Rabattschlacht für die Selbstoffenbarer

Schuetze/ März 9, 2016/ Gesundheitsdatenschutz, Telematik-Infrastruktur, Verbraucherdatenschutz/ 0Kommentare

Überlegungen zum Self-Tracking

Big Data  und Cloud Dienste sind auf dem Vormarsch, doch nur selten denken wir über die möglichen Folgen und Auswirkungen in letzter Konsequenz nach. Noch ist überhaupt nicht absehbar, welche unvorstellbaren Datenmengen Self-Tracking-Devices, Smart Homes und die Vorratsdatenspeicherungen aller Welt auflaufen lassen und was mit der Kombination all dieser Daten möglich sein wird.

Am Beispiel der Fitness-Armbänder soll verdeutlicht werden, was die freiwillige Selbstoffenbarung der Nutzer für diese und ihre Privatsphäre für ein paar Euro Rabatt bei den Krankenkassenbeiträgen bedeutet.

Sie heißen Vivosmart, Fitbit, Polar Loop oder Jawbone: die kleinen hippen Silikon-Armbänder in schrillen bunten Farben oder dezent in Schwarz oder Weiß haben es in sich. Denn sie messen nicht nur Schritte, zurückgelegte Entfernungen und Kalorienverbrauch, sondern die meisten von Ihnen auch Herzfrequenz und Schlafrhythmus, manche mit GPS versehen, manche kombinieren die Daten dann auf dem Smartphone mit dem genauen Aufenthaltsort.

Die ersten Krankenkassen sind auf den Hype aufgesprungen und bezuschussen den Kauf eines Trackers oder bieten Rabatt beim jährlichen Beitrag. Voraussetzung ist, dass der Kunde die Daten mit der Krankenkasse teilt [1] [2].

Die Motivation der Kassen hinter diesen Vereinbarungen kann zunächst in einer Kostenoptimierung ausgemacht werden: Menschen, die sich selbst mit derartigen Helfern überwachen und optimieren werden weniger krank und verursachen damit auch weniger Kosten, so die Überlegung (ob die Kausalität so der Weisheit letzter Schluss ist sei dahingestellt [3]). Der Ansatz geht jedoch noch weiter, denn zur konsequenten Kostenoptimierung wird die Entwicklung irgendwann darauf hinauslaufen, dass den günstigsten Beitrag dann nur noch derjenige zahlt, der nicht nur ständig brav seinen Tracker trägt und die Daten an die Krankenkasse übermittelt, sondern auch täglich ordentlich seine Runden durch den Stadtpark joggt.

Rückenschmerzen und schon seit vier Wochen nicht mehr joggen gewesen? Der Orthopäde ist selbst zu bezahlen, selbst schuld.

Kurs zur Ernährungsberatung wegen Übergewicht? Selbst bezahlen, die GPS-Tracking-Daten zeigen uns anhand Ihres Aufenthaltsorts, dass Sie seit Monaten dreimal die Woche Fast Food zu sich nehmen!

Alleine im Umfeld der Krankenkassen zeigen diese Überlegungen, wohin der Weg führen könnte. Dies würde den Ausstieg aus der Solidargemeinschaft bedeuten, denn Ältere und Kranke hätten überhaupt keine Möglichkeiten, die gleichen Leistungen wie gesunde Mitglieder abzuliefern. Wir erweitern damit also die Leistungsgesellschaft vom Berufsleben weiter hinein in die privaten Umfelder und schließen diejenigen aus, die, auch ohne eigenes Verschulden, die geforderte Leistung nicht erbringen können.

Auch steht diese Art und Weise der Zwangsausübung im krassen Gegensatz zu Artikel 2 Abs. 1 unseres Grundgesetzes: „Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.“, d. h. es muss jedem selbst überlassen bleiben, wie viel Sport er treibt, welche Sportarten dies sind (vielleicht ja auch Risikosportarten), ob er sich bezüglich seines Gewichts am BMI (übrigens einer Erfindung der amerikanischen Versicherungswirtschaft, um möglichst viele Menschen als Risikoversicherte zu klassifizieren) orientiert oder nicht, ob er zur Beruhigung zum Glimmstängel greift oder nicht. Durch die Zwangsausübung mittels differenzierter Versicherungsbeiträge wird dieses Recht massiv unterwandert.

Gehen wir noch einen Schritt weiter: was, wenn die Tracking Daten eines Fitness Armbands mit anderen Daten kombiniert werden? Es sei hierbei zunächst freigestellt, ob dies durch gezielten Weiterverkauf der Daten durch die Krankenkasse, durch schnüffelnde Apps auf dem Smartphone oder durch Sicherheitslücken in den Datenbanksystemen und –anwendungen der Krankenkassen geschieht. Wie groß (oder klein) die Sensibilität im Umgang mit Patientendaten ist, konnten wir in den vergangenen Monaten ja ausgiebig beobachten [4] [5] [6]. Noch nicht einmal mit eingeschlossen in diese Überlegungen ist die Tatsache, dass die Freiheiten, die sich die Anbieter der Armbänder in ihren AGB’s herausnehmen, meist noch deutlich weitreichender sind als dies im Fall der Krankenkassen jemals sein wird.

Ein paar kleine Gedankenspiele:

Kombiniert man Herzrhythmus mit dem gerade laufenden Programm des SmartTV ist auslesbar, welche Werbung den Zuschauer besonders anspricht. Diese Daten lassen sich hervorragend als Feedback an die Werbewirtschaft verkaufen. Ebenso könnten die öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten so monitoren, wie viele ihrer Zuschauer beim aktuellen Tatort mal wieder eingeschlafen sind. Den Erotikstreifen-Hersteller könnte auch die Wirkung des gerade aus der Online Videothek abgerufenen Streifens interessieren, je nachdem, mit welcher Hand… aber lassen wir das.

Wie oft sucht ein Benutzer nachts die Toilette auf? Je nach Häufigkeit könnte es an der Zeit sein, Werbung für Medikamente gegen Blasenschwäche auf seinem Smartphone einzublenden…

Ob der Angestellte, der sich Montags krank meldet, es vielleicht am Wochenende mal wieder mit dem Disco-Hüpfen übertrieben hat, könnte auch den Chef interessieren.

Das Bewegungsprofil des Trackers belegt, dass Sie heute 5 Haltestellen Straßenbahn gefahren sind, aber die App des ÖPNV Anbieters auf ihrem Smartphone, die das streckengebundene Tarifsystem bedient, weiß davon nichts [7]? Dann sind Sie ja vielleicht schwarz gefahren, das sollte man melden…

Diese jetzt noch konstruiert klingenden Beispiele sollen zum Nachdenken anregen, wohin der allzu bereitwillige Beitrag mit eigenen Daten zu Big Data führen könnte und welches die Gefahren für die persönliche Freiheit dahinter sind. Was jetzt noch sehr theoretisch und konstruiert klingt könnte in zehn Jahren Gang und Gäbe sein. Wer hätte 2006 gedacht, dass er bei der Autoversicherung Geld sparen kann, wenn er sich eine Blackbox einbauen lässt [8]? Vorhandene Datenbestände wecken stets Begehrlichkeiten, die Erweiterung der Befugnisse bei den Kontoauskünften [9] und der Vorratsdatenspeicherung [10] belegen dies zur Genüge.

von Tim Stieger

 

Links

[1] https://www.tk.de/tk/medizin-und-gesundheit/bewegung/fitnesstracker/700354

[2] http://t3n.de/news/apple-watch-fitness-tracker-krankenkasse-zuschuss-627853/

[3] http://www.amazon.de/dp/3821839430

[4] http://www.mdr.de/thueringen/sued-thueringen/patientenakten-konfetti100.html

[5] http://info.kopp-verlag.de/medizin-und-gesundheit/was-aerzte-ihnen-nicht-erzaehlen/markus-maehler/daten-von-risikopatienten-das-dunkle-geschaeft-mit-intimen-krankheiten.html

[6] http://www.taz.de/!5228840/

[7] https://ddrm.de/frankfurter-kommunalwahl-kandidatinnen-positionieren-sich-zu-rmvsmart-oder-auch-nicht/#more-6542

[8] http://www.sueddeutsche.de/auto/telematik-tarife-bei-kfz-versicherungen-viel-ueberwachung-fuer-ein-bisschen-ersparnis-1.2486679

[9] https://ddrm.de/die-ueberwachung-der-armut-ein-zu-wenig-beachteter-bestandteil-des-ueberwachungsstaats/#more-6558

[10] https://netzpolitik.org/2015/bayerisches-kabinett-erlaubt-verfassungsschutz-zugriff-auf-vorratsdatenspeicherung/

 

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