Soll jetzt auch der Tierschutz als Vorwand für den Ausbau der Videoüberwachung herhalten?
Mit Antrag der Länder Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen vom 05.02.2019 wurde der Bundesrat aufgefordert, der Einführung von kameragestützten Überwachungssystemen in Schlachthöfen „zur Verbesserung des Tierschutzes für Schlachttiere“ zuzustimmen. Im Antragsentwurf wird u. a. gefordert: „… 5. Der Bundesrat fordert die Bundesregierung im Sinne der Weiterentwicklung des Tierschutzrechts auf, baldmöglichst einen entsprechenden Gesetzentwurf mit dem Ziel der rechtlichen Verpflichtung eines Schlachthofbetreibers zur Einführung eines standardisierten kameragestützten Überwachungssystems vorzulegen. In diesem Bereich bestehende Regelungsspielräume des europäischen und nationalen Rechts sollen im Sinne des Tierschutzes ausgeschöpft werden… Dabei sind die Rechte der von den Überwachungssystemen betroffenen Personen, insbesondere der in den Schlachthöfen beschäftigten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, im erforderlichen Maße zu berücksichtigen. 6. Der Bundesrat bittet die Bundesregierung bei der Erstellung des Gesetzentwurfs alle geeigneten technischen Lösungen wie z. B. 3-D-Visualisierung oder die Nutzung automatisierter Auswertungen mit Künstlicher Intelligenz in Betracht zu ziehen…“
Radio Bremen meldet am 15.02.2019: „Am Dienstag hatten Vertreter der Fleischindustrie und die (niedersächsische) Agrarministerin Videokameras auf Schlachthöfen auf freiwilliger Basis vereinbart. Der Schlachthof Vion in Emstek hat bereits Kameras im Lebensbereich installiert.“ Emstek liegt im Oldenburger Münsterland und damit in einem der größten europäischen Zentren der Fleischindustrie. Und Vion wurde bereits wiederholt durch Verstöße gegen tierschutz- und hygienerechtliche Vorschriften unrühmlich bekannt.
Die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG), zu deren Organisationsbereich auch die Schlachthöfe in Deutschland gehören, hat sich mit den Forderungen der Landesregierungen von Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen kritisch auseinander gesetzt. In einer Stellungnahme der NGG vom 15.02.2019 werden die Forderungen der Landesregierungen von Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen „als völlig unzureichend kritisiert. Die eigentlichen Ursachen der teilweise skandalösen Zustände in Schlachthöfen – das Krebsgeschwür der Werkverträge und Subunternehmen – blieben unberücksichtigt „Mit dem Filmen des Leids der Tiere kommt man dem Tierschutz keinen Schritt näher. Die Videoüberwachung ist ein Placebo… Schlachthöfe vergäben die Aufträge an Subunternehmen. Deren meist aus Osteuropa stammenden Werkvertragsbeschäftigten arbeiteten die Aufträge unter hohem Leistungsdruck ab, nachdem sie oft nur einen Schnellkurs erhielten.“ Darüber hinaus kritisiert die NGG, „dass viele Tierärzte frei arbeiten und pro Stück vergütet werden und zu wenig direkt bei den Veterinärämtern angestellt seien. Daraus folge, dass auch die freien Tierärzte ein Interesse an hohen Schlachtzahlen haben und beim Tierschutz möglicherweise wegschauen… Der Tierschutz könne auch besser sichergestellt werden, wenn es mehr unangekündigte Kontrollen mit Sonderzugangsrecht gebe – ohne Anmeldung beim Pförtner und langwieriges Einkleiden nach der Hygieneverordnung.“ Radio Bremen zitiert ergänzend einen Vertreter der NGG mit der Erklärung: „Rund um die Uhr die Arbeit auf Schlachthöfen per Kamera zu überwachen, verstoße massiv gegen Datenschutz und Persönlichkeitsrechte… Die Gewerkschaft wolle dagegen juristisch vorgehen.“
Und noch ein Hinweis: Mal eben so fordern die Landesregierungen von Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen mit dem Fingerzeig auf den Tierschutz auch eine Revision der EU-Datenschutzgrundverordnung im letzten Punkt ihrer Stellungnahme. Dieser lautet: „7. Soweit Vorgaben des EU-Rechts den Einsatz kameragestützter Überwachungssysteme nicht oder nicht in allen vorgenannten Bereichen erlauben, fordert der Bundesrat die Bundesregierung auf, sich bei der EU-Kommission für eine entsprechende Überarbeitung des EU-Rechts beziehungsweise die Ausweitung nationaler Regelungsspielräume einzusetzen.“
Die wahren Probleme wie
– unangekündigte und unabhängige Kontrollen,
– zu wenige Kontrolleure,
– Werkverträge, Subunternehmen u.ä. zum Unterlaufen tarifvertraglicher Regelungen,
– eine Überproduktion,
– überlange Tiertransporte
u.v.m.
werden mit Videoüberwachung nicht gelöst.
Zumal das entsprechende Videomaterial unter der Kontrolle der vermeintlich Kontrollierten ist.
Wahrscheinlicher soll mit einer solchen Maßnahme verhindert werden,
dass heimliche Videoaufnahmen, die dortige Missstände dokumentieren,
unbemerkt entstehen und dann veröffentlicht werden!