Hessen: Wenn das Polizeirecht plötzlich Gefühle schützt

Datenschutzrheinmain/ August 4, 2025/ alle Beiträge, Biometrie, Hessische Landespolitik, Hessische Landesverfassung, Polizei und Geheimdienste (BRD), Videoüberwachung/ 0Kommentare

Das Hessische Sicherheits- und Ordnungsgesetz (HSOG), zentrale Rechtsgrundlage für die Tätigkeit der hessischen Landespolizei und der kommunalen Ordnungsämter, enthält seit dem 19.12.2024 in § 1 Abs. 7 HSOG eine bislang kaum beachtete, aber schwerwiegende Neuregelung. Sie lautet: „Im Rahmen der Aufgabenwahrnehmung der Gefahrenabwehr- und der Polizeibehörden kommen der Kriminalprävention, der Demokratieförderung, der Extremismusprävention und der Stärkung des Sicherheitsgefühls der Bevölkerung besondere Bedeutung zu.“ In der bis 18.12.2024 geltenden Fassung des HSOG ist dieser Absatz nicht enthalten. Das wirft Fragen auf:

  • Was hat den hessischen Innenminister, die hessische Landesregierung von CDU und SPD und die Mehrheit des hessischen Landtags bewogen, diese Neuregelung in das HDSOG aufzunehmen?
  • Was ist denn das Sicherheitsgefühl der Bevölkerung?
  • Wer stellt fest welche unterschiedlichen Sicherheitsgefühle unterschiedliche Bevölkerungsgruppen haben und ggf. auch äußern?
  • Und welche dieser Gefühle sicherheitsrelevant und damit Gegenstand der Aufgaben der Polizei werden?
  • Können Gefühle, selbst wenn sie mehrheitlich geteilt werden, Grundlage gesetzlicher Regelungen sein?

Der Rechtsanwalt Dr. Fiete Kalscheuer setzt sich in einem Beitrag vom 29.07.2025 in der Legal Tribune Online (LTO) mit ddieser Fragestellungen auseinander. Eingangs stellt er fest: Eine kaum beachtete Gesetzesänderung gibt der Polizei neue Befugnisse, das öffentliche Sicherheitsgefühl zu stärken. Unabhängig von Gefahren oder Kriminalstatistik. Es droht eine Emotionalisierung des Aufgabenbegriffs… Wenn der Gesetzgeber der Stärkung des Sicherheitsgefühls ‚besondere Bedeutung‘ im Rahmen polizeilicher Aufgaben beimisst, ist klar: Das subjektive Sicherheitsempfinden der Bevölkerung wird zur offiziellen Aufgabe der Polizei. Es steht nicht länger nur neben der Gefahrenabwehr – es wird Teil von ihr. Die Gesetzesbegründung bestätigt das: ‚Viele Menschen verspüren (…) ein subjektives Gefühl der Unsicherheit, was vermehrt auch für Frauen im öffentlichen Raum gilt, auch wenn dies oft nicht durch objektive Kriminalitätszahlen- und statistiken belegt werden kann.‘ Ziel sei daher die Stärkung des Sicherheitsgefühls… Anders ausgedrückt: Auch dann, wenn es objektiv, gestützt auf Kriminalitätszahlen und -statistiken, keinen Anlass zur Besorgnis gibt, gehört es nach der Gesetzesbegründung zu den Aufgaben der Gefahrenabwehr- und Polizeibehörden, das Sicherheitsgefühl der Bevölkerung zu stärken… Die Tragweite dieser Neuregelung erschließt sich mit Blick auf den ebenfalls neu gefassten § 14 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 HSOG… Danach können die Gefahrenabwehr- und Polizeibehörden… öffentlich zugängliche Orte mittels Bildübertragung offen beobachten und aufzeichnen, sofern diese Orte aufgrund ihrer konkreten Lage, Einsehbarkeit und Frequentierung günstige Tatgelegenheiten für – im Gesetz näher definierte – Straftaten mit erheblicher Bedeutung bieten und deshalb anzunehmen ist, dass sie gemieden werden. Zweck dieser Neureglung in § 14 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 HSOG ist nach der Gesetzesbegründung die besagte Stärkung des Sicherheitsgefühls der Bevölkerung. Die Aufgabenerweiterung in § 1 Abs. 7 HSOG zieht damit eine Befugniserweiterung in § 14 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 HSOG nach sich…“

Diese und andere Fragen hat der Rechtsanwalt Dr. Fiete Kalscheuer nicht nur in einer juristischen Fachveröffentlichung aufgeworfen. Er ist auch Verfasser eines Normenkontrollantrags, den die Fraktion Bündnis90/Die Grünen im Hessischen Landtag dem Hessischen Staatsgerichtshof am 18.06.2025 zur Entscheidung vorgelegt hat.

Die Landtagsfraktion Bündnis90/Die Grünen möchte damit klären, ob die o. g. und weitere im Dezember 2024 vom hessischen Landtag beschlossene Neuregelungen Im HSOG einen Verstoß gegen die Hessischen Landesverfassung darstellen. Beantragt wird,

  • den o. g. § 1 Abs. 7 HSOG,
  • diverse Neuregelungen in § 14 HSOG (Datenerhebung und sonstige Datenverarbeitung an öffentlichen Orten und besonders gefährdeten öffentlichen Einrichtungen = Videoüberwachung und biometrische Gesichtserkennung), nämlich § 14 Abs. 3 Nr. 3 HSOG und § 14 Abs. 8 bis 11 HSOG,
  • sowie § 15d HSOG (Einsatz von unbemannten Luftfahrtsystemen = Drohnen), § 25a HSOG (Automatisierte Anwendung zur Datenanalyse = HessenDATA / Palantir) und § 35 Absatz 1 Satz 3 HSOG (Dauer der Freiheitsentziehung)

für unvereinbar mit der Hessischen Verfassung und nichtig zu erklären.

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