische und nationalistische Bestrebungen eintreten. Obwohl die VVN-BdA im Jahresbericht des Landesamts nicht namentlich genannt wird, steht die VVN-BdA nach Angaben des Landesamts gleichwohl in Hessen ebenso wie in zahlreichen anderen Bundesländern unter Beobachtung… Die Beschwerdeführerin… ist dem Landesamt nachweislich auch persönlich bekannt und wird bis heute vom Landesamt beobachtet… Seit 2009 wird beim Landesamt eine Personenakte zur Beschwerdeführerin… geführt. Dies brachte sie durch eine Anfrage vom 16.10.2012 an das Landesamt in Erfahrung. Mit Antwort vom 18.11.2012 teilte man ihr mit, dass sie seit 2009 im Bereich Linksextremismus gespeichert sei… Die Beschwerdeführerin erhob 27.05.2013 Klage gegen das Landesamt und verlangte vollumfängliche Auskunft über die über sie erhobenen Daten sowie Löschung dieser Daten… Auch im Rahmen des Gerichtsverfahrens hat das Landesamt die personenbezogenen Daten der Beschwerdeführerin nicht offengelegt, über 100 Seiten der Akte waren überwiegend geschwärzt. Das Landesamt hat im Rahmen des Verwaltungsgerichtsverfahrens am 07.10.2013 eine Sperrerklärung für nicht vorgelegte Bestandteile der Akte abgegeben… Diese Sperrerklärung weist darauf hin, dass im direkten Umfeld der Beschwerdeführerin auch verdeckte Ermittler*innen und Vertrauenspersonen eingesetzt werden…“ An diesen Sachverhalten hat sich bis in die Gegenwart nichts Grundlegendes verändert.

Die Frankfurter Rundschau und die Hessenschau berichteten vor wenigen Tagen umfangreich über die neu eingereichte Verfassungsbeschwerde. In der Hessenschau wird der Anwalt der Beschwerdeführerin zitiert mit der Aussage: „Es ist nicht erkennbar, in welcher Weise sie eine Gefahr für die freiheitlich demokratische Grundordnung darstellen soll. Sie habe in ihrem ganzen Leben immer das gelebt, was jetzt das Motto der großen Demonstrationen auf den Straßen sei: Nie wieder. Das ist jetzt. Mit dem Gang vors Bundesverfassungsgericht – so der Anwalt – will seine Mandantin erreichen, dass die Beobachtung eingestellt und die über sie gesammelten Daten gelöscht werden. Sowohl die Beobachtung durch den Verfassungsschutz als auch den gesamten Inhalt der Personenakte hält er für rechtswidrig.

 

2 Kommentare

  1. Abermals geschwärzte LfV-Akten im sicherheitsbehördlichen „Problembundesland Hessen“ (taz).
    Soll das LfV-Hessen doch rechtsextreme (angehende) Landesbediensteten beobachten, z. B. im Studienzentrum für Finanzverwaltung in Rotenburg (aktueller hessischer Behörden-Skandal).

  2. Ich bin fassungslos! Silvia Gingold müsste das grosse Bundesverdienstkreuz am Bande erhalten! Füf ihr jahrelanges Engagement gegen Rechtsextremismus! Für unsere Demokratie! Antifaschistische Gruppierungen und Vereine müssten rehabilitiert werden und öffenhlich gewürdigt und staatlich gefördert werden!

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