Auswertung von Handydaten bei Flüchtlingen: „Unser #Grundrecht auf informationelle #Selbstbestimmung ist kein Deutschen- sondern #Menschenrecht“…
… mit diesen Worten beginnt ein Tweet des Landesbeauftragten für den Datenschutz und die Informationsfreiheit Baden-Württemberg:
Quelle: @lfdi_bw 09.07.2018
Der Landesbeauftragte für den Datenschutz und die Informationsfreiheit Baden-Württemberg weist mit diesem Tweet auf die bisherigen Ergebnisse bei der Auswertung von Handydaten bei Flüchtlingen hin.
Viele Flüchtlinge haben Smartphones – für sie ist es oft die einzige Möglichkeit mit ihren Familien in Kontakt zu bleiben.
Seit September 2017 ist das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) auf der Grundlage des § 15a Asylgesetz ermächtigt, Daten von Mobiltelefonen auszuwerten, die Flüchtlinge bei sich tragen. Die Fraktion Die Linke im Bundestag wollte von der Bundesregierung wissen, welchen Umfang die Handyüberwachung hatte und welche Ergebnisse sie zeitigte. Die Antwort der Bundesregierung auf die entsprechende Kleine Anfrage (Bundestagsdrucksache 19/3148 vom 03.07.2018) macht deutlich: Hier wird mit Kanonen auf Spatzen geschossen!
Die aufwendige Aktion (ursprüngliche Schätzung: allein 3,2 Mio. € Beschaffungskosten für Hard- und Software – S. 27 der Drucksache) wurde bei knapp 15.000 Flüchtlingen durchgeführt. Aber bislang wurde nur in knapp 100 Fällen dadurch Widersprüche zu den Angaben der jeweils betroffenen Personen aufgedeckt. Die Bundesregierung dazu in ihrer Antwort auf die Kleine Anfrage: „In der erweiterten Pilotierungsphase für das Auslesen von Datenträgern von September 2017 bis 27. Mai 2018 wurden 14 943 Datenträger ausgelesen. Der Prozentsatz der auf Anfrage des Entscheiders durch den Volljuristen bereitgestellten Auswertungen beläuft sich im Mittel auf etwa 33 Prozent. Von allen Auswertungen stützen ca. ein Drittel die Aussagen der Antragsteller, in ca. zwei Prozent ergaben die Auswertungen widersprüchliche Angaben, die verbleibenden Auswertungen (ca. 65 Prozent) ließen hinsichtlich Identität und Herkunft keinen relevanten Informationsgehalt erkennen.“ (S. 27 der Drucksache)
Die Süddeutsche Zeitung stellt deshalb am 08.07.2015 zu Recht fest, dass der „verbreitete Verdacht, dass Flüchtlinge in größerem Ausmaß versuchen zu tricksen oder zu lügen bei ihren Angaben zu Identität, Herkunft und Staatsangehörigkeit“ nicht der Realität entspricht.
Peter Schaar, ehemaliger Bundesbeauftragter für den Datenschutz und die Informationsfreiheit, hatte bereits bei der Prüfung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung festgestellt:“Behörden oder sonstige Stellen, die Einsicht in Smartphones, Laptops und Tablet Computer nehmen, verschaffen sich damit Zugang zum gesamten digitalen Abbild des Lebens der Nutzer. Im konkreten Anwendungsfall – im Asylverfahren – ist damit zu rechnen, dass auf Smartphones und Tablet Computern eine Vielzahl höchst sensibler Informationen gespeichert sind, welche die Erlebnisse, Kontakte und Gefühle der Asylbewerber offen legen… Zudem befinden sich darauf vielfach Informationen über anwaltliche Beratungen, die Konsultation von Hilfseinrichtungen für Traumatisierte, zu Menschenrechtsorganisationen oder Flüchtlingsinitiativen. Das Bundesamt für Migration darf den Zugriff auf die informationstechnischen Systeme nicht nur dann verlangen, wenn dies für die Identitätsfeststellung unabdingbar ist. Die Verpflichtung zur Aushändigung greift immer schon dann, wenn sich der zuständige Sachbearbeiter davon nützliche Erkenntnisse über den Asylbewerber verspricht, weil sie ‘für die Feststellung seiner Identität und Staatsangehörigkeit von Bedeutung sein können’…“
Schaar hält die für einen unverhältnismäßigen Eingriff in Grundrechte der betroffenen Personen und konstatierte: “Das Bundesverfassungsgericht hatte bereits in seiner Entscheidung zur „Online-Durchsuchung“ am 22. Februar 2008 (1 BvR 370/07) festgestellt, dass die Nutzung informationstechnischer Systeme für die Persönlichkeitsentfaltung vieler Bürger von zentraler Bedeutung ist und zugleich neuartige Gefährdungen der Persönlichkeit mit sich bringt: ‘Eine Überwachung der Nutzung solcher Systeme und eine Auswertung der auf den Speichermedien befindlichen Daten können weit reichende Rückschlüsse auf die Persönlichkeit des Nutzers bis hin zu einer Profilbildung ermöglichen. Hieraus folgt ein grundrechtlich erhebliches Schutzbedürfnis.’ Dieses Schutzbedürfnis ist vergleichbar mit dem durch Art. 10 Grundgesetz geschützten Fernmeldegeheimnis und der durch Art. 13 Grundgesetz garantierten Unverletzlichkeit der Wohnung. Um dem Rechnung zu tragen, hat das Gericht aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht ein Grundrecht auf Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme abgeleitet, das so genannte ‘Computergrundrecht‘. Weitere Grundrechtspositionen, die ihr zu beachten sind, ergeben sich aus dem Datenschutz (Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung) und dem Schutz des Kernbereichs der privaten Lebensgestaltung.”