Stellungnahme des Hessischen Datenschutzbeauftragten zu HessenDATA, der Analyse-Software der Hessischen Polizei

Datenschutzrheinmain/ Dezember 22, 2022/ alle Beiträge, Hessische Landespolitik, Hessischer Datenschutz, Polizei und Geheimdienste (BRD)/ 2Kommentare

Der Hessische Beauftragte für Datenschutz und Informationsfreiheit, Prof. Alexander Roßnagel, war als Sachverständiger zur mündlichen Verhandlung über die Verfassungsbeschwerde gegen das hessische Polizeigesetz (HSOG) vor dem Bundesverfassungsgericht eingeladen.

In einer Pressemitteilung vom 21.12.2022 hat Prof. Roßnagel seine Bewertungen der mit der Verfassungsbeschwerde angegriffenen Regelungen im HSOG öffentlich bekannt gemacht:

Aufgrund mehrerer Verfassungsbeschwerden verhandelte gestern, am 20. Dezember 2022, der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts über die Verfassungsmäßigkeit des § 25a des Hessischen Sicherheits- und Ordnungsgesetzes (HSOG). Diese Vorschrift ermöglicht der Hessischen Polizei alle bei ihr gespeicherten Daten zur vorbeugenden Bekämpfung von schweren Straftaten zu analysieren. In Hessen kommt hierfür seit 2017 die Analyse-Software Gotham der US-Firma Palantir zum Einsatz. Das auf hessische Verhältnisse angepasste Analyse-Tool wird in Hessen hessenDATA genannt. Mit seinem Einsatz sind auch viele datenschutzrechtliche Fragen verbunden. Daher war der Hessische Beauftragte für Datenschutz und Informationsfreiheit, Prof. Dr. Alexander Roßnagel, vom Bundesverfassungsgericht als Sachverständiger zur mündlichen Verhandlung geladen und konnte dort seine datenschutzrechtliche Expertise einbringen.

Problematisch sieht er die Reichweite des Analyse-Werkzeugs, das auch auf alle Daten von Funkzellenabfragen zugreift, durch die alle Personen, die sich mit einem Handy zu einer bestimmten Zeit in einem bestimmten räumlichen Bereich aufgehalten haben, erfasst werden, und das auch alle Daten des polizeilichen Dokumentationssystems auswertet, in dem alle Vorkommnisse, mit denen die Polizei zu tun hat, dokumentiert sind, von Ermittlungen zu Straftaten, über Zeugenaussagen, Verkehrsunfällen, Verlustanzeigen bis hin zu Nachbarstreitigkeiten und unbelegten Verdächtigungen. Dadurch bestehe das Risiko, dass viele Personen in polizeiliche Ermittlungen einbezogen werden, die dort nicht hingehören. Zugriff auf diese Analyse-Software haben in Hessen über 2.000 Kriminalbeamte, die mit ihr im letzten Jahr über 14.000 Ermittlungen durchgeführt haben.

Verfassungsrechtlich problematisch ist…unter anderem, dass die gefahrenabwehrrechtliche Vorschrift des § 25a HSOG zu unbestimmt ist. Roßnagel dazu: „Wenn der Anwendungsbereich so weit formuliert ist, ist es schwer in der Praxis Grenzen einzuziehen. Für die von der Polizei geschilderten Fälle sehr schwerer Kriminalität ist der Einsatz der Analyse-Software in Ordnung, aber sie darf nicht zum Standardmittel für die polizeiliche Arbeit werden.“

Ein weiteres Problem sieht Roßnagel im Zusammenhang mit dem Thema der Zweckbindung. Bei der Analyse der bei der Polizei gespeicherten Daten mit hessenDATA werden große Mengen an Daten von „Unbeteiligten“ einbezogen, die davon nichts erfahren und die keine Chance haben, ihre Lebensführung so einzurichten, dass sie nicht erfasst werden. Er führte hierzu aus: „Alle Daten bei der Polizei werden Bestandteile eines Datenpools zur Analyse für weitreichende künftige Ermittlungszwecke“ und sieht diese Einbeziehung eher kritisch. Darüber hinaus betonte er auch, wie wichtig es sei, die Begründung für die konkrete Anwendung der Datenanalyse mit hessenDATA in jedem Einzelfall nachprüfen zu können.“


Hervorhebungen und Gliederung im zitierten Text durch Datenschutzrheinmain.

2 Kommentare

  1. Aus der Süddeutschen Zeitung vom 18.10.18:

    „Gotham am Main

    (…) Der Bundestagsabgeordnete Andrej Hunko (Linke) sagt über Hessendata: „Es handelt sich de facto um eine Rasterfahndung, der enge rechtliche Grenzen gesetzt sind. Diese werden aus meiner Sicht in Hessen nicht eingehalten.“ Frankfurts Polizeipräsident Gerhard Bereswill sagt, der hessische Datenschutzbeauftragte habe alles abgesegnet. (…)“

    https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/innere-sicherheit-gotham-am-main-1.4175521

    Der ehemalige Hessische Datenschutzbeauftragte (HBDI), Prof. Michael Ronellenfischt, war m. E. nicht dafür bekannt der Hessischen Polizei sehr kritisch gegenüber zu stehen.

  2. Automatisierte Datenauswertungen der Polizei oder auch: KI und das Grundgesetz – über die mündliche Verhandlung am BVerfG vom 20.12.2022
    vor 59 Minuten
    Recht aktuell, Recht digital, Recht vor Gericht
    Keine Kommentare

    von ANNA MICHEL und DENISE MÜLLER

    Welche verfassungsrechtlichen Vorgaben gelten für Befugnisnormen, die den Gefahrenabwehrbehörden automatisierte – und sogar „intelligente“ – Datenauswertungen bzw. -analysen erlauben? Am Bundesverfassungsgericht sind aktuell zwei Verfahren anhängig (1 BvR 1547/19, 1 BvR 2634/20), in denen es um Rechtsgrundlagen zur automatisierten Datenverarbeitung (§ 25a Abs. 1 Alt. 1 HSOG, § 49 Abs. 1 Alt. 1 HmbPolDVG) geht. In der Mündlichen Verhandlung am 20.12.2022 wurden die technischen und tatsächlichen Hintergründe komplexer Datenverarbeitungen zur Gefahrenabwehr detailliert beleuchtet. Rechtlich wurde vor allem über den Zweckbindungsgrundsatz und die Bestimmtheit diskutiert.

    https://www.juwiss.de/75-2022/

Hinterlasse einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

*
*