Fahrraddiebstahl und Videoüberwachung – eine Polizeimeldung, die nachdenklich macht
Das Polizeipräsidium Frankfurt teilt in seiner Pressemitteilung POL-F: 160815 – 699 unter der Überschrift „Frankfurt-Nordend: Gelegenheit macht Fahrraddiebe“ am 15.08.2016 mit: „Am Sonntag gegen 03:00 Uhr in der Frühe wurde ein hungriger Geschädigter an einer Pizzeria in der Eckenheimer Landstraße um sein Fahrrad erleichtert… Der rumänische 25-Jährige stellte sein Fahrrad unverschlossen vor dem Eingang ab und ließ das Fahrrad unbeaufsichtigt zurück. Der ca. 25 – 30 Jahre alte Dieb kam kurz darauf aus der Pizzeria und nutzte den unbeobachteten Moment, um auf das Fahrrad zu steigen und davon zu radeln. Die Videoüberwachung der Pizzeria konnte die Tat festhalten. Das entwendete E-Bike hat einen Wert von etwa 1300 Euro.“
So kurz, so bedauerlich für den unvorsichtigen Fahrradbesitzer. Die Meldung wirft aber Fragen auf:
- Hat der Eigentümer / Pächter der Pizzeria eine oder mehrere Videokameras installiert, die (erkennbar und verbotswidrig ?) auch öffentlichen Raum überwachten?
- Können / dürfen Ermittlungsbehörden und Gerichte Beweismittel verwerten, die nur deshalb vorhanden sind, weil private Kamerabetreiber die einschlägigen Rechtsnormen (§ 6b Bundesdatenschutzgesetz) und ein einschlägiges Urteil des Europäischen Gerichtshofs missachten?
Das Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 11.12.2014 (Aktenzeichen C-212/13) bestätigt die Regelungen des Bundesdatenschutzgesetzes und eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 24.05.2013 (Aktenzeichen V ZR 220/12), in der festgestellt wurde, dass das Recht privater Kamerabetreiber zur Videoüberwachung spätestens an der Grundstücksgrenze endet. Wenn dieses Recht an der Grundstückgrenze endet, aber nicht beachtet wird, dann erhebt sich die Frage, ob Ermittlungsbehörden und Gerichte auf diese Daten zugreifen dürfen.
Auf eine entsprechende Fragen von Mitgliedern der Bürgerrechtsgruppe dieDatenschützer Rhein Main antworteten Vertreter des Frankfurter Polizeipräsidiums in einem Gespräch am 05.02.2014: „Es gelten die Regelungen der §§ 94/98 Strafprozessordnung (StPO). Die Polizei kann als Beweismittel auch Videodaten von Kameras privater Dritter auf Grund staatsanwaltlicher/ richterlicher Anordnung beschlagnahmen. Inwieweit die Beschlagnahme von Videodaten von Kameras, die nach den Kriterien des § 6b Abs. 1 Ziff. 2 und 3 BDSG nicht legal errichtet wurden, gerichtsverwertbar sind, kann nicht beantwortet werden. Das ist auch nicht mehr in der Kontrolle der Polizei, sondern der Staatsanwaltschaft oder des befassten Richters.“ Nach dem Urteil des EuGH vom 11.12.2014 sollte die Frage aber beantwortet werden.
Der EuGH befasste sich in seiner Entscheidung zu einem Fall aus Tschechien mit folgenden Sachverhalten:
- Straftäter zerstörten Eigentum eines Geschädigten.
- Der Geschädigte hatte eine Überwachungskamera installiert, die den öffentlichen Raum außerhalb der Grundstücksgrenzen überwachte. Der Geschädigte übergab diese Aufzeichnungen den Ermittlungsbehörden.
- Einer der Verdächtigen beanstandete die Rechtmäßigkeit der Verarbeitung der von der Überwachungskamera aufgezeichneten Daten.
- Die Datenschutzaufsichtsbehörde stellte fest, dass der Kamerabetreiber gegen die Vorschriften zum Schutz personenbezogener Daten verstoßen habe und verhängte eine Geldbuße gegen ihn. Das Amt führte hierzu u. a. aus, dass die Daten des Verdächtigen ohne seine Einwilligung aufgezeichnet worden seien, obwohl er sich im öffentlichen Straßenraum aufgehalten habe.
- Im folgenden Rechtsstreit zwischen dem Kamerabetreiber und der Datenschutzaufsicht fragte das Oberste Verwaltungsgericht der Tschechischen Republik beim EuGH an, ob die Aufzeichnung, die der Kamerabetreiber vorgenommen hatte, eine Datenverarbeitung darstellt, die nicht von der EU-Datenschutz-Richtlinie erfasst wird, weil die Aufzeichnung von einer natürlichen Person zur Ausübung ausschließlich persönlicher oder familiärer Tätigkeiten vorgenommen wurde.
Auch wenn sich der EuGH in seiner Entscheidung ausschließlich mit der Frage beschäftigte, ob die durch die Datenschutzaufsichtsbehörde verhängte Geldbuße zu Recht verhängt wurde, muss auf Grund dieses Urteils die Frage erlaubt sein, ob Ermittlungsbehörden und Gerichte bei der Aufklärung von Straftaten unumschränkt auf Beweismittel zugreifen dürfen, die erkennbar nur auf Grund rechtwidrigen Verhaltens Dritter (in dem Fall: privater Kamerabetreiber) erlangt werden konnten. Diese Frage stellt die Bürgerrechtsgruppe dieDatenschützer Rhein Main dem Frankfurter Polizeipräsidium erneut.
Um jedweden Missverständnissen vorzubeugen:
- Mit diesem Beitrag ist in keiner Weise beabsichtigt, den Fahrraddiebstahl zu beschönigen oder zu entschuldigen. Diebstahl ist Diebstahl. Und Diebstähle müssen in einem Rechtsstaat aufgeklärt und einer gerichtlichen Bewertung unterzogen werden.
- Es muss aber erlaubt sein zu fragen, ob Polizei und Gerichte Beweismittel nutzen dürfen, die bereits zum Zeitpunkt ihrer Erlangung erkennbar aus einer Quelle stammten, die auf einer (mindestens) zweifelhaften Rechtsgrundlage beruhten.
Update 19.08.2016
2 Kameras an der Außenffassade der Pizzeria an der Kreuzung Eckenheimer Landstraße /Allenring
Beide Kameras sind nicht auf die Schaufensterfront der Pizzeria, sonden auf den vor dem Gebäude befindlichen Fuß- und Fahrradweg gerichtet.
Klar dürfen die das, in diesem Rechtssystem nutzen, da dieses nicht die „Früchte des vergifteten Baumes“ kennt.
Was nicht sein darf ist, dass sowas mal von den Medien ausdiskutiert wird und die Stammtische erreicht, wobei dort das Totschlagargument ein Mord in Berlin sein kann.
Klar, wir müssen unsere Diebe vor Überwachung schützen.
Der arbeitende Bürger sollte aufhören, sein Eigentum zu verteidigen, damit es der Allgemeinheit besser dienen kann. Der bestohlene Bürger ist ja schließlich Schuld, dass er durch den Erwerb dieses Eigentums die Armut anderer bloßstellt.
Es wird Zeit für eine Wende in diesem pervertierten Rechtsverständnis. Das Achselzucken der Polizei bei jeder Anzeige eines Diebstahls lässt tief blicken.
@r westermann : Ich unterstütze Ihre Aussage voll und ganz! Was die Polizei von sich gibt lässt sehr tief blicken. Scheinbar hat die Polizei in Deutschland keine rechtliche Grundlage mehr um überhaupt zu ermitteln.