Verfassungsbeschwerden gegen die Polizeigesetze in Hessen und Hamburg – erste Bewertung der mündlichen Verhandlung am 20. Dezember vor dem Bundesverfassungsgericht

Datenschutzrheinmain/ Dezember 21, 2022/ alle Beiträge, Hessische Landespolitik, Polizei und Geheimdienste (BRD)/ 2Kommentare

Am 20.12.2022 wurden vor dem Bundesverfassungsgericht zwei Verfassungsbeschwerden behandelt, die mit wesentlicher Vorbereitung und Unterstützung durch die Gesellschaft für Freiheitsrechte e. V. (GFF) eingereicht wurden: Dabei ging es um die Möglichkeit der Polizei, in Hessen und Hamburg automatisiert Daten zu analysieren. In Hessen kommt dafür die Software Hessendata des US-amerikanischen Unternehmens Palantir zum Einsatz. In Hamburg wird die Befugnis noch nicht genutzt. Die Rechtsgrundlagen in beiden Bundesländern sind sehr vage und lassen viele Fragen offen – das wurde auch heute in der Verhandlung deutlich.

Nach Abschluss der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverfassungsgericht erklärt die GFF:

Wir haben die Verfassungsbeschwerden eingereicht, damit für den Einsatz komplexer Auswertungssoftware durch die Polizei strenge Maßstäbe aufgestellt werden. Eine Frage war dabei in Karlsruhe zentral: Ist – wie nach Ansicht der Hessischen und Hamburgischen Regierungsvertreter – die automatisierte Datenauswertung nur die Fortsetzung klassischer Polizeiarbeit mit ‚mehr Power‘? Oder begründet die Möglichkeit, riesige Datenpoole zusammenzuziehen, Verbindungen und Muster zu generieren etc. eine ganz neue Eingriffsqualität, die auch entsprechend strenge Grenzen braucht? Die Gegenseite wurde nicht müde zu beteuern, dass keinerlei künstliche Intelligenz im Einsatz sei. Gegenstand des Verfahrens waren aber ja die Regelungen und die sind – wie heute immer wieder formuliert wurde – ‚technik-offen‘. Was noch nicht ist, kann also jederzeit noch werden.

Die vielen detaillierten Nachfragen des Gerichts zeigten, dass die Richterinnen und Richter die vagen Normen zur Automatisierten Datenauswertung ebenfalls kritisch sehen. Insbesondere stand an vielen Stellen die Frage im Raum, ob die Einhaltung der rechtlichen Grenzen überhaupt technisch umsetzbar ist. So bohrte das Gericht beim Stichwort ‚Zweckbindung‘ nach: einmal erhobene Daten dürfen nicht ohne weiteres für einen anderen Zweck weiterverwendet werden. Derzeit wird die Herkunft der Daten aber gar nicht gekennzeichnet – wie soll dann bei ihrer Weiterverarbeitung die Einhaltung der Zweckbindung funktionieren? Ausgiebig beschäftigten sich die Richterinnen und Richter auch mit der Formulierung im hessischen Gesetz, wonach die Automatisierte Datenauswertung nur in ‚begründeten Einzelfällen‘ zulässig ist. Sie fragten genau nach, wie die Einhaltung kontrolliert wird und machten deutlich, dass sie im Gesetz zu wenige Anhaltspunkte dafür sehen, welche eingrenzenden Kriterien hier herangezogen werden sollen. Besonders auffällig war, dass die beiden Landesregierungen gebetsmühlenartig die schlimmsten terroristischen Taten der letzten Jahre aufzählten, um deutlich zu machen, dass zur Verhinderung von Terror-Akten alle verfügbaren Mittel gebraucht werden.“

Die Prozessbevollmächtigte der GFF, Sarah Lincoln, kommentierte letzteres mit den Worten:

Wer sagt denn, dass gerade beim NSU die Automatisierte Datenauswertung geholfen hätte? Damals wurde jahrelang der falsche Ermittlungsansatz verfolgt – hätte man diesen mit der Automatisierten Datenauswertung weiterverfolgt, wären die Sicherheitsbehörden weiter auf dem Holzweg gewesen, nur mit Vollspeed im selbstfahrenden Auto.“

Das Fazit der GFF:

Noch können wir nur mutmaßen. Aber die heutige Verhandlung stimmt uns zuversichtlich, dass die vagen Regelungen aus Hessen und Hamburg in dieser Form nicht mehr lange Bestand haben werden. Ein Urteil erwarten wir in wenigen Monaten. Es hat sich wieder gezeigt: Der Einsatz für Grundrechte braucht Ausdauer und einen langen Atem!“


Für mehr Informationen nutzen Sie bitte die Homepage derGFF mit Informationen zu verschiedenen Polizeigesetzen.

Die Bürgerrechtsgruppe dieDatenschützer Rhein Main hat die Verfassungsbeschwerde gegen das HSOG, das hessische Polizeigesetz, begleitet und unterstützt. Sie ruft auf,

zur Finanzierung dieser und anderer Verfassungsbeschwerden die GFF mit Spenden zu unterstützen.

2 Kommentare

  1. Während vor dem Bundesverfassungsgericht die (vorerst letzte) Novellierung des HSOG und des Hessischen Verfassungsschutzgesetzes verhandelt wurde, ist die CDU/Grüne Landesregierung schon weiter in hat im früher 2022 einen weiteren Gesetzentwurf zum HSOG vorgelegt. Ihr habt dazu schon mehrmals berichtet bzw. auch Stellung genommen.

    Ein lesenswerter Beitrag von Prof. Dr. Markus Ogorek, LL.M. (Berkeley) in der Legal Tribune Online vom 17.08.2022 zur der erneut geplanten Novellierung des HSOG ist hier veröffentlicht:
    https://www.lto.de/recht/hintergruende/h/hessen-sicherheitsgesetz-ueberwachung-freiheit-rechtswidrig-kamara-fussfessel/

    Aus meiner Sicht eine gute Einordnung und Zusammenfassung der mit der Novellierung beabsichtigten Veränderungen.

  2. Im Interview mit dem Berliner Tagesspiegel erklärt die Verfahrensbevollmächtigte der GFF, Sarah Lincoln, wo aus ihrer Sicht die Gefahren der Software liegen:
    https://www.tagesspiegel.de/politik/umstrittene-polizeisoftware-es-gibt-die-gefahr-dass-der-mensch-komplett-glasern-wird-9090151.html

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